Lass' noch Wodka holen

Wir haben zwar nicht ganze Länder und Regionen erobert und daraus ein riesiges Reich zwischen Chinas Ostküste und der heutigen Türkei gegründet. Aber wenigstens sind wir dort gewandelt, wo Dschingis Khan auch schon war auf seinen Feldzügen. Vor nicht ganz 800 Jahren war das und obwohl sich seither ziemlich viel verändert hat, kann man es doch noch irgendwie erahnen, wie es hier früher zugegangen sein mag.

Aydarko'l
Aydarko'l

Samarkand und Bukhara waren von so großer Bedeutung, dass sie natürlich von Dschingis Khan erobert werden mussten. Beide waren irgendwann in der usbekischen Geschichte mal Hauptstadt, seit 1917 ist es Tashkent, aber dort kamen wir erst wieder zum Ende unserer Reise hin. Vorher ging es noch weiter durch dieses gigantische Land, in dem es so viel Nichts gibt, das aber immer noch alle paar Kilometer mal anders aussieht. Mal sieht man hohe Berge am Horizont, dann wieder Steppenlandschaft, zwischendurch wird es eher sandig. Bevor man an den Aydarko’l kommt, sieht es noch gar nicht aus, als ob da gleich eine Wasserfläche auftauchen würde, die vom Ufer erstmal auch ein Meer sein könnte. Der See ist künstlich entstanden aus einem Überlaufbecken einer Talsperre. Heute ist er riesig groß mit über dreieinhalbtausend Quadratkilometern. In der Hochsaison scheint der See von Einheimischen gern besucht zu werden, es sah aus, als bereiteten sie sich gerade auf die Eröffnung ihres Strandrestaurants vor. Wirklich schön fanden wir es am Ufer zwar nicht, aber die ruckelige Fahrt dahin war ganz witzig.

Ruckelpiste zum Aydarko'l mit Brokkoli-Bäumchen
Ruckelpiste zum Aydarko'l mit Brokkoli-Bäumchen

Hier stehen kleine Bäumchen, die exakt so aussehen wie Brokkoli-Röschen, und entlang der Straße sieht man richtig viele Schildkröten. Seltsam, denn obwohl Wasser in der Nähe ist, ist außenrum wirklich extrem trocken ohne jeglichen Schatten außerhalb der vereinzelten Brokkolis. Viele Schildkröten sind plattgefahren, eine ganz neue Bedeutung von „Roadkill“. Unsere Fahrer waren aber ganz vorbildlich. Der Beifahrer hielt immer Ausschau, während sich der Fahrer auf die Offroad-Fahrt konzentrierte. Immer wenn er rief, wurde angehalten, der Beifahrer stieg aus und trug eine Schildkröte von der Straße, dann ging das Geholper weiter.

Ausblick über die Oasenstadt Nurota
Ausblick über die Oasenstadt Nurota

Da zwischen den Städten recht wenig ist, nahmen wir alles mit, was es auf dem Weg zu sehen gab. In Nurota machten wir einen Stopp, denn der Ort ist oft Ziel von Pilgerfahrten. Im vierten Jahrhundert n.Chr. wurde die Stadt von Alexander dem Großen gegründet, er hat eine Festung auf einer Anhöhe gebaut, um von dort die Eroberung Samarkands zu planen. Die Ruinen der Festung gibt es heute noch und auch wenn die ziemlich unspektakulär sind, hat sich der anstrengende Aufstieg in der Mittagshitze gelohnt. Der Ausblick über die Stadt zeigt ziemlich deutlich, dass es sich bei Nurota um eine Oase handelt, denn der Ort ist erstaunlich grün, dafür dass außenrum nur Wüste ist.
Die Pilger kommen aber nicht wegen der Festung, sondern wegen der heiligen Quelle am Fuß des Hügels, wo der Legende nach ein Vetter des Propheten Mohammed seinen Stab in die Erde geschlagen hat und daraus eine Quelle entsprang. Heute leben darin sogar heilige Fische und eine Moschee wurde direkt nebenan gebaut.

