Eine kleine Umstellung ist es ja schon, so gar nicht mehr auf Ausflug zu gehen. Wo früher der Ausflugsbus mein Haupt-Arbeitsplatz war, ist es jetzt der Schreibtisch und mein kleines Büro auf Deck 4. Ich freue mich jeden Tag aufs Neue über mein Bullauge auf der Kabine, denn unser Büro hat leider kein Fenster und so ist das einzige Tageslicht, was ich an Bord sehe, das, was es auf Kabine gibt. Gerade ist es wieder richtig frisch geworden, obwohl letzte Woche noch über 30 Grad in Stockholm waren. Gestern sind wir dafür so richtig eingeregnet auf der Pier und bei dem Wind hab ich dann abends auch keine Lust mehr, groß draußen zu sitzen.
So langsam komme ich in eine Art Routine. Die zweite Ostsee-Runde ist um und allmählich stellt sich das Gefühl ein, zu wissen, was man eigentlich zu tun hat. Die Phase des Beschnupperns mit Chef
Frank hat sich auch langsam aber sicher in eine Art freundschaftliche Kollegialität gewandelt und jetzt ist die Stimmung im Büro immer sehr entspannt. Mein Scout-Team mag mich gern (so wird es
mir jedenfalls erzählt) und das ist ja eigentlich die Hauptsache. Ich glaube, ich bin kein allzu strenger Chef, aber bisher haben mir meine Scouts auch noch nie einen Grund gegeben, auf den Tisch
zu hauen und laut zu werden. Und wenn es doch mal dazu kommen sollte, hat Frank mir schon angeboten, dass ich ihn zum Rumpoltern immer gerne dazu holen darf, denn das macht er gut und gern.
Mit anderen Abteilungen kommt man natürlich auch viel schneller in Kontakt als es früher der Fall war. Den ganzen Tag flitzen Emails zwischen den Büros hin und her und irgendwann kennt man
einfach die meisten, wenn auch vielleicht nur vom Namen. Aber dann kann man ja immer noch stalken gehen und in unserem Bord-Fernsehen die Offiziersfotos durchforsten und schauen, mit wem man da
eigentlich die ganze Zeit kommuniziert.
Pause machen muss ich noch lernen. Auch wenn die Routine langsam kommt, so ganz ist sie eben noch nicht verinnerlicht und ich brauche für alles noch etwas länger, als ich gerne würde. Dadurch kommt die Pause manchmal (okay…meistens) zu kurz und ich bin noch weit entfernt von der alten Redewendung, die bei vielen tatsächlich zu gelten scheint: „Zwischen zwölf und vier schläft der Offizier“. Ein Stündchen am Nachmittag konnte ich diese Reise sogar zwei Mal am Hafentag einlegen, das war richtig schön (vor allem wegen dem Tageslicht auf Kabine). Die Seetage sind recht entspannt für mich. Am ersten Seetag nach Kiel stehen alle Scouts an allen Schaltern verteilt und verkaufen, was das Zeug hält, während ich mir einen feinen Lenz mache und vor mich hin vorbereite, was für die anstehenden Hafentage schon vorbereitet werden kann. Am zweiten Seetag wird nichts mehr verkauft aus Mangel an weiteren Hafentagen, da beschäftige ich mich hauptsächlich damit, den Stapel an Beschwerdezetteln abzuarbeiten, der sich über die Woche auf meinem Tisch ansammelt.
Vorige Woche hatte ich eine interessante und unfreiwillige Pause am Nachmittag. Wir lagen nicht in Stockholm wie üblich, sondern in Nynäshamn, einem Örtchen etwa 70 Kilometer entfernt. Bei Wind
kommt man dort besser hin, denn Stockholm liegt im sogenannten Schärengarten, ist also erst nach einer etwa dreieinhalbstündigen Fahrt durch flaches und teilweise enges Gewässer erreichbar, in
dem überall kleine Inselchen und Felsen liegen. Ein sehr schwieriges Gebiet und daher dürfen wir das auch nur mit speziell ausgebildeten Schären-Lotsen, die dafür an Bord kommen und dann den
bestbezahlten Job hier haben. Mit einer Segelfläche von zwölfeinhalb tausend Quadratmetern wird es schwierig, so präzise zu navigieren und daher können wir bei einer Windstärke von mehr als zehn
Metern pro Sekunde die Einfahrt in die Schären knicken. Wir haben zwar keine Segel, aber mit ziemlich genau 300 Metern Länge und 16 Decks über Wasser bieten wir dem Wind eine ziemlich ordentliche
Angriffsfläche. Wer die Gorch Fock kennt, Deutschlands wohl bekanntestes Segelschulschiff, kann sich ihre riesigen Segel vorstellen – die haben eine Segelfläche von etwa 2.300
Quadratmetern.
