Nach erfolgreich bestandener Probezeit war es Zeit für eine Belohnungs-Reise. Nicht, dass ich nicht geschäftlich schon viel unterwegs bin, aber Urlaub ist halt doch nochmal was anderes. Ich packte also meine Freundin Julia ein und Ende April ging es los gen Osten. Weil die meisten Flüge von Europa aus Richtung Zentralasien von Turkish Airlines geflogen werden, planten wir zwei extra Tage in Istanbul ein – Mini-Urlaub auf dem Weg in den richtigen Urlaub sozusagen. Man nimmt schließlich mit, was man kriegen kann.
Schon am Flughafen in Hamburg gab es viel zu lachen. Weil so viele Türken nach Hause in die Türkei aufbrachen, herrschte ein Riesenchaos bei der Gepäckaufgabe. Eigentlich standen nur etwa zehn Leute vor mir in der Schlange, die aber alle irgendwann vom Rest ihrer Familie eingeholt wurden und dann waren es plötzlich an die hundert. Ich fiel schon allein dadurch auf, dass ich allein und nicht mit einer Großfamilie unterwegs war. Und was die alle an Gepäck hatten! Praktisch jede Familie musste mindestens einen Koffer umpacken, weil er das zugelassene Maximalgewicht von 32 Kilo überschritt. Der Mann vor mir war ganz geschockt, als er sein Handgepäck wiegen musste und die geduldige Schalterfrau ihm sagte „Sie können nur 8 Kilo mit an Bord nehmen.“ Auf seine gespielt unschuldige Nachfrage, wie viel sein Rucksack, sein Cabin Trolley, seine prallgefüllte Plastiktüte und seine kleine Tasche mit Essen denn wiegen würde, schaute sie ihn mitleidig an und sagte „Neunzehn.“
In Istanbul angekommen dauerte es entsprechend lang, bis ich in der Ankunftshalle ankam, wenn diverse Großfamilien mit allen Familienmitgliedern gemeinsam gleichzeitig vor die Passkontrolle
drängeln, ist Durcheinander vorprogrammiert. Und dann finde mal einer seine diversen Gepäckstücke, wenn ein Großteil davon aus zusammengebundenen Plastiktüten besteht und ziemlich gleich
aussieht.
So stand ich also über eine Stunde nach Landung endlich in der Ankunftshalle und wartete auf Julia mit ihrem gelben Koffer. Nicht so schwer, sie damit direkt zu finden, dachte ich mir. Aber
Pustekuchen: so ziemlich jede asiatische Reisegruppe kam mit identischen gelben Rollkoffern an und so einfach wurde es dann gar nicht. Aber schließlich hatten wir uns gefunden und das erste
Abenteuer ging los. Wir hatten großkotzig gedacht, dass es ja so schwer gar nicht sein kann, mit den Öffis in die Innenstadt zu kommen. Im Nachhinein hätten wir wohl doch lieber den Hoteltransfer
buchen sollen, aber irgendwie kommt man ja doch immer an.
Istanbul ist vor allem voll. Die Straßen sind voll mit Autos, die Märkte voll mit Menschen, die Fußgängerwege voll mit Motorrollern, das Tram-Gleisbett voll mit Handkarren-ziehenden Männern. Man hat das Gefühl, permanent irgendwem im Weg zu stehen. Und der Himmel über der Innenstadt ist voll von Smog, man sieht eine richtig gelblich schmierige Dunstwolke drüberhängen, wenn man vom Wasser aus schaut. Aber schön ist sie trotzdem, die größte Stadt Europas! Durch die sehr hügelige Lage und teilweise richtig steilen Straßen, erschließen sich oft ganz plötzlich neue Perspektiven. In dem Altstadtviertel, wo blaue Moschee und Hagia Sofia stehen, lässt sich alles ganz wunderbar zu Fuß erkunden. Wenn man dann aber doch mal zum anderen Ufer des Goldenen Horns will, gibt es sehr gute Tram-Verbindungen und wenn man erstmal raus hat, wie das System funktioniert, ist es auch ganz leicht. Fähre kann man mit den günstigen Tram-Tickets auch fahren, sodass auch die asiatische Seite Istanbuls ganz gut erreichbar ist.
