Ach nein, doch jemand da in Kanada, aber wenn man schon mal hier ist, muss der Witz wohl sein – schließlich hören wir ihn jeden Tag mindestens einmal von unseren Gästen und die wissen ja immer, was witzig ist. Besonders doll das Lachen unterdrücken musste ich als ein älterer Herr kam und „Das mit Hapitap“ buchen wollte. Ich geschulter Ausflugsberater erkannte natürlich sofort den Wunsch nach dem Hop-on-Hop-off-Bus und begann entsprechend zu erzählen. Dann kam seine Frau dazu und sagte „Nein, Schatz, du meinst Halifax“…
Der Hop-on-Hop-off-Bus ist dieser Doppeldecker, wo man ein- und aussteigen kann, wie man grade lustig ist, und er ist immer ein schöner Aufhänger, wenn am Abend mal die Themen ausgehen beim Abendessen in der Messe. Auf der diva ging es so weit, dass wir eine dreiseitige Liste im Büro hingen hatten, wo jeder alle Namen drauf geschrieben hat, die er im Laufe der Saison für besagten Bus gehört hat. Ich persönlich nenne ihn am liebsten „Hoppelbus“, unsere Gäste kommen mit so spektakulären Schöpfungen wie Hiphop-, Hop-on-the-Top-, Hupf- und Hippie-Bus oder „Wir wollen gern ‘ne Runde hüpfen“ – und wir wissen immer sofort, was gemeint ist. Also fühle ich mich keiner Schuld bewusst, dass ich Hapitap nicht direkt als Halifax erkannt habe.
Kanada! Endlich ein neues unabhängiges Land auf meiner Liste, auch wenn man die enge Beziehung zu Großbritannien nicht übersehen kann, wenn man ankommt. Irgendwie scheint diese Ecke Kanadas eine Mischung aus England und den USA zu sein, sowohl wenn man sich Architektur und Gärten anschaut als auch wenn man den Einheimischen beim Reden zuhört. Der erste Eindruck war definitiv ein schöner, denn das Wetter war auch noch bombastisch. Um das so gut wie möglich auszunutzen ging es entlang der sogenannten Leuchtturmroute, wo mehr als tausend Leuchttürme und Leuchtsignale installiert wurden, um die Seeleute entlang der sehr gefährlichen Felsküste zu leiten. Heute stehen nicht mehr so viele davon, aber der schönste thront immer noch auf einem tollen Granitplateau im kleinen Örtchen Peggy’s Cove. „Sehr idyllisch“ will man sagen, wären da nicht die 700 Kreuzfahrer, die auf einmal das 40-Seelen-Dorf überrennen. Aber hübsch war es trotzdem und die Postkartenfotos des perfekten Fischerdörfchens sind auch erledigt.
Im Sommer leben tatsächlich noch mehr Menschen in Peggy’s Cove als im restlichen Jahr, denn wenn die Touristen kommen, braucht man ja jemanden für die Touristeninfo und für die kleinen Geschäfte. Sobald die Kreuzfahrtsaison rum ist und das letzte Schiff den Hafen in Hapitap verlässt, wandern diese Leute aus und zurück in die Städte außenrum und Peggy’s Cove wird wieder das, was es eigentlich ist: ein schnuckliges kleines Dorf, das vom Hummerfang lebt. Die Hütten, die im Sommer aussehen, wie Überbleibsel aus einer anderen Zeit werden dann wieder genutzt wie schon vor hundert Jahren und alle Nase lang kommt eins der kleinen Hummerboote zurück mit Kisten voll frischer Hummer. Der größte Hummer aller Zeiten soll vor dieser Küste gefangen worden sein und er war um die hundert Jahre alt. Die Wahrscheinlichkeit, so einen auf dem Teller zu haben, ist allerdings sehr gering, denn von der Küste von Nova Scotia hält man sich an die alten Hummerfanggesetze, die eine gewisse Größe des Hummers vorschreiben. Wenn er zu kurz oder zu lang oder eiertragend ist, muss er freigelassen werden, damit immer ein gesunder Bestand von Jungtieren und von paarungsbereiten älteren Tieren übrig bleibt. Sehr nachhaltig und wenn man die kleinen hölzernen Hummerfallen überall gestapelt sieht, kann man sich nicht wirklich vorstellen, dass diese „Lobster Men“ es schaffen würden, dem Hummerbestand ernsthaft zu schaden.
Man spricht von einer Zwei-Zimmer-Falle, denn in jeder Kiste gibt es zwei Kammern, egal ob die Falle traditionell aus Holz oder modernen aus Kunststoff ist. Die erste ist das Wohnzimmer, darein krabbeln die Hummer, um sich die Leckereien zu holen, die als Köder drinnen befestigt sind. Aus dem Wohnzimmer kann jeder Hummer ohne weiteres wieder rauskrabbeln. Meistens macht er das aber nicht, denn er ist üblicherweise nicht allein wenn es nach Köder riecht. Sobald ein zweiter Hummer das Wohnzimmer betritt, versucht der erste sich zu verteidigen, lässt sich aber immer weiter rückwärts in die Falle drängen und schließlich durch eine Art Trichter ins sogenannte Schlafzimmer. Und wer erstmal im Schlafzimmer angekommen ist, kommt so schnell nicht mehr raus. Ein gemütliches Schlafzimmer ist es allerdings nicht, denn sobald mal mehrere Hummer drin sitzen, wird es erstens ziemlich eng und zweitens ziemlich gewalttätig, denn Hummer mögen generell keine anderen Hummer, also wird sehr viel gerangelt. Manchmal verliert auch einer seine Schere, dann hat er Glück im Unglück gehabt, denn er wird üblicherweise zurück geworfen, nachdem er rausgezogen wurde. In den Scheren ist das saftigste Fleisch und ohne das ist der Hummer für den kommerziellen Fang praktisch wertlos.