Jurtencamp in der Wüste
Jurtencamp in der Wüste

Von Nurota ging es weiter zu unserer Unterkunft für eine Nacht mitten in der usbekischen Wüste Qizilqum – der Name bedeutet „roter Sand“, was unser australischer Reisegefährte natürlich direkt augenrollend kommentierte: „die sollen mal zu uns kommen, dann zeig‘ ich denen roten Sand!“ Auch wenn die Wüste nicht so rot ist wie das australische Outback und sicherlich noch andere Wüsten auf der Welt, beeindruckend ist die Landschaft trotzdem. Die Qizilqum ist eine Sand- und Kieswüste, also nicht reine Flächen aus Sand, sondern zwischendurch sogar ein bisschen bewachsen mit Gräsern und kleinen Sträuchern. Man kann auch gut Fuß fassen, weil es eben nicht nur rutschiger Sand ist. Wikipedia sagt dazu, dass vor vielen Millionen Jahren hier ein Binnenmeer mit vielen Inseln lag und als das trockenfiel, blieben die verschiedenen Landschaften einfach erhalten.

im Innern unserer Jurte
im Innern unserer Jurte

Ziemlich lebensfeindlich ist die Region trotzdem und sie wird nur zum Grasen von Ziegen, Schafen und Kamelen genutzt. Ziegen und Schafe sahen wir viele, Kamele leider nur einmal von weitem. Aber die gab es dann später als Fotomotiv nochmal in Bukhara und Khiva, also war ich glücklich.
Heute sind die meisten Hirten irgendwo zu Hause oder leben höchstens noch als Halbnomaden, aber früher zogen die Großfamilien als Nomaden durch die Steppe, immer dahin, wo es genug zum Grasen für das Vieh gab. Dort, wo sie für ein paar Nächte oder auch länger bleiben konnten, errichteten sie ihre Jurten, traditionelle Zelte aus Holzstangen, die mit Woll- und Filzmatten aus Tierhaar bedeckt und mit dicken Teppichen ausgelegt wurden. Und in so einer durften auch wir nächtigen.

genial vertäute Holztür in unserer Jute
genial vertäute Holztür in unserer Jute

In unserem Camp gab es zehn Jurten, dazu einen Speisesaal und ein Klo- und Duschhäuschen wie auf einem Campingplatz. Jede Jurte hatte eine Matte als Vorhang vor der Holztür, die ziemlich schief in ihren Angeln hing, aber doch mehr Licht draußen hält als nur Stoff. Drinnen war alles mit riesigen Teppichen ausgelegt und obwohl wir fünf Betten in unserer Jurte hatten, blieben Julia und ich zu zweit für die Nacht. Als wohlhabende europäische Touristen bekamen wir die Luxus-Variante – mit elektrischem Licht, einer Steckdosenleiste und W-Lan am Lagerfeuer. Nur die elektronischen Schlüsselkarten, die uns Laziz scherzhaft versprochen hatte („denn Usbeken sagen niemals nein, wenn ein Gast gerne etwas hätte“), die gab es dann wirklich nicht.

Mistkäfer
Mistkäfer

Nachts wird es in der Wüste schon mal ordentlich kalt, aber wir mussten gottseidank nachts nicht raus. Davor hatten wir ein bisschen Angst, denn schon beim gemeinsamen Lagerfeuer-Abend mit ganz wunderbarem kasachischem Gesang trafen wir auf das einheimische Wildlife: Mistkäfer so lang wie mein Mittelfinger. Man denkt immer, so eine Wüste ist leblos, aber nein, es gibt ja doch immer Lebewesen zu entdecken. So sahen wir zunächst nur etwas flauschiges im Sand verschwinden und beim Spaziergang in den Dünen öfters mal verdächtig große Bau-Eingangslöcher. Erst am nächsten Tag auf der Busfahrt konnte ich deren Bewohner dann in echt sehen: Erdhörnchen! Die kannte ich bisher nur aus dem Zoo in Form ihrer nahen Verwandten, den Präriehunden oder Murmeltieren. Die haben dann wie Erdmännchen einen Ausgucker auf einer Erhöhung stehen, der ganz aufmerksam die Umgebung beguckt und warnt, sobald Gefahr auftaucht.