Wir entschieden uns für einen geführten Stadtspaziergang, der sehr spaßig und aufschlussreich war, und so kamen wir direkt an den Hauptsehenswürdigkeiten vorbei. Und an vielen Straßenhunden und
-katzen, die aber alle recht gepflegt aussahen und gar nicht aufdringlich waren. Es hilft wohl doch viel, wenn die Stadt die Streuner impft, kastriert und füttert.
Die Blaue Moschee ist eins der Wahrzeichen der Stadt, obwohl sie von außen eher grau wirkt. „Blau“ heißt sie, weil innendrin schön blau gefliest ist – auch wenn das gar nichts war im Vergleich zu
den blauen Fliesen, die wir im Laufe unserer Reise noch sehen würden, aber dazu später mehr. Die Blaue Moschee ist trotzdem sehr beeindruckend. Sie hat sechs Minarette und damit zwei mehr als
üblich bei imperialen Moscheen (so heißen sie, wenn sie von einem Herrscher in Auftrag gegeben wurden), die normalerweise vier haben. Sultan Ahmed I war sehr von sich überzeugt und wollte die
tollste Moschee aller Zeiten haben, also bat er den Architekten, ihm vier goldene Minarette zu bauen. Das arabische Wort für „Gold“ hat nur einen Buchstaben Unterschied zum Wort „Sechs“ und so
hat der Architekt eben sechs Minarette gebaut. Die waren zwar nicht gold, aber doch sehr besonders, sodass Sultan Ahmed I einverstanden war. Damit ergab sich aber das nächste Problem, denn keine
Moschee der Welt durfte mehr Minarette haben als die wichtigste Moschee von allen, die in Mekka. Die Obersten dieser Moschee haben also Stunk gemacht, bis Sultan Ahmed I ein einzelnes Minarett
hat bauen lassen, das nach Mekka schicken und dort aufbauen hat lassen. So hat die Moschee in Mekka nun eben sieben Minarette und Sultan Ahmed I durfte seine sechs in Istanbul behalten.
Moscheen gibt es wirklich viele in Istanbul und die meisten erlauben Nicht-Muslimen den Zutritt, wenigstens zu einem Teil des Gebetsraumes. Die Moscheen sind schön, vor allem weil man mal kurz
der Hitze und dem Lärm der Stadt entkommen und einen Moment innehalten kann um die schönen Gebetsnischen und riesigen Deckenleuchter zu bestaunen.
Im großen Park vom Topkapi-Palast kann man auch schön verschnaufen, mit Blick auf den Bosporus und das Goldene Horn. Die wollten wir uns noch genauer anschauen, also machten wir zwei Bootsfahrten
mit, eine am Nachmittag, die uns zur asiatischen Seite brachte, und eine am Abend, wo man die schön beleuchteten Brücken sehen konnte, während Berge an Essen zu Musik und Tanz serviert wurden.
Weil alles so hügelig ist, sieht die Stadt immer aus, als stünden die Häuser übereinander, man sieht keine Plätze und Straßen. Was man aber sieht, ist, dass Istanbul erstaunlich grün ist. Entlang
der Straßen stehen Bäume, auf jedem Platz ist wenigstens ein bisschen begrünt. Und wenn man die Stadt hinter sich lässt, sieht man entlang des Bosporus-Ufers richtig Wald und gigantische
Grünflächen, die den Platz zwischen den Millionärs-Villen an den Hängen ausfüllen.
