Auf einer Transatlantikreise erwartet man ja schon wenigstens ein kleines bisschen Seegang. Beim letzten Mal wurden wir (und insbesondere die Gäste, die vor der Reise viel Geld für Seekrankheitspillen ausgegeben hatten) sehr enttäuscht, als es sechs Tage lang quer über den Atlantik nur Ententeich gab, wenn man aus dem Fenster geschaut hat.
Wenn man weiter im Norden unterwegs ist, kann man sich drauf einstellen, dass es ein bisschen ruckeln wird. Besonders zu dieser Jahreszeit toben öfters mal die Stürme in diesen Breitengraden und tatsächlich bekamen wir, was wir erwarteten. Sobald wir den Schutz des Bergenfjords hinter uns gelassen hatten, merkten wir, dass wir auf See waren. Auf der ersten Etappe unserer Atlantiküberquerung schaukelte es schon ordentlich und die Orkneyinseln erwarteten uns mit Sturm und Niesel, sodass man sich selbst an Land fühlte, als wankte der Boden unter den Füßen. Neu ist Kirkwall für mich nicht und so kurz nach dem Irland-Urlaub hatte nicht mal das schön britische so einen großen Reiz wie sonst. Ein nettes Erlebnis gab es aber doch: mit meinem Reiseleiter verstand ich mich so blendend, dass ich die wohl spannendste Panoramafahrt meines Lebens hatte – üblicherweise fangen die Kollegen schon beim Wort „Panoramafahrt“ zu gähnen an. Wir tauschten Emailadressen aus, denn man weiß ja nie, wann ein Kontakt in Schottland mal von Nutzen sein könnte, und als seine Frau mein Foto sah, erinnerte sie sich an mich – nach über einem Jahr! Schön, ab und zu auch mal zu hören, dass man offenbar doch einen guten Job beim Übersetzen macht, auch wenn das Trinkgeld der Gäste so eine krass andere Meinung abbildet.
Zwei ganze Tage auf See und das Geschaukel ging weiter. Interessanterweise war das Schiff immer recht voll, obwohl wir bei Seegang üblicherweise sehr viel Langeweile haben am Schalter und bei unseren Präsentationen, weil unsere Gäste sich nicht aus ihren Kabinen trauen und lieber in der Horizontalen bleiben. Andererseits haben wir bei so langen und speziellen Reisen eben doch hauptsächlich Kreuzfahrer, die nicht zum ersten Mal auf einem Schiff sind und dann schon einen gestärkten Magen haben. Ich habe außerdem gehört, dass ab einem bestimmten Alter ja alle Sinne schwächer werden und so eben auch der Gleichgewichtssinn. Nur wer einen gut funktionierenden Gleichgewichtssinn hat, kann überhaupt Schwierigkeiten mit Seegang bekommen, also wäre es schon verständlich, wenn Ältere nicht mehr so leicht seekrank werden – bei einer Transreise mit einem Durchschnittsalter der Gäste von 65 Jahren also absolut denkbar.
Wir reden von Seegang wenn sich das Schiff bewegt. Wir sind auch keine Nautiker. Ein Nautiker hat Worte für jede Art der Schiffsbewegung, da gibt es Rollen und Stampfen und den Schwell und was
nicht noch alles. Das ist so, wie die Samen in Lappland dutzende Wörter für Rentier haben und wir halt nur eins. Der Nautiker weiß den Unterschied zwischen Bewegungen im Schiff, die durch Wind
oder durch Wellen hervorgerufen werden – für mich persönlich ist das relativ egal, denn wenn es schaukelt, schaukelt es halt. Eine Gästin namens Schulz hat das mal sehr treffend beschrieben. Sie
sei selbst zur See gefahren, erzählte sie mir, und könne alles gut ab, aber ganz übel ginge es ihr, wenn es Strömlinge gibt. „Aaach, diese Strömlinge!“ sagte sie und ich glaube, sie war
vielleicht betrunken, denn ihre Mitreisenden verdrehten nur die Augen und sahen sie etwas mitleidig an. Jedenfalls sind bei mir seit nunmehr anderthalb Jahren die Strömlinge Schuld, wenn ich mich
mal wieder mit einer seegangsbezogenen Matschbirne zum Mittagsschlaf zurückziehe. Dass es tatsächlich Strömlinge gibt, wissen die wenigsten. Dass es tatsächlich Fische sind, hilft der ganzen
Seegangssache irgendwie auch nicht wirklich.
Jedenfalls waren es wohl die Schulz’schen Strömlinge, die unser Schiff zum Wanken brachten, denn es gab nicht wirklich Wellen auf der Überfahrt nach Island. Die Seetage waren tatsächlich ziemlich
perfekt und hätten wir an Seetagen frei, wären wir wohl in Scharen auf Deck 6 gelegen und hätten uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.
In Island war das Wetter nicht mehr ganz so schön, aber auch hier war ich ja schonmal gewesen und weil eine blöde Sicherheitsübung dazwischen kam, durfte ich keinen aufregenden Ausflug mit dem
Allrad-Jeep in die Natur machen, sondern fuhr mit 900 AIDA-Urlaubern zum Geysir, den ich schon so gut kenne. Schade, aber wir sind hier ja nicht beim Kindergeburtstag und das Leben ist auch kein
Wunschkonzert und außerdem war ich ja grade erst Heli geflogen.
Was besonderes gab es trotzdem und ich hätte es fast verpasst, hätte meine Reiseleiterin mich nicht darauf aufmerksam gemacht. Eine sogenannte Glitzky erschien über der Straße, ein
Wetterphänomen, was es wohl so nur hier gibt. Glitzky übersetzt sich ungefähr zu „Glitzer-Wolke“ oder korrekter in Deutsch „Perlmuttwolke“ und genauso sieht es aus. Leider hatten wir schon so
einen bewölkten Himmel, sonst wäre sie noch beeindruckender gewesen. So hatten wir aber trotzdem einen glitzernden Fleck im Himmel, der aussah wie eine kleine Scherbe Regenbogen. Das Prinzip
hinter der Entstehung ist ein bisschen ähnlich wie beim Regenbogen (jedenfalls für den meteorologischen Laien): wenn die Temperatur in der Stratosphäre auf zwischen -50 und -70°C sinkt und es am
Boden aber noch warm genug ist, dann bilden sich dort oben Eiskristalle in der Luft und das Sonnenlicht bricht sich darin wie beim Regenbogen. Ein unheimlich seltenes Naturschauspiel, wie es
heißt. Ich glaube aber, dass ich in unserem Bus die einzige war, die das wirklich cool fand.
Der spannende Teil unserer Reise stand aber ja auch noch bevor – und dank der Akupressurpunkt-drückenden-Seegangsarmbänder konnte mich gar nichts aus der Bahn werfen auf der Überfahrt nach
Grönland.
Kommentar schreiben
Michael aus Fulda (Dienstag, 02 Oktober 2018 18:31)
Hier ist ein schönes Video einer stürmischen Seefahrt nach Kap Horn:
Dutch schooner OOSTERSCHELDE, sailing from New Zealand to Cape Horn in 1997
http://www.youtube.com/watch?v=eE4EKQ35gO8
Das Gedicht, das darin vorgelesen wird heißt “Sea Fever”:
"Sea Fever" by John Masefield (read by Tom O'Bedlam)
http://www.youtube.com/watch?v=39hLh_QFqQo