Grade war ich so richtig in der Ostsee angekommen, mit einer Route, die sich alle sieben Tage wiederholt und keine Überraschungen bereit hält, da mussten wir auch schon wieder weg. Nur für zwei Wochen zwar, aber die zwei Wochen hatten es definitiv in sich. Es ging nach Norwegen, und obwohl ich es da so gerne mag – mit einem bis zum Zerbersten vollgestopften Schiff und 4.300 Sommerferien-Gästen an Bord ist Norwegen echt kein Spaß.
Alle norwegischen Häfen unserer zwei Sieben-Tages-Touren wurden zum ersten Mal von einem der großen AIDA-Schiffe angelaufen. Die Ausflüge und die Agenturen kennen wir alle von unseren kleineren
Schwestern, aber es ist eben doch nochmal was anderes, wenn statt den üblichen zweieinhalb Tausend Gästen plötzlich fast das doppelte rausgekippt wird. Bergen und Ålesund haben kein Problem mit
großen Kreuzfahrtschiffen. Klar, die Innenstädte sind voll und die Häfen wuselig, aber an sich verläuft sich alles recht gut, weil es außenrum auch so viel zu sehen gibt und viele unserer Gäste
lieber gleich individuell losziehen. In Ålesund regneten wir beim Erstanlauf so richtig ein, aber in der zweiten Woche arbeitete ich so weit im Voraus, dass ich es tatsächlich schaffte, den Hafen
für zwei Stunden zu verlassen und ganz allein im alten Hafen zu sitzen und fangfrischen Fisch zu essen.
Manchmal werde ich komisch angeschaut, wenn ich auf die Frage, mit wem ich draußen war, antworte „mit gar niemandem“. Aber wenn ich monatelang 24 Stunden am Tag mit anderen aufeinander klebe, ist
es wirklich schön, einfach mal alleine irgendwo zu sitzen, inkognito natürlich ohne Uniform und mit Sonnenbrille, damit auch keiner der Gäste einen erkennt. Ein Traum, und dieses Mal sogar im
strahlenden Sonnenschein.
In den anderen norwegischen Häfen hatte ich nicht ganz so viel Glück mit meiner Pausenplanung, denn die sind einfach nicht auf so viele Menschen ausgelegt und irgendwie ging jeden Tag irgendetwas
schief. Die eine Pause, die ich in Eidfjord hätte haben können, war gerade lang genug, um den letzten Bissen meiner Erdbeerwaffel runter zu schlucken, dann ging schon wieder mein Telefon und ich
musste zurück sprinten zum Schiff. Wenigstens sind die Wege kurz in Eidfjord, denn mit nur 900 Einwohnern braucht ein Dorf nicht so viele lange Straßen. Die wenigen Gäste, die keinen Ausflug mit
uns gebucht hatten, kamen gefühlt alle irgendwann auf der Pier zu mir um zu fragen, ob wir noch einen Ausflug für sie hätten – tja, wenn man uns eben nicht glaubt, wenn wir vorher sagen, dass es
dort nicht wirklich was individuell zu erkunden gibt…
In so einem kleinen Dorf ist es echt schwierig, genug Busse und Reiseleiter zu organisieren, daher brachte unsere Ausflugsagentur Busse von überall her. Wir hatten Nummernschilder aus Schweden,
Tschechien, Finnland, Dänemark, die wenigsten kamen aus Norwegen. Entsprechend konnte kaum ein Busfahrer Norwegisch oder Englisch, sodass die Reiseleiter ordentlich zu kämpfen hatten. Auch sie
kamen von überall her in Norwegen und reisen den Schiffen immer an Land nach, also hatten wir in allen Häfen ziemlich die gleichen Reiseleiter.
Weil es so schwierig ist, Busse zu beschaffen, müssen die vorbuchbaren Ausflüge genau im Auge behalten werden, damit auch ja nicht zu viele Plätze verkauft werden. In allen anderen Häfen auf unserer Route war es gar kein Problem, auch am Abend vorher noch kurzfristig größere Busse anzufragen, aber in Eidfjord standen wir regelmäßig vor so vollen Bussen, dass wir sogar Familien trennen mussten, weil wir vorher falsch informiert worden waren. Wo Babys unter zwei Jahren bei uns kostenlos auf Ausflug gehen, haben sie keinen Sitzplatzanspruch, sondern fahren bei ihren Eltern auf dem Schoß mit (außerdem haben wir ja immer ein paar Extraplätze, die wir leer lassen für den Fall). In Norwegen hieß es plötzlich auf der Pier, dass Babys im Kindersitz zu fahren haben und deswegen einen Sitzplatz brauchen. Eine Information darüber gab es vorher nicht und so standen wir vor der interessanten Situation, dass wir 298 Gäste auf einen Ausflug gebucht hatten und 298 Sitzplätze zur Verfügung hatten. Das war ein Gewusel, ich sag’s euch, und wären nicht die fünf Hansel krank gewesen, wären wir echt in die Bredouille gekommen.