Eine coole Sehenswürdigkeit liegt streng genommen gar nicht in der Stadt, sondern unter der Stadt. Obwohl Istanbul direkt am Bosporus liegt, gab es kaum nutzbares Wasser innerhalb der früheren Stadtmauern. Es musste immer Trinkwasser von außerhalb in die Stadt geleitet werden und man sieht heute noch ein paar der Aquädukte, die zur Römischen und zur Ottomanischen Zeit gebaut wurden. Die teilweise riesigen Brunnen zeugen auch daher, dass den Bewohnern öffentlich Wasser zugänglich gemacht werden sollte. Die erste Wasserversorgung Istanbuls wurde im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung angelegt und seitdem stets erweitert. Unter ganz vielen Häusern der Stadt finden sich wohl heute noch Wassertanks und Zisternen, aber eine ist besonders toll und die kann man sich als Tourist anschauen. Die Yerebatan-Zisterne ist über 130 Meter lang, mehr als 60 Meter breit, inzwischen fast anderthalbtausend Jahre alt und hat Platz für etwa 80.000 Kubikmeter Wasser. Damit das ganze nicht in sich zusammenfällt und dem Druck standhalten kann, stehen über 300 steinerne Säulen im Wasser. Wirklich beeindruckend, was die damals alles konnten - und heute freut man sich über einen gemütlichen Spaziergang über den letzten Wasserresten in sehr angenehmer Kühle und Stille nach dem Trubel draußen.
Für die Prise einheimisches Leben sagte ich meinem ehemaligen Kollegen Efe Bescheid, der mit uns schick in einem Dachterrassen-Restaurant mit schönem Ausblick essen ging und uns viel über das
Leben der Türken erzählte. Die mitgebrachte Packung Ferrero-Küsschen machte sofort auch unter den Kellnern die Runde, der Rezeptionist bekam ein Stück und der Taxifahrer auch – man teilt eben
gerne in der Türkei.
Vom sehr touristischen Basar aus wagten wir uns in brütender Mittagshitze auch in die einheimischen Viertel, wo teilweise ganze Straßenzüge entlang nur Schuhgeschäft neben Schuhgeschäft steht.
Und es sind nicht nur Schuhgeschäfte, sondern spezialisierte Geschäfte für alle Arten von hochhackigen Pumps oder für Schlappen in allen Farben und Materialien oder für nicht-originale Adidas-
und Nike-Treter. Unsere Reiseleiterin vom Stadtrundgang gab uns interessante Infos dazu: es gibt einen Unterschied zwischen „Fake“ und „Replica“ wenn es um gefälschte Markenartikel geht. Während
in den meisten Geschäften alle Marken-Schuhe, -Taschen, -Gürtel und -Uhren gefälscht sind, sind die „Fakes“ üblicherweise in China hergestellt und sehr billig. Das sind die, die vorne im
Schaufenster ausgestellt werden. Wer die richtig guten nachgemachten Sachen haben will, fragt den Ladenbesitzer nach seinen „Replicas“ und kriegt die Taschen angeboten, die made-in-Turkey sind,
aus echtem Leder, sehr gut verarbeitet und entsprechend teurer. Die dürfen offiziell nicht verkauft werden, also dürfen sie auch nicht offensichtlich im Schaufenster hängen. Wir sind in so einen
Laden und der Verkäufer hat auf einen verborgenen Knopf gedrückt, man hörte etwas hydraulisch pusten und plötzlich ließ sich der Spiegel von der Wand klappen. Dahinter kam eine steile Treppe zum
Vorschein, die in den hell erleuchteten Kellerraum führte, wo wunderschön aufgereiht von Louis Vuitton bis Prada alles stand, was das Fake-Shopping-Herz begehrt.
Wenn die Polizei nicht grade auf illegale-Fakes-Jagd ist, fährt sie über die touristischen Plätze, um Präsenz zu zeigen – und anzugeben. Denn seit eine berühmte Milliardärsfamilie wegen
Steuerhinterziehung verurteilt und ihr gesamter Besitz beschlagnahmt wurde, darf die Polizei alle Autos aus dem Familienbesitz fahren. Es ist eigentlich ganz klug, und Dubai macht es zum Beispiel
genau so: wer die Polizei in Bentleys und Maseratis rumdüsen sieht, will auch gerne Polizist werden, und so ziehen sie sich die nächste Polizei-Generation heran.