auch in der Wüste gibt es Blumen
auch in der Wüste gibt es Blumen

Im Jurtencamp gab es auch endlich das erste Gläschen Wodka. Und wenn ich sage „Gläschen“, dann meine ich es im usbekischen Sinne, also mindestens vier bis sechs cl, was in Deutschland schon einem doppelten oder dreifachen Schnaps entsprechen würde. Aber er war gut und lullte mich genug ein, um besser als erwartet auf der durchgelegenen dünnen Matratze in der Jurte schlafen zu können. Mitreisende Yvonne aus Irland erklärte mir am Abend, dass der Wodka wohl defekt war, denn sonst würden wir wohl den kasachischen Sänger besser verstehen können. Wir waren nicht weit von der kasachischen Grenze und in dieser Region werden usbekisch und kasachisch oft gleichermaßen gesprochen. Wir verstanden kein Wort vom Gesang am Lagerfeuer, aber trotzdem hat man irgendwie erahnen können, worum es geht, denn mal waren seine Lieder getragen traurig, dann wieder wie ein Bierzelt-Hit.

Chor Minor
Chor Minor

Auf jeden Fall war die Nacht im Jurtencamp etwas besonderes und zum Schlaf-Aufholen eignen sich die langen Busfahrten ja in jedem Fall sehr gut, sodass wir einigermaßen fit in Bukhara ankamen. Neben unserem Gruppenprogramm mit Stadtspaziergang und Innenbesichtigungen von allen möglichen schicken Bauwerken, machten Julia und ich uns auf zu unserem eigenen kleinen Abenteuer. Wir liefen erst mal zu Chor Minor, das zwar eins der Wahrzeichen Bukharas sein soll, dafür aber ziemlich versteckt in einem Wohngebiet liegt. Das war aber auch mal ganz nett, raus aus den touristischen Zentren und ein bisschen sehen, wie die Einheimischen hier wirklich so leben. Früher stand hier eine Madrasah, heute steht nur noch das große Tor mit Kuppel und vier sehr hübschen knubbeligen Minaretten. Wir trafen unseren französischen Mitreisenden Vincent, der sich danach auch den Sommerpalast außerhalb der Stadt anschauen wollte, also taten wir uns zusammen um uns ein Taxi zu teilen.

Esel in Nurota
Esel in Nurota

Ohne Internet ist man ja als Mensch meiner Generation schon ein bisschen aufgeschmissen in einem Land, in dem man die Sprache nicht spricht. Ich bin inzwischen ein großer Fan der GoogleMaps-Offlinekarten, die machen das Leben wirklich leichter. Also fanden wir sehr schnell „Chor Bakr“ ein paar Kilometer außerhalb und schlossen „das muss es sein!“ Wir liefen zum nächsten Taxistand, wo wir auch ein Taxi fanden, aber keinen dazugehörigen Fahrer. Ein anderer Typ sprach uns an, er könnte uns fahren, hin und zurück 25 US-Dollar. Vorher hatte uns Laziz gesagt, drei oder vier US-Dollar wären ein angemessener Preis pro Weg, also verneinten wir. Nein hören solche Menschen ja immer höchst ungern, also versuchte er uns noch ein bisschen was am Preis zu drehen, aber wir hatten dann schon keine Lust mehr, mit ihm zu verhandeln. Also besorgte er uns kurzerhand einen älteren Mann, der wohl kein Taxifahrer war, aber ein schönes Auto hatte und uns gerne für 80.000 So’m (also 6,30$) zu Chor Bakr und zurück fahren wollte.

Chor-Bakr-Nekropolis
Chor-Bakr-Nekropolis

Ich war sehr froh, dass wir Vincent dabei hatten, alleine hätten wir uns das nicht getraut, bei einem Mann, der gefühlt zehn Worte Englisch sprach, ins Auto zu steigen. Aber er war ein guter Fahrer und brachte uns wie besprochen zu Chor Bakr. Wir stiegen aus und erwarteten, was Lonely Planet als „Mischung aus russischer Architektur und zentralasiatischem Design in einer Explosion aus Kitsch“ anpreist. Wir steigen aus, der nette Fahrer suchte sich einen Platz im Schatten, wo er auf uns wartete. Und dann: große Enttäuschung. Wo ist der Kitsch? Erst hinter der Kasse fiel uns auf, dass wir wohl eher nicht im Sommerpalast gelandet waren. Dafür aber in einer Nekropole gigantischen Ausmaßes. Hier lag wohl mal ein Nachkomme Mohammeds und um sein Grab haben sich andere Grabstätten entwickelt, die bis ins 16. Jahrhundert hinein erweitert wurden.

