Seegang ist erst, wenn der Horizont keine grade Linie mehr ist. Wenn die Abflussrohre so einen Schub von unten bekommen, dass das Wasser aus dem Abfluss der Dusche blubbert. Wenn die Wellen im Wassertank unter meiner Kabine so sehr brechen, dass es mein Bett erschüttert. Wenn mitten in der Nacht die Schubladen mit einem Rumms plötzlich offen stehen und sobald man schaut, mit einem Rumms schon wieder zugefallen sind. Wenn dir die Badezimmertür zuwinkt. Und wenn das Schiff so verbaut ist, dass du abends nicht nur in den Schlaf geschaukelt sondern auch geknarzt wirst.
Beschweren tu ich mich nicht, versteht mich nicht falsch. Ich mag Seegang. Eine Seereise ohne Seegang ist irgendwie nicht the real deal. Ein Tag auf See ist erst ein wahrer Tag auf See, wenn du
mit mindestens einem Kollegen oder Gast kollidierst und ihn oder dich selbst damit zum Lachen gebracht hast. Man kommt sich unweigerlich näher – im übertragenen wie im wahrsten Sinne – wenn man
über Gänge schwankt, als hätte man eine gemeinsame Choreographie auswendig gelernt. Egal, wie sehr wir über Seegang meckern, irgendwie gehört er dazu. Mit Seegang hat man immer was zu reden mit
seinem Gegenüber: wenn einfach mal keine Themen mehr übrig sind, sagt man „Fühlst du dich heute auch leicht betrunken?“ und – egal ob mit Kollegen oder Gästen – die Konversation ist
gerettet.
Direkt über den Wassertanks zu wohnen ist trotzdem kein Spaß. Man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles, aber zwischendurch ist das schon mal heftig und ich bin ein-zwei Mal sogar nachts
aufgestanden und hab ins Bad geschaut, weil ich überzeugt war, da stünde alles unter Wasser. Dem war natürlich nie so, man hört einfach nur das Plätschern in den Rohren und die Wellen, die sich
im Trinkwassertank auftürmen und an den Stahlwänden brechen. Wie gut, dass ich wenigstens eine ganz tolle Mitbewohnerin hatte diese drei Wochen und irgendwie hat es sich dann doch ein bisschen
wie Kurzurlaub auf dem Schiff angefühlt.
Komisch, wie schnell man sich auch an neue Kollegen gewöhnt. Drei Wochen an Bord und ich dachte, den meisten würde ich eh relativ egal sein. Wer mal eben kommt, den kann man nicht gescheit
einlernen, der weiß nur die Basics und nichts routen- und schiffsspezifisches. Aber das kleine feine Scout-Team hat mich richtig herzlich aufgenommen und insgesamt die ganze Crew verbreitet auf
der blu eine echt gute Stimmung. Nach zwei Tagen an Bord wurde ich zur Geburtstagsfeier eines Security-Kollegen eingeladen, den ich schon von der prima kenne. In der Werkstatt des Bootsmanns ganz
vorne im Schiff gab es philippinisches Essen und Getränke und natürlich eine große Leinwand mit Beamer fürs Singen, denn eine Phili-Party ist keine Phili-Party ohne Karaoke.
Als ich ankam, starrten mich etwa vierzig paar asiatische Augen an à la „Eine Frau in der Werkstatt? Und eine Deutsche noch dazu?“ Ich war die einzige Europäerin und mehrere Kollegen kamen im
Laufe des Abends auf mich zu und sagten mir, wie schön sie das fänden, dass ich da war. Die meisten Europäer lassen sich bei so was nicht blicken. Kann ich ja so gar nicht verstehen – die
asiatischen Kollegen sind so unglaublich hilfsbereite und zuvorkommende Menschen, kommen ab und an mal am Schalter vorbei auf ein Pläuschchen und machen allgemein das Leben von allen an Bord ein
bisschen leichter. Vielleicht liegt es zum Teil an ihrer Mentalität oder ihrer Religion, dass sie einem immer den Vortritt lassen, aber wie sehr freuen sie sich, wenn man drauf besteht, dass sie
vorgehen! Natürlich wurde ich prompt zum nächsten Geburtstag ein paar Tage später wieder eingeladen – das Geburtstagskind kannte ich gar nicht, und dann wurde ganz blöd geschaut, als ich mit
einem Kinderriegel mit Schleife drum ankam als Geschenk. Und gerade diese Kollegen sind es, die sich im Kalender markieren, wann man absteigt, damit sie auch ja nicht vergessen, nochmal
vorbeizukommen und Tschüss zu sagen.
