Da kommt man endlich mal auf eine komplett neue riesige Landmasse und kann nicht mal sagen, dass man in einem neuen Land war. Meine been-there-Liste bleibt also leider wie sie ist, denn Grönland ist halt nun mal kein Land, sondern nur ein autonomer Teil von Dänemark. Blöd, aber es geht ja schließlich nicht um irgendeine Liste, sondern darum, möglichst viel von der Welt zu sehen.
In meinen Augen hat es auch eigentlich nichts damit zu tun, wozu ein Ort politisch gesehen gehört, sondern darum, was es neues zu entdecken gibt. Grönland ist so gesehen also etwas komplett
anderes als Dänemark und war tatsächlich mein persönliches Highlight des Einsatzes auf AIDAdiva. Scheiß‘ auf New York (…pardon my French…), so unberührte Landschaften sind doch so viel
beeindruckender als eine Insel so voll mit Wolkenkratzern, dass man permanent einen steifen Nacken hat vom Hochschauen.
Soo weit weg ist Grönland gefühlt gar nicht. Von den Orkneys nach Reykjavík waren wir extrem langsam unterwegs, die zwei kompletten Seetage hätten wir absolut nicht gebraucht, aber ich schätze,
dass die Kosten für unseren Liegeplatz so hoch sind, dass es sich nicht lohnt, abends schon anzukommen, wenn wir dann keine Ausflüge anbieten können. Wer weiß, jedenfalls war es von Island aus
nur ein weiterer Seetag und dann war schon frühmorgens Grönland am Horizont zu sehen. Kurz nach Sonnenaufgang ging es raus in unseren Crew-Außenbereich auf Deck 6, dick eingemummelt, denn es war
unglaublich kalt. Wie gut, dass ich ausnahmsweise sehr überlegt und vorausschauend gepackt hatte und dicke Handschuhe, Mütze, Schal und Winterjacke nicht weit waren.
Mit einer Kollegin vom Fitnessstudio stand ich vorne am Bug und die Tränen flossen und flossen und wir spürten sie nicht mal. Vor Kälte wohlgemerkt, auch wenn wir beide es doch auch als sehr
bewegenden Moment empfanden, den ersten Eisberg im Leben zu sehen. AIDAdiva ist das einzige Schiff der Flotte, das ganz vorne im Crewbereiech einen metallenen Korb hat, in dem man den perfekten
Titanic-Moment aufs Foto bekommen kann (den romantischen, nicht den tragischen), aber dafür steht man ungeschützt im Wind und frühherbstlicher Wind in Grönland entspricht ungefähr Januarsturm in
Karlsruhe, während man mit dem Rad zum Bahnhof fährt und die Wimpern fast zusammenfrieren.
Zwölf Minuten hielten wir aus, dann mussten wir uns erstmal die Wangen trocknen um nicht verheult zum Frühstück gehen zu müssen. In der Messe war ich tatsächlich die einzige, die schon sagen
konnte „Ich hab‘ einen Eisberg gesehen!“, denn irgendwie bin ich bei solch spektakulären Passagen ja immer die einzige im Team, die es spektakulär findet.
Erst um kurz nach acht begann offiziell die Fahrt entlang der südlichsten Spitze Grönlands, die vom Festland durch einen ganz schmalen Durchgang getrennt ist, den Prins Christian Sund. Sobald man
reinfährt, ist der Wind wie ausgepustet, denn an beiden Ufern sind die kahlen Felswände mehrere hundert Meter hoch und schützen alles, was sich auf Höhe des Wassers befindet. Grönland ist die
größte Insel der Welt und man denkt immer, alles wäre nur Schnee und Eis, aber bei 60 Grad nördlicher Breite ist Spitzbergen sehr viel nördlicher und selbst in Island ist man dem Nordpol so viel
näher als hier. Eisig ist es trotzdem und entlang des Sunds reichen mehrere Gletscher bis ans Ufer heran und das Wasser ist so kalt, dass Gletscherabbrüche nicht schmelzen, sondern einfach als
Eisscholle weitertreiben.
Man munkelt, dass die Brückenoffiziere morgens einen Eisbären in der Ferne am Hang gesehen haben, aber ob das wirklich so war, kann keiner bestätigen. Eigentlich sind die Bären zu dieser
Jahreszeit nur viel weiter im Norden zu finden. Eine Eisscholle, die wir am Nachmittag vom Büro aus vorbeitreiben sahen, hatte allerdings einen großen Flecken Blut drauf, sodass ein Eisbär oder
Walross wohl doch in der Nähe gewesen sein muss um eine Robbe zu reißen.
Polarfüchse soll es viele geben, aber vom Schiff aus hat man keine Chance einen zu entdecken. Seltsamerweise sahen wir nur sehr vereinzelt Möwen und andere