irgendwann fallen sie alle ab
irgendwann fallen sie alle ab

Es war unglaublich heiß in dem wenig begrünten Komplex, aber trotz ungeplantem Besuch doch sehr beeindruckend. Auch hierzu hatte Vincents Lonely Planet was zu sagen: „Chor Bakr ist ein guter Ort, um den Tourbus-Horden zu entkommen“ und außerdem „konnte er wenigstens teilweise den gefürchteten usbekischen Restaurierungs-Trupps entkommen.“ Beide Umstände traf er perfekt auf den Punkt, wir waren die einzigen Europäer dort neben zwei weiteren Kleingruppen einheimischer Touristen. Hier sieht man noch sehr gut, wie wohl auch die großen Sehenswürdigkeiten aussahen, bevor restauriert wurde. Und trotzdem war alles sehr imposant.
Selbst der Toilettenbesuch war interessant, denn die Klos waren in einem großen Waschraum mit Fußwaschbecken, und hier war auch das einzige Mal, dass ich von einer Frau angesprochen wurde, ich möge mich doch bedecken. Dazu zwickte sie mich ziemlich hart in den Quadratzentimeter Haut, der zwischen Bluse und Hosenbund sichtbar war – aber immerhin verstand ich so sofort, was sie von mir wollte.

im Sommerpalast des letzten Emirs
im Sommerpalast des letzten Emirs

Fertig Gräber geschaut, hatten wir nun doch noch Lust, den Sommerpalast anzuschauen. Also bequatschten wir unseren geduldigen Fahrer, ob er uns noch länger begleiten würde, wir verhandelten einen neuen immer noch sehr fairen Preis mit ihm und so fuhr er uns in die andere Richtung aus der Stadt raus nach Sitorai-Mohi-Khosa, wo der letzte Emir um 1915 rum sein Sommerhäuschen hat bauen lassen. Er sparte in der Tat nicht an Kitsch und Pomp, und nur für ihn wurde hier ein 50-Watt-Generator aus Russland verbaut, damit er Strom hatte – den ersten Strom im gesamten Emirat. Vor dem hübschen Haupt-Palast gibt es einen großen Platz, wo Besucher empfangen wurden, bevor sie in den „Receiving Room“ im Palast geleitet wurden. Die Innenräume sind extrem bunt und durcheinander, aber man sieht ihnen an, dass der Auftraggeber Geld hatte und angeben wollte.

Harems-Beobachtungsposten
Harems-Beobachtungsposten

Draußen gibt es tolle Gartenanlagen, wo sich die Hitze ganz gut aushalten ließ. Eine Voliere mit Pfauen kümmerte sich um die passende angeberische Sound-Kulisse. Hinter dem Palast gibt es ein Nebengebäude, das als Harem genutzt wurde, und davor einen Teich. Es heißt, dass der Emir gerne im hölzernen Pavillon nebenan saß und von dort den Frauen beim Baden zugeschaut hat, dann einen Apfel nahm und ihn seiner für diese Nacht auserwählten Bettgenossin zuwarf.
Laut Koran ist es auch heute noch erlaubt, bis zu vier Ehefrauen zu haben. In Usbekistan ist es inzwischen verboten und daher unüblich geworden, sodass der Großteil der Bevölkerung heute nur eine Frau heiratet. Es gibt aber immer noch Männer, die auf ihr Recht laut Koran bestehen. Früher war es vor allem unter Männern mit hohem Titel üblich, mehrere Ehefrauen zu haben, dazu vielleicht auch noch Konkubinen, die meist nur im jungen Alter als Gespielin zur Verfügung stehen mussten, danach blieben sie im Harem, aber wurden in der Küche oder sonstigen Jobs am Hof eingesetzt.

Lokale Frauen (Foto von Yvonne)
Lokale Frauen (Foto von Yvonne)

Unser kleines Abenteuer endete mit dem Zahlen der ungeheuren Summe von 160.000 So’m (11,50€) an unseren Fahrer, der uns in der Innenstadt absetzte. Und abends hatten wir doch ganz schön was zu erzählen am Abendessentisch und beim gemütlichen Absacker mit der jüngeren Hälfte unserer Reisegruppe auf einem Taptschan in einem netten Biergarten. Da bestellte ich mir einen Saft und einen Wodka, um mir was nettes zu mischen. Als der Wodka dann aber im 0,1-Liter-Saftglas kam…naja, when in Zentralasien, do as the locals do!

 

 

 


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