Auch in dieser Ecke der Welt hatte das Titanic-Unglück Auswirkungen. Es gibt einen riesigen städtischen Friedhof wenn man zurück nach Halifax fährt und dort eine ganze Sektion für die
Titanic-Opfer. Kanada war das nächste Land und so wurden von hier die Schiffe zur Rettung der Überlebenden und zur Bergung der Toten geschickt. Wer überlebte wurde nach Neufundland gebracht –
Hauptsache, erstmal an Land. Aber was sollte man mit den Toten auf einer Insel vor Kanada? Viele der Passagiere waren sehr reich und die Familien konnten es sich leisten, ihre Toten zurück nach
Hause bringen zu lassen, also wurden die Toten nach Halifax gebracht, um über den Landweg in die USA und gegebenenfalls von dort per Schiff zurück nach Europa geschickt werden zu können.
Wer keine reichen Angehörigen hatte, wurde hier auf dem Friedhof von Fairview Lawn beigesetzt unter einem einfachen Grabstein. Davon gibt es 121 Stück hier, alle sehen gleich aus und sind
angeordnet in der Form eines Schiffsrumpfes. Man könnte meinen, dass es nicht sehr bewegend ist, zusammen mit Gästen von drei Kreuzfahrtschiffen im Hafen die Geschichten des Friedhofes zu hören,
aber falsch. Die Hälfte meiner Reisegruppe brach in Tränen aus als die unglaublich traurigen Schicksale erzählt wurden. Wer nicht identifiziert werden konnte, wurde anonym beigesetzt, aber jeder
Tote hat eine Nummer und es wurde sehr genau Buch darüber geführt, wer wo wann mit welchen Kleidern und Habseligkeiten gefunden wurde, sodass sogar Jahrzehnte später noch Namen nachträglich auf
die Steine gemeißelt werden konnten.
Eine besonders traurige Geschichte gibt es über einen Grabstein, der zu jeder Jahreszeit mit Blumen und Kuscheltieren dekoriert ist. Ein kleiner Junge war noch keine zwei Jahre alt als die
Titanic sank, seine Leiche wurde nach fünf Tagen aus dem Atlantik gezogen, nicht identifiziert und in Fairview beigesetzt. Die Crew des Bergungsschiffes war so berührt vom Tod des Jungen, dass
sie aus eigener Tasche einen speziellen Grabstein anfertigen ließen mit der Aufschrift „In Erinnerung an ein unbekanntes Kind“. Er wurde begraben in seinen Kleidern vom Tag des Unglücks und mit
einer Bronze-Plakette der Bergungscrew über der Brust, die die Worte trug „Our Babe“.
Erst 2001 wurde der Junge endgültig identifiziert als Drittklasse-Passagier aus England und einziges Familienmitglied, das gefunden wurde.
Um die Ecke liegt das Grab von J. Dawson, was auch immer besonders auffällig geschmückt ist. Fans des Titanic-Films pilgern hierher zum Grab ihres Helden Jack Dawson. Leonardo DiCaprios Charakter
basiert auf diesem Grabstein, aber die Geschichte ist eine ganz andere. Der Grabstein gehört tatsächlich zu Joseph Dawson, der ein Crewmitglied war, das bis zuletzt mit seinen Kollegen auf den
untersten Decks Kohle geschaufelt hat, damit das Licht weiter brannte und den Passagieren die Angst minderte.
Sehr bewegend, ein Besuch dort. Die Titanic gehört zur Geschichte von Halifax wie auch die andere Katastrophe nur ein paar Jahre später, die den Rest des Friedhofes mit Gräbern füllte. 1917 kollidierten zwei Schiffe in der Halifaxer Bucht und dummerweise war eins davon ein bis zum Rand mit Munition gefüllter Frachter. Der Frachter ging in Flammen aus, mitten in der Rush Hour strömten die Leute aus ihren Geschäften und Büros und runter zum Ufer um zu schauen, ob sie helfen können. Dann explodierte die Ladung und 2.000 Menschen kamen ums Leben. Eine Flut- und Druckwelle machte alles bis zum entferntesten Ende der neuschottischen Halbinsel dem Erdboden gleich. Heute sieht man den großen Unterschied zu anderen kanadischen Städten an der Ostküste: Wo andere eindeutig den europäischen Einfluss der ersten Siedler zeigen, ist Halifax vor allem modern und es gibt nur ganz vereinzelt Gebäude, die die Explosion überlebt haben.
Noch heute sprechen die Reiseleiter von zwei Epochen der Halifaxer Geschichte: vor der Explosion und nach der Explosion. Nur wenig bleibt von vorher, aber es wurde Geld gesammelt um den Stadtpark so zu rekonstruieren, wie er vor der Katastrophe ausgesehen hatte, und so besucht man heute den einzigen viktorianischen Garten Kanadas wenn man durch die Innenstadt bummelt. Viel Geschichte für so eine ansonsten doch relativ unspektakuläre Stadt, aber wenn sogar die Tränendrüsen angestrengt werden müssen, wird es jedenfalls nicht langweilig.
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Melanie (Dienstag, 05 Februar 2019 11:33)
Auch wenn ich ein halbes Jahr zu spät bin komme ich endlich mal dazu, die Briefe aus dem Paradies weiter zu lesen :)
Meine Eltern sagen übrigens immer Hop-Hop-Bus...