Irgendwie funktioniert es halt dann doch immer irgendwie. Vor der richtig großen Herausforderung standen wir zwei Tage später in einem ebenso kleinen Kaff namens Nordfjordeid. Dort wurde erst vor
ein paar Jahren ein mobiler Anlegesteg (wie in Nynäshamn) gebaut, da die Bucht keinen Platz zum sicheren Anlegen von Kreuzfahrtschiffen bietet. Wir waren somit eins der ersten großen Schiffe, die
jemals nach Nordfjordeid gefahren sind und das Dorf war völlig überfordert. Die meisten unserer Ausflüge waren nur einen halben Tag lang, also mussten die wenigen Geschäfte und Cafés in der
Innenstadt irgendwie mit den mehreren Tausend AIDA-Gästen fertig werden, die entweder vor- oder nachmittags die Hauptstraße stürmten (übrigens so ziemlich die einzige Straße, die es sich
überhaupt zu erwähnen lohnt). Um kurz nach vier machten alle Cafés zu – wegen ausverkauft.
Ich weiß ja nicht, wessen Idee es war, mit über 4.000 Gästen solche Orte anzufahren, aber derjenige hat mir Norwegen mit dem Schiff ziemlich vermiest und ich hoffe inständig, dass ich nicht
nochmal hin muss.
Wie entspannend war es, als letzten Hafen unserer zwei Wochen Norwegen nach Kopenhagen zu fahren! Kopenhagen ist natürlich die Hauptstadt von Norwegen, oder jedenfalls war das die Standardantwort, wenn wir gefragt wurden, wieso wir Kopenhagen auf der Norwegen-Route anfahren. Nur zwei meiner Scouts waren schonmal in Kopenhagen gewesen und das ist einer der wenigen Häfen, wo irgendwie alles immer einigermaßen gut funktioniert. Die Reiseleiter sind üblicherweise deutschsprachige Studenten, für die das ein richtig gut bezahlter Job ist, weswegen sie sich richtig viel Mühe geben und mit Taschen voll Trinkgeld abends heimgehen. Es gibt nur Halbtages-Ausflüge, die alle spätestens um 11 Uhr losgefahren sind und danach ist an sich nichts mehr auf der Pier zu tun. Also setzte ich einen Hundeblick auf und fragte Chef Lennart, ob er unbedingt Scouts auf Ausflug haben wollte und als er verneinte, organisierte ich einen eigenen Ausflug für mein ganzes Team. Mit zwei Kopenhagen-erfahrenen Scouts an meiner Seite machte ich also selbst eine Stadtführung mit meinen Scouts und nach zwei unglaublich stressigen Wochen in Norwegen war das genau das, was wir alle (und ich ganz besonders) brauchten: Sonne, keine Hektik, Mittagessen auf dem Street-Food-Market, ein riesiges Softeis mit bunten Streuseln und ein richtig entspannter Bummel entlang des alten Hafens.
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Julian (Donnerstag, 31 Oktober 2019 17:31)
Norwegen sieht aus wie der Europapark :'D
Michael aus Fulda (Freitag, 01 November 2019 18:04)
Heute soll es nicht um norwegische Kultur, Natur und Geschichte gehen, denn Edvard Grieg und Edvard Munch sind ja allgemein bekannt. Die Norweger haben etwas, worum ich sie wirklich beneide, denn sie haben einen prall gefüllten Staatsfond, der erfolgreich gemanagt wird. Vielleicht sollten wir von ihnen lernen.
Ich zitiere aus https://de.extraetf.com/wissen/investieren-wie-der-norwegische-staatsfonds
„Die Norweger können sich glücklich schätzen. Und das tun sie auch. Laut World Happiness Report 2019 ist Norwegen die drittglücklichste Nation. 2017 lagen die Nord-Europäer sogar auf Platz eins. Im Land der Fjorde lässt es sich gut leben. Treiber des norwegischen Glücks dürfte mitunter der prall gefüllte norwegische Staatsfonds sein. Das Gesamtvolumen beträgt etwa 8,9 Billionen Kronen – eine dreizehnstellige Summe (Stand: 27. März 2019). Er macht jeden der 5,36 Millionen Norweger in Kronen gerechnet zum Millionär. In Euro umgerechnet ergibt sich für jeden Einwohner des Landes ein Wert von rund 165.000 Euro.“
„Wie kam es zum norwegischen Staatsfonds?
Den norwegischen Staatsfonds gibt es seit 1998. Der Reichtum Norwegens speist sich größtenteils aus dem Öl- und Gas-Geschäft. Um die sprudelnden Einnahmen für künftige Generationen lukrativ anzulegen, entschlossen sich die Skandinavier, diese im großen Stil anzulegen, für die Zeit nach dem Öl. Die Verantwortlichen tauschen also Norwegens Öl und Gas gegen internationale Unternehmensbeteiligungen. All diese Beteiligungen machen den norwegischen Staatsfonds zum größten Aktionär der Welt. Im Schnitt gehören ihm 1,4 Prozent der Anteile von jedem Unternehmen – auf der ganzen Welt.
Wie investiert der norwegischen Staatsfonds?
Seit Auflage des Pensionsfonds konnte dieser mit durchschnittlich sechs Prozent im Jahr eine höhere Rendite einfahren als der Dax. Bei gleichzeitig niedrigerem Risiko.“
Hat Deutschland etwas falsch gemacht? Wir haben zwar keine Erdöl- und Erdgasvorkommen, aber seit Jahren haben wir Exportüberschüsse erarbeitet und was ist mit denen und den anderen Einnahmen geschehen?
Sie sollten wie in Norwegen nicht nur der Oberschicht zugutekommen, sondern der ganzen Bevölkerung und den nachfolgenden Generationen.