Auf jedem Schiff war ich bisher ganz dicke mit den Securitys, denn wir laufen schließlich am Hafentag dauernd an ihnen vorbei, da kommen die Scherzereien irgendwann von ganz allein. Dass ich nebenher angefangen habe, die Basics der Philippino-Sprache Tagalog zu lernen, macht mich natürlich zum perfekten Opfer für ganz viel Geherze an der Gangway. Meine Kollegen verstehen das oftmals nicht, dass ich mich lieber auf der Karaoke-Party sehen lasse, als mit in den Gästebereich zur Black-and-White-Party zu kommen. Aber was soll ich da? Die Musik ist blöd und man schreit sich irgendwann nur an weil die blöde Musik auch noch immer lauter wird. Bei der Phili-Karaoke ist das zwar genauso der Fall, aber wenigstens hat man was zu lachen. Was ich denn da will, fragen sie mich regelmäßig. Aber ich finde es super bei den Securitys, mit denen natürlich gleichzeitig auch die Kollegen vom Deck dazukommen (das sind die, die die Gangway ausbringen, die Tenderboote fahren usw.) und die Kollegen von der Feuerwehr. Wenn einer dich kennt, scheinen dich sofort alle zu kennen. Man wird alle paar Meter gegrüßt wenn man auf der Papenburg Road unterwegs ist und keiner lässt dich im gesamten Einsatz vergessen, dass du dich geweigert hast, beim Karaoke zu singen.
Einige der europäischen Kollegen scheinen zu vergessen, dass keins der Schiffe unserer Flotte und so ziemlich jeder anderen Kreuzfahrtreederei irgendwo hin kommen könnte ohne unsere asiatischen
Kollegen. Es gäbe keinen Ausguck auf der Brücke, keine Müllmänner, keine Feuerwehr, keine Sicherheitskontrollen, keine Putzfeen, keinen, der die Maschinen bedienen kann und auch keinen, der
beschließt „Oh, es wackelt. Wir sollten die Stabilisatoren ausfahren“.
Leider ist auch in unserer Branche trotzdem die Ausländerdiskriminierung zu spüren. Wir haben Kollegen, die sind seit Jahren und Jahren bei der Firma, machen ihren Job perfekt und trotzdem dauert
es im Schnitt viermal länger bis ein Philippino einen Streifen auf die Schulter bekommt und einen Offizierstitel trägt. Sehr schade, und dann kommen auch noch manche Gäste und tun ganz überrascht
und fragen wie das kommt, dass der Floor Supervisor, der die Verantwortung für alle Saubermacher auf einem Deck trägt, ein Asiate ist. Wenn man antwortet „Wieso nicht? Der ist seit 12 Jahren bei
uns an Bord“ werden sie dann plötzlich ganz still und scheinen zu verstehen, dass Ausländer es vielleicht genau so sehr wie (oder vielleicht sogar noch mehr als) Deutsche verdienen, einen
Streifen zu tragen.
Das finde ich ein bisschen traurig und ich freue mich immer ein bisschen, wenn ich gefragt werde, weil ich dann viel Werbung für unsere asiatischen Kollegen mache. Die schuften so hart bei uns
und bleiben teilweise bis zu elf Monate am Stück an Bord, um ihre Familien zu Hause durchzubringen, die verdienen schon eine ordentliche Portion Anerkennung.
Und wenn man, wie ich, ein bisschen tollpatschig ist und sich öfters mal in der Messe auf die Schnauze legt wenn der Boden nass ist, weiß man, wer als erstes gerannt kommt, von wem die erste
helfende Hand ausgestreckt wird und wer als erstes fragt, ob alles in Ordnung ist: das sind immer die Asiaten.
Kommentar schreiben