Weil die Sicherheit vorgeht, hat der Kapitän also beschlossen, nicht nach Stockholm reinzufahren, sondern in Nynäshamn zu bleiben. Außer, dass kein Mensch den Namen richtig auszusprechen vermag,
gibt es eigentlich kaum Unterschiede im Ausflugsprogramm, außer, dass jeder Ausflug zwei extra Stunden Fahrt beinhaltet, um nach Stockholm und zurück zu kommen.
Schon das Anlegen in Nynäshamn war ein Abenteuer. Das gesamte Team stand schon bereit um an Land zu gehen, da war noch gar keine Pier in Sicht. Weil der Kreuzfahrthafen wirklich klein und nicht
gut ausgebaut ist, gibt es keine feste Pier, sondern einen sogenannten Sea Walk, eine Art beweglichen Steg, der ausgefahren wird und auf Pontons befestigt ist. Der bewegt sich also mit dem
Seegang und bleibt damit in einer konstanten Höhe zur Luke des Schiffes. Schon das Festmachen war offenbar nicht ganz so einfach wie gedacht, denn es zog sich ewig hin. Endlich draußen, freuten
wir uns schon sehr, dass wir endlich eine schöne Möglichkeit hatten, das ganze Schiff aufs Foto zu bekommen, denn sonst ist meistens der ein oder andere Container oder ein Hafenterminal oder ein
anderes Kreuzfahrtschiff dazwischen. Über Mittag waren alle Ausflüge und damit alle Scouts weg, also schnappte ich mir die Fotomanagerin, damit sie ein schönes Foto für die Offizierswand von mir
schießen konnte. Der Himmel war bewölkt und die Lichtverhältnisse nicht ideal, aber hey, immerhin ein Foto mit dem Kussmund im Hintergrund.
Gerade als wir uns aufmachten zurück Richtung Schiff, tat es neben uns einen wahnsinnigen Knall wie ein Kanonenschuss. Alle auf dem Sea Walk zuckten zusammen und duckten sich, doch es war nur
eine unserer Leinen am Bug gerissen. „Nur“ ist dabei etwas untertrieben, denn wenn so eine Leine reißt, ist das eine hochernste Angelegenheit. Wir waren alle recht froh, dass der Sea Walk so weit
weg lag und die Leine glatt in zwei gerissen ist, denn fliegende Seilteile sind kein Spaß, wenn sie in die Nähe von offener Haut oder Augen kommen. Da ist eine irrsinnige Spannung auf so einem
Tau und wir hatten Glück, dass keiner von einem der Enden getroffen wurde.
Etwa siebzig Meter trennten uns noch von der Luke um zurück an Bord zu gehen, da kam einer der Securitys uns entgegen gerannt, wedelte wild mit den Armen und brüllte „Zurück! Alle zurück!“, also
marschierten wir den Seawalk entlang wieder bis an Land. Dort sagte man uns, dass der Seawalk neu ausgerichtet werden musste und das so zwanzig Minuten dauern könnte. Also richteten wir uns
gemütlich auf den Parkbänken im Hafen ein und schauten den Wolken beim Verziehen zu. Irgendwann war der Himmel so klar und blau, dass die Fotomanagerin glatt noch ein schöneres Foto von mir
schießen konnte. Auch mal ganz spannend, so eine Seawalk-Operation von außen mitzuerleben. Das ganze Ding wurde zusammengeklappt und zurück an Land gefahren mithilfe eines Motors am Ende der
Brücke, dann wurden die Leinen neu ausgelegt und das inzwischen ziemlich schwankende Schiff wieder festgezurrt. Dann wurde der Seawalk zurückgerudert bis er wieder andockte und schwupps, war das
Schiff nach zweieinhalb Stunden auch schon wieder fest.
Naja…es war zwar eine unfreiwillige Pause, aber immerhin eine Pause – und eine Pause in der Sonne noch dazu.
Und: für nächste Woche hat mir Chef Frank einen halben Tag Urlaub versprochen, also darf ich mir einen Hafen aussuchen, wo er die Abwicklungen auf der Pier komplett alleine übernimmt und ich gleich morgens mit raus auf Tour gehe.
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