Ich fand die Polizeipräsenz auf den touristischen Plätzen sehr beruhigend, so ist immer jemand in der Nähe, den man mal nach dem Weg fragen kann. Aber das war gar nicht nötig, denn auch wenn
viele Einheimische kaum ein Wort Englisch können, bieten sie immer gern ihre Hilfe an. Wir standen einmal etwas ratlos an der Metrostation und sofort kam einer an und half uns, den richtigen
Ticketautomaten zu finden.
Und auch im Hamam zu türkischem abgeschrubbert-und-massiert-werden hat es ohne Englisch ganz gut geklappt. Man schließt alles in ein Schließfach ein, bekommt eine Einmal-Unterhose und ein Handtuch zum Umbinden, dann wird man von Frauen in Bikinis in das Badhaus geführt. Dort steht in der Mitte eine Art Plattform aus Marmor, auf der man sein Handtuch ausbreitet und zum Poren-Öffnen eine Weile bei 45 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit rumliegt. Dann kommt eine Bikini-Frau, bewirft einen mit einem Eimer voll Wasser und schrubbert auf einem rum, bis die Haut schön babyweich ist. Dann kommt mehr geworfenes Wasser und man wird eingeseift und aufgeschäumt. Zum Schluss wird man mit mehr Wasser beworfen, bis aller Schaum weg ist, dann an ein Becken am Rand der Halle geführt, wo man im Schneidersitz vor der Bikinifrau Platz nimmt, damit sie einem die Haare wäscht. Das war vielleicht ein interessantes Erlebnis, war es doch sonst immer Mama, die mir als Kind von hinten die Haare gewaschen hat.
Die Hauptsehenswürdigkeiten und Aktivitäten haben wir also weitestgehend abgehakt und können sagen: Istanbul lohnt sich für einen Kurzurlaub. Selbst die Postkarten wirkten so schön fremdländisch,
man hätte Memory damit spielen können weil sie so fest und stabil waren.
Aber Istanbul war ja nicht unser eigentliches Urlaubsziel, also ging es nach zweieinhalb Tagen wieder zurück zum Flughafen. Die nächsten Großfamilien, die nächsten Tonnen an Koffern und Taschen,
und dazwischen eine Frau, die beim Anblick unseres verhältnismäßig winzigen Gepäcks direkt meinte, sie könnte uns einen ihrer Koffer unterjubeln, damit sie nicht so viel Übergepäck zahlen müsse.
Wir lehnten dankend ab und machten uns lieber nur mit unseren eigenen Koffern auf in Richtung Zentralasien.
Kommentar schreiben
Michael aus Fulda (Donnerstag, 09 Mai 2024 18:32)
Da ward ihr vielleicht in der Ursprungsstadt des panierten Schnitzels. Leserinnen und Leser, die jetzt schon ahnen, worauf ich hinaus will, bitte ich um Nachsicht, weil ich nichts über deren Kenntnisstand weiß; alle anderen möchten bitte weiterlesen. Man findet fast auf jeder Speisekarte das Wiener Schnitzel. Es ist sehr beliebt und wird gern und oft gegessen. Aber haben es auch die Wiener kreiert? Oder waren es die Mailänder mit ihrem Scaloppine Milanese? Das Internet gibt uns keine eindeutige Antwort, wir haben es offensichtlich mit einem dunklen Geheimnis zu tun.
Die Wiener bestreiten vehement die italienische Herkunft. Es wird eine byzantinische Prinzessin erwähnt, die das Rezept nach Wien gebracht haben soll. Eine andere Legende geht so. Ein byzantinischer Kaiser soll bei einem Festessen für ausländische Gäste Fleischstücke in Goldfolie eingeschlagen haben, ein typischer Fall von Angeberei. Danach machten es ihm einige Adlige nach und der Kaiser verbot es ihnen. Deren einfallsreiche Köche erfanden dann die goldgelbe Panade.
Wer heute etwas Gold einnehmen möchte, trinkt Danziger Goldwasser, z.B. der Fuldaer Likörfabrik, oder er geht hier ins Cafe Thiele und verzehrt die gleichnamige Torte, die auf dunkler Schokolade etwas Blattgold präsentiert.
Tony Meade (Dienstag, 21 Mai 2024 07:42)
Sehhr schön geschriebn und fotografiert