Greifswald. Ein Krimi. Teil III

7. Januar 2020, 13 Uhr nachmittags. Wir lesen den Vertrag aufmerksam durch. Erst als da steht „Eine Einbauküche mit allen Geräten wird dem Mieter zur Nutzung überlassen“ stutze ich. Der aktuelle Mieter hatte doch bei der Besichtigung extra gesagt, dass sie die Küche mitnehmen würden. Ich lese den Vertrag nochmal von vorne.

Meine neue Wohnung sei ab März frei, stimmt soweit. Die Adresse im Ostseeviertel, stimmt soweit. Der Grundriss im Anhang, stimmt soweit. Postleitzahl beginnend mit 6 und ein Ort namens Langen? Zufällig fahre ich öfters mal an der entsprechenden Autobahnausfahrt vorbei und dieses Langen liegt in unmittelbarer Nähe zum Frankfurter Flughafen. Da Greifswald in unmittelbarer Nähe zu gar nichts liegt, stimmt an diesem Vertrag ganz offenbar etwas nicht.

7. Januar 2020, etwas später. Ich rufe Verwalter R. an. Die Dame am Empfang sagt mir, dass er nicht im Haus sei. Sie gebe ihm weiter, dass er mich dringend anrufen solle. Ich warte.

7. Januar 2020, abends. Papa und ich fahren ins Lager um sein Werkzeug und unsere Schlafsäcke wieder abzuholen. Ich muss umpacken, denn ich war davon ausgegangen, alles zur gleichen Zeit auszupacken und diesen Plan kann ich ja nun vergessen. Wir holen ein paar Schuhe und Klamotten aus den Kartons, an die wir rankommen. Die Schlafsäcke finden wir nicht mehr. Zu Hause buchen wir eine Ferienwohnung für die Nächte, die wir nun doch nicht in die neue Wohnung können. Wir buchen außerdem Zugtickets für die Fahrt zurück in den Süden. Auch für mich, die ich eigentlich direkt hätte da bleiben und ganz entspannt hätte ankommen und auspacken wollen.

8. Januar 2020, 11 Uhr früh. Die Spedition aus Rostock informiert mich, dass in Greifswald aufgrund der Kurzfristigkeit kein Lagerraum mehr frei sei. Als Alternative nennen sie mir ihr Lager in Rostock. Das ist 110 Kilometer von meiner neuen Wohnung entfernt, aber wenigstens schon mal im richtigen Bundesland und etwas näher als die 850 Kilometer von daheim. Ich erteile den Auftrag. Dann rufe ich die andere Spedition an und informiere sie, dass die Fahrer am nächsten Tag doch nicht nach Greifswald, sondern nur bis Rostock fahren müssen. Ein Glück scheinen die Speditionen an kurzfristige Änderungen gewöhnt zu sein. Die Speditionsfrau redet gern und in der Viertelstunde am Telefon rekrutiere ich sie nebenher als neue Reiseberaterin an Bord der AIDA-Flotte. Schade, dass ich dafür keine Prämie mehr bekomme.

8. Januar 2020, 9 Uhr früh. Ich rufe Verwalter R. an. Die Dame am Empfang sagt mir, dass er nicht im Haus sei. Ich werde böse und pampe sie ein bisschen an. Ich schreibe eine sehr böse Mail an Verwalter R. und Makler K. mit der Frage, ob ich jemals einen korrekten Vertrag für die Wohnung bekommen werde und ob ich vielleicht schon mal beginnen solle, mich nach einer anderen Wohnung umzusehen.

8. Januar 2020, 10 Uhr früh. Verwalter R. ruft an. Er klingt ganz außer sich vor Aufregung, dass ich die Wohnung vielleicht doch nicht mehr will. Er schickt mir eine schriftliche Bestätigung mit Unterschrift und Stempel auf Firmenbriefpapier darüber, dass ich die Wohnung definitiv bekommen werde und mir der Vertrag zugestellt wird, sobald Makler K. braungebrannt zurück an seinem Schreibtisch sitzt.

9. Januar 2020. In aller Herrgottsfrühe fahren Mama und ich mit dem coolen Zug ohne Umsteigen in nur zehneinhalb Stunden nach Greifswald. Papa beaufsichtigt unterdessen die Abholung meiner Sachen und Entleerung meines Lagers. Am Nachmittag fährt er los, er kommt aber nur bis Berlin. Zu komischen Zeiten kommt man abends nicht mehr ans Ende der Republik. Oder von da weg.

10. Januar 2020. Mama und ich gehen in der Wohnung die Küche ausmessen, während Papa nach Rostock fährt um die Entladung der Spedition und Einlagerung meiner Sachen zu beaufsichtigen. Dann kommt er nach Greifswald. Wir atmen durch, meine Möbel haben wenigstens sieben Achtel der Umzugsstrecke schon mal geschafft.

11. Januar 2020. Wir gehen eine Küche aussuchen. Wer hätte das gedacht, dass sowas so lange dauern kann? Aber aufregend war es schon, auf der Leinwand zuzuschauen, wie der nette Küchenmann meine Küche in Echtzeit am Computer zusammenbaut.

17. Januar 2020, 14 Uhr nachmittags. Im Briefkasten liegt ein Mietvertrag für die Firmen-WG. Eine nette zukünftige Kollegin ruft mich an, um mir zu sagen, dass sie dachte, ich sei für die Firmen-Wohnung geplant und ihr sei gerade erst mitgeteilt worden, dass ich eigentlich in die WG ziehen soll. Ob ich lieber in die Wohnung will, da sei ich alleine. Ich stimme zu. Hauptsache nicht noch mehr Verwirrung. Sie will klären, ob die Wohnung auch möbliert sei und melde sich dann nochmal. Wenn ich nichts mehr höre, sei alles geklärt und ich komme in die Wohnung.

17. Januar 2020, 10 Minuten später. Die nette zukünftige Kollegin ruft an. Gerade hat sie erfahren, dass die Firmen-Wohnung, für die sie mir den Vertrag geschickt hatte, gar nicht frei ist. Ich komme nun doch in die WG. Irgendetwas ist hier faul. Scheinbar können die Nordostdeutschen einfach keine Mietverträge. Liegt es am kalten Wind, dass sie alle so verwirrt sind?

20. Januar 2020, in aller Herrgottsfrühe. Ich fahre nach Düsseldorf, wo ich auf der Messe „Boot“ eingeladen bin. Ich lerne meine zukünftige Chefin kennen und ein paar meiner Marketing-Kollegen. Wer mit mir in der WG wohnen wird oder wo die WG überhaupt ist oder ob ich vor meinem Einzug noch einen Mietvertrag bekomme, weiß niemand.

22. Januar 2020. Ich ziehe in die Firmen-WG ein. Sie liegt im einzigen Stadtteil Greifswalds, der nicht von den öffentlichen Bussen bedient wird. Meine Nachbarn sind eine Schar Hühner und ihr Hütehund, vom Fenster aus sehe ich nur grün und ein paar Ponys. Die Wohnung ist groß und hell und gemütlich. Sie liegt sozusagen am Arsch vom Arsch der Welt. Meinen Mitbewohner habe ich noch nicht kennengelernt. Aber das ist okay, schließlich ist der einzige Mietvertrag, den ich bisher bekommen habe, ja auch für eine eigene Wohnung und keine WG. Und hey, immerhin habe ich es bis Greifswald geschafft und bin nicht in Langen.

 

Ende? Wir werden sehen...

 

Danksagung: Mama & Papa. Danke für alles.

 

 

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Sonja (Donnerstag, 06 Februar 2020 07:47)

    Nicht wahr, oder? Du liebe Zeit, was für ein Hin und Her. Ich wünsche dir, dass sich alles noch zum Guten wendet. Liebe Grüße aus dem Süden, Sonja

  • #2

    Joachim Schwend (Donnerstag, 06 Februar 2020 09:46)

    Liebe Tanja,

    in meinem letzten Kommentar habe ich als Wahl-Ossi versucht, die Ossis ganz allgemein zu verteidigen, aber nach deinen Erfahrungen bekomme ich da so meine Zweifel, auch wenn ich grundsätzlich gegen Verallgemeinerungen und Stereotype bin.
    Vielleicht liegt es daran, dass es in Greifswald in den Wintermonaten so lange dunkel ist?
    Aber im Sommer ist es dann ganz lange hell, es kann also nicht an mangelnden Lichtblicken liegen.
    Ex oriente lux!
    Auf jeden Fall schlimm, was da an Murks gemacht wird.
    But: always look on the bright side of life: deine Kolleg*innen in der Firma scheinen sympathisch und kompetent zu sein.
    Und wenn in deiner WG ein Hütehund in der Nähe ist, dann hast du schon mal gute Gesellschaft.

    Alles ist besser als das, was in Thüringen gerade abläuft!

    Lieber Gruß vom Wahlsachsen aus Leipzig,
    Joachim