Acht Jahre lang stand eine Einladung im Raum. Acht Jahre lang recherchierte ich und überlegte ich. Und nun hat es geklappt: ich konnte meine Ex-Kollegin Rita und ihre Familie endlich in Finnland besuchen! Weil nur Flüge nach Helsinki wirklich leicht zu planen sind und Rita aber nicht in der Hauptstadt wohnt, erweiterte ich den Besuch bei ihr natürlich mit einem Trip Richtung Norden, damit sich die Anreise auch lohnt.
Über Helsinki muss man praktisch immer, wenn man nach Finnland will. Da ich dort aber mit AIDA schon öfters war, stieg ich direkt um in die kleine Propellermaschine, die gerade gelandet war. Das Flugzeug war aus dem Norden gekommen und ich konnte aufs Rollfeld schauen. Es stiegen 17 Passagiere aus, 5 Koffer und 14 (!) gigantische Ski-Taschen. Ich stellte mich also auf einigermaßen viel Schnee ein und wurde nicht enttäuscht. Schon der Anflug auf den Flughafen Vaasa (nein, nicht da, wo das Knäckebrot herkommt) war ziemlich beeindruckend mit so viel Schnee überall.
Die größeren Straßen werden geräumt, aber die meisten Einheimischen fahren den ganzen Winter durch mit Spikes auf den Reifen. Ein paar Minuten bevor man ins Auto steigt, wirft man die
"Motorheizung" an, hierzu gibt es auf den Parkplätzen vor den Häusern kleine Kästchen, an die man ein Kabel anschließen kann, und die werden mit dem Auto verbunden und wärmen den Motor auf, damit
der schneller anspringt und nicht so oft abschmiert. Schöner Nebeneffekt: auch im Auto wird es dadurch muckelig warm.
Die Fußwege bestehen aus gefühlt zentimeterdicken Schichten Streugut, sodass man gar nicht weiß, ob der Boden drunter geteert, aus Stein oder vielleicht sogar mit Kopfsteinpflaster belegt ist.
Man gewöhnt sich recht schnell einen Gang an, der auf etwaige glatte Stellen vorbereitet ist. Ich bin entgegen aller meiner Erwartungen im ganzen Urlaub kein einziges Mal ausgerutscht.
Damit ich gleich die volle Dröhnung Arktis abbekomme, nahmen mich Rita & Co mit in den Ähtäri-Zoo, wo es ganz viele einheimische Tierchen in riesigen wildpark-ähnlichen Gehegen zu gucken gibt. Neben Schneeleopard, Elch, Luchs, Fuchs, Vielfraß und Braunbär war aber das größte Highlight das Panda-Haus, wo zwei chinesische Pandas zur Untermiete wohnen. Die waren ganz aktiv, haben im Schnee getollt, Bambus geschlemmt und dann ein ganz putziges Nickerchen gehalten. Und ja, ich weiß, dass Pandas in Lappland eher nicht einheimisch sind, aber in China leben sie immerhin auch im Schnee und so haben sie hier ähnliche Verhältnisse wie in ihrer Heimat.
Auf dem Rückweg gab es ein einheimisches Erlebnis der ganz anderen Art: im 500-Seelen-Dorf Tuuri steht mitten im Nirgendwo neben einem riesigen Parkplatz ein gigantischer Palast mit Türmchen und Zinnen in knallgelb. Es ist das größte Kaufhaus Finnlands mit etwa 6 Millionen Besuchern jährlich. Ihr könnt ja mal auf der Website tuuri.fi schauen, da gibt es tolle Eindrücke, wie protzig es aussieht. Innen drin erinnert das Zentrum an die Malls in Dubai und an jeder Ecke stehen goldene Einhörner und riesige goldene Hufeisen, denn das finnische Wort „tuuri“ heißt „Glück“. Das war wirklich ein bisschen verrückt und mehr als nur dezent kitschig, aber Leute aus ganz Finnland nehmen den langen Weg in die Pampa auf sich, um hierher zu kommen. Und immerhin kenne ich jetzt eins der „top 10 ugly buildings“ aus dem entsprechenden Reuters-Report von 2005.
Drei Tage verbrachte ich bei Rita und ihren Jungs, dann machte mir ein Streik der finnischen Bahn einen Strich durch meine sorgfältig recherchierte weitere Reiseplanung. Schulfreundin Julia sollte mich von Helsinki aus mit dem Zug einsammeln kommen, damit wir uns gemeinsam in Richtung Norden aufmachen konnten. Daraus wurde nichts, also gab es eine spontane Nacht in Flughafennähe in Vaasa, dann einen mittäglichen und sündhaft teuren Regionalflug zurück nach Helsinki und von dort einen weiteren Flug nach Rovaniemi, Hauptstadt von Finnisch-Lappland, den dann aber in Gesellschaft von Julia und zwei Koffern vollgestopft mit Winterjacken, Skihosen, Thermoleggins und dicken Socken.
Lappland ist nicht nur in Finnland. Schweden, Norwegen und Russland haben auch Lappen bzw. Samen, wie die Ureinwohner heute richtiger heißen. Nicht-Ureinwohner gibt es aber heute mehr in dieser Region. Laut Wikipedia nennt man Lappland den „nördlich des Polarkreises liegenden Teil Fennoskandinaviens“, also den nördlichen Teil der riesigen Halbinsel, die komplett Skandinavien und das kleine nordwestliche Fitzelchen Russlands beinhaltet. Egal in welchem Land man sich politisch aufhält, die Bevölkerungsdichte liegt nur bei zwei Personen pro Quadratkilometer, und das auf einer Fläche so groß wie Neuseeland. Natürlich wohnen in Rovaniemi schon über 60.000 Einwohner, sodass ihr euch vorstellen könnt, wie viel Nichts es außenrum geben muss. Fun Fact: diverse kleinere Ortschaften außenrum wurden eingemeindet, und heute ist Rovaniemi somit die flächengrößte Stadt Europas, und Luxemburg würde drei Mal in Rovaniemi reinpassen.
Die Stadt ist erstaunlich modern, was aber Sinn ergibt, wenn man sich die Geschichte anschaut: die Deutschen haben die gesamte Stadt im zweiten Weltkrieg zerstört, also wurde erst in der näheren Vergangenheit alles wieder aufgebaut. Der Grundriss der Stadt soll die Form eines Rentiers haben, ich sehe es aber nicht wenn ich mir die Karte anschaue. Für uns war ein kleines Highlight der Lordin Aukio oder Lordi-Platz, wo in Erinnerung an den allerersten finnischen Eurovision-Sieg von 2006 eine Steinplatte mit den Handabdrücken aller Band-Mitglieder zu finden ist. Einer davon hat riesige Pranken, der andere hat lange Krallen…
Im Taxi, das wir uns vom Flughafen mit zwei Deutschen geteilt hatten, hatten die berichtet von einem tollen dunklen Ort in Zentrumsnähe, wo man „ganz sicher“ Nordlichter sehen könne. Naja, „ganz sicher“ nehme ich ja meist nicht ganz so ernst wenn es um tolle Naturspektakel geht, für die man viel Glück braucht. Aber aktuell sind die Sonnenwinde sehr aktiv und die Wahrscheinlichkeit tatsächlich sehr hoch – und in der Tat: gleich an unserem ersten Abend gab es die ersten Nordlichter zu bestaunen! Dazu aber später mehr, wenn es richtig aufregend wird, was die Sonne uns so entgegen geschleudert hat.
Von Rovaniemi muss man das Santa Claus Village besuchen, das gehört einfach dazu. Hier hat der Weihnachtsmann sein Postamt direkt am Polarkreis, wo seine Elfen die Briefe in einem großen Regal nach Land sortieren und dann beantworten. Wenn man hier eine Postkarte in den Kasten wirft, bekommt die Briefmarke einen speziellen Polarkreis-Stempel, den es nur hier gibt (wobei ich so einen Stempel auch schon mal „nur hier“ am Nordkap in Norwegen bekommen habe, wenn ich mich recht erinnere).
Nebenan steht Roosevelt-Cottage, eine kleine Hütte, die eigentlich recht unauffällig ist. Aber die Geschichte ist ganz nett: als Rovaniemi wieder aufgebaut werden sollte, war die Region einer der
ersten Empfänger von Hilfen durch die UN. Eleanor Roosevelt war als Aktivistin bekannt und wollte 1950 nach Rovaniemi reisen, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Sie wollte unbedingt den
Polarkreis überqueren, wo sie schon mal da war. Da der Polarkreis aber ein Stück außerhalb mitten in der Wildnis liegt, wollte der örtliche Bürgermeister dort eine Hütte für sie erbauen. Mit nur
zwei Wochen Zeit für Entwurf, Planung und Bau war das in diesen kalten Gefilden eine krasse Aufgabe, aber sie wurde durch die Zusammenarbeit der ganzen Region möglich gemacht und die Tür wurde
zeitgleich mit Roosevelts Landung eingesetzt.
Neben dem Cottage hat auch Mrs Claus ein kleines Häuschen auf dem Gelände, es gibt ein paar Rentiere, viele Souvenirläden und ein großes Thermometer, das die Temperatur am Polarkreis anzeigt. Wir
waren leicht geschockt, als da minus 10 Grad stand. Da waren wir noch leichtgläubig und dachten, das wäre super kalt…
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