The Sweet Country Life

Mit Freunden in Wisconsin bleibt einem in der Herbst- und Vor-Halloween-Zeit eigentlich gar nichts anderes übrig, als gaaanz viel bummeln zu gehen. Jedes kleine Kaff scheint seinen eigenen Herbstmarkt zu haben, eine Wiese mit Ständen, die sich ausschließlich mit einem zu befassen scheinen: Der Liebe zur Handarbeit und dem Zwang, sein Häuschen in jeder Saison passend von außen und innen zu dekorieren, damit auch ja keines der Nachbarhäuschen herbstlicher aussieht.

Cedarburg
Cedarburg

Bei einer Schweinekälte fuhren wir Samstag früh also mit Gail nach Waupaca und bummelten durch die Stände. Mit begrenztem Gewicht für den Heimflug kann man aber nicht wirklich viel kaufen (gottseidank…ist ja schlimm, wie sehr die hier auf Kitsch-as-Kitsch-can stehen). Aber ganz coole Sachen gab es doch – zum Beispiel einen Staubsauger, der anfängt, böse zu lachen wenn man ihm zu nahe kommt.

 

 

Um Punkt 12 muss es bei unseren Freunden immer Mittag geben, also trafen wir uns mit Dave am See in einem Restaurant zum Essen und konnten uns den ganzen Nachmittag lang mit vollgeschlagenen Bäuchen den Hochzeitsvorbereitungen widmen. Schließlich waren wir ja nicht zum Spaß da, sondern zur Hochzeit von Gail und Davids Tochter Heather.           
Also hieß es kleine Döschen falten, mit Vogelfutter füllen, prüfen, ob sie auch schön rasselten, und mit blauen Bändchen zubinden. Wieso Vogelfutter? Aus irgendeinem Grund, den ich vergessen habe, war Reis zum Bewerfen des Brautpaares nicht gut genug. Und blaue Schleifen weil die offizielle Farbe des Hochzeitstages blau sein sollte. Dazu später mehr.

 

auch ne schöne Idee für ein öffentliches Bücherregal
auch ne schöne Idee für ein öffentliches Bücherregal

Als es dann auch noch ein gigantisches gegrilltes Abendessen mit Grandma und Grandpa gab, waren wir eigentlich so rund und glücklich, dass wir gleich ins Bett hätten fallen können, aber es war ja noch früh und Dave hatte Lust auf ein Lagerfeuer. Die wohnen ja mitten im Wald, man kann also hinter der Terrasse ein paar Schritte über den Rasen und unter die Bäume laufen und dort steht dann ein kleines Kabäuschen mit Brennholz und ein großer eingesteinter Feuerplatz. Mit Decken im Rücken und leider ohne Marshmallows saßen wir also alle noch ganz gemütlich am hübschen Feuerchen in der Kälte, bis wir so durchgefroren waren, dass wir dann wirklich ins Bett durften. Und das war dann auch nötig, denn am nächsten Morgen war schon wieder Programm geplant.

ganz Wisconsin schien in Cedarburg zu sein
ganz Wisconsin schien in Cedarburg zu sein

Nach einem Frühstück mit ganzen fünf (!) Hirschen vor der Haustür, einem Chipmunk (Streifenhörnchen) auf der Terrasse und wilden Truthähnen im Garten beluden wir Gails Auto und düsten schon wieder los Richtung Süden, diesmal nach Cedarburg. Hier erwartete uns ebenfalls ein Herbstmarkt, nur etwa hundert mal größer als in Waupaca. Waupaca und diverse andere Ortsnamen der Region stammen übrigens von den Indianerstämmen, die hier ansässig sind und waren. Teilweise werden die Namen dementsprechend seltsam ausgesprochen, weil die Amis die Betonung nicht so drauf haben.

find ich gut!
find ich gut!

Aber zurück nach Cedarburg. Das ist ein niedliches Örtchen mit einem Fluss und einer Altstadt, die allerdings anders aussieht als man sich hier in Deutschland eine Altstadt vorstellt und nur aus ein paar Häuschen am Fluss besteht, die eben noch besonders ursprünglich sind. Die komplette Hauptstraße war kilometerweit abgesperrt und vollbepackt mit Hütten und Zelten und Ständen und tausenden shopwütiger Frauen mit Anhang. Vier Stunden lang haben wir jeden einzelnen Stand abgeklappert und ich hab eine Apple Brat zu Mittag gegessen – ja richtig, eine Apfelbratwurst. Irgendwie seltsam zimtig und nicht wirklich lecker, aber wenigstens wissen wir es jetzt aus erster Hand. Was die hier über alles lieben ist offenbar Karamell und Äpfel in jeglichen Varianten. Besonders beliebt also die Caramel Apples, die Liebesäpfel der deutschen Gefilde, aber nicht in rot sondern in Karamell und dann mit Tüddeln und Streuseln und Zeugs verziert. Das haben wir uns nicht gegönnt, aber meine Großen mussten einen karamelligen Salzstängel probieren…uaah! Dann doch lieber den ganz leckeren Kettle Corn – Popcorn, das weder wirklich süß noch wirklich salzig ist, aber suuuperlecker (und gesponsort von Grandpa).

Cedarburg Pumpkin Festival
Cedarburg Pumpkin Festival

Ohne viel zu kaufen, aber umso mehr zu sehen (Anhänger aus alten Scrabble-Steinen, Armbänder aus alten Krawatten, Schals aus alten Pullis, Schmuck aus altem Silberbesteck – das nennt sich übrigens „Upcycling“ (statt Recycling) und ist DER neue Trend) wanderten wir in der Altstadt vorbei, wo das große Pumpkin Carving stattfand. Als wir ankamen standen schon vier gigantische Kürbisse auf der Wiese, alle ausgehöhlt und mehr oder weniger von außen verschönert. Einer hatte Augen mit pieksigen Wimpern, einer war vollgesprayt mit Footballs, einer hatte ein Gesicht mit Stirnband und der letzte war ein absolut grandios geschnitzter Indianerkopf. Zunächst wurde der hübscheste Kürbis ausgezeichnet, dann ging es ab ins Wasser, denn das Schnitzen war erst der Anfang.

Cedarburg Pumpkin Festival
Cedarburg Pumpkin Festival

Jedes Jahr Highlight beim Cedarburg Wine & Harvest Festival ist nämlich das Pumpkin Race, wo die zuvor beschnitzten und ausgehölten Kürbisse zu Wasser gelassen und einmal quer über den Fluss und zurück gepaddelt werden wollen. Dieses Jahr also vier Teilnehmer in vier Kürbissen. Alleine der Transport zum Ufer gestaltete sich als gar nicht mal so einfach. Eine Truppe Jugendlicher war extra dafür gekommen, die Kürbisse auf Planen zu rollen und sie so mit mindestens zwei Paar Händen an jeder Ecke zum Ufer runterzuschleppen. Allein das war schon höchst amüsant und dann ging es auch schon gleich los. Drei der Teilnehmer kamen relativ flott in ihre Kürbisse und rasten los mit Paddeln quer über den Fluss. Doch der Football-Kürbis-Inhaber flutschte bei jedem Versuch aus seinem Bötchen. Schließlich beschloss er, sich einfach oben drauf zu werfen und mit den Füßen zu paddeln. Als letzter, aber immerhin als stolzer Verlierer, kam er wieder am Ufer an.    
War jedenfalls sehr lustig zum Zuschauen – sowas gibt’s auch nur in den Staaten (wobei ich ähnliches schon bei uns in der Region gesehen habe)!

ähm...ja ein kleines bisschen geshoppt haben wir auch
ähm...ja ein kleines bisschen geshoppt haben wir auch

Abends gabs natürlich gleich wieder tonnenweise zu essen, dabei hatten wir ja noch nicht mal die M&Ms aus dem Auto aufgefuttert. Gail machte Rice Crispie Treats, eine klebrige Masse aus dem Rice Crispie-Müsligedöns und Marshmallowmasse aus der Dose (?!), dann Schokostreusel drauf und in den Kühlschrank. War aber sehr lecker, wenn auch übelst süß und klebrig. Aber was soll’s – zu viel gegessen haben wir hier eh schon :D

 

Und geshoppt hatten wir natürlich auch noch nicht genug, denn wenn man hier zu Besuch ist und Tanja heißt, muss man natürlich bei Oshkosh einkaufen gehen. Das ist eigentlich ein kleiner Ort, aber hat ein riesiges Outlet-Shoppingcenter. Eigentlich nur ein gigantischer Parkplatz und außenrum hauptsächlich Klamottenshops, die natürlich alle erforscht werden wollen. Wir sind nun um ein paar Hosen und Kleider reicher, Gails Kofferraum platzte aus allen Nähten und glücklicherweise war das Anprobieren schon vor dem Mittagessen…     

 

Noch was komisches, was ich noch nie gesehen habe: Milch aus Tüten. Keine Pappkartons, die man Tüte nennt – nein, eine Tüte aus einer Art Alufolienmaterial; da gibt es dann Milch gleich in der Dreiliter-Packung, wozu man dann natürlich auch eine passende Dreiliter-Plastikkanne braucht und ebenso klar ist auch der gigantische doppeltürige Kühlschrank, der wohl schon fast Standard ist. Bei Gail ist selbiger knapp doppelt so tief wie ihre Oberschränke. Verrückt!

 

Und dann kam natürlich die Hochzeit! Ich hatte mich innerlich schon auf eine super kitschige Ami-Hochzeit eingestellt, aber Fehlanzeige. Das Brautpaar sah alles super entspannt: Feier im Garten der Verwandtschaft, statt Hochzeitstorte drei kleine selbstgebackene Kuchen, Blumen bunt zusammen gewürfelt wie frisch von der Wiese, Brautschmuck selbst gebastelt aus einem Baseball ihres ersten gemeinsamen Spiels und Hochzeitsgesellschaft nicht etwas am Nachmittag bis spät in die Nacht rein – nein. Mittwoch früh um acht ging es los mit der Trauung, dann Frühstücksbüffet im Haus der Tante. Um 10 stand ein Reisebus vor der Tür, der uns über die Grenze nach Illinois brachte, wo er uns vor dem Chicagoer Wrigley Stadium absetzte. Es ging aber nicht etwa ins Stadion, sondern in eins der Häuser außenrum, die oben auf den Dächern Aussichtsplattformen mit Tribünen in Richtung des Baseballfeldes haben und da wurden wir den ganzen Tag mit all-you-can-eat versorgt, während gegenüber die Chicago Cubs das letzte Spiel der Saison spielten. Und Gottseidank gewannen sie, sonst wäre die Party ja nicht annähernd so ausgelassen gewesen. Heather war auf jeden Fall ein Hingucker im ausladenden Brautkleid und dem Baseball Jersey drüber und ihrem Armband um, das aus einem aufgeschnittenen Baseball mit schicker Schnalle bestand.

 

Weil sie so toll aussahen, hat die Location ihnen für den ersten Hochzeitstag kostenlosen Eintritt mit Grillbüffet versprochen. Typisch amerikanisch irgendwie, nach so einer untypischen Hochzeit. Alle Tage erlebt man so was jedenfalls auch nicht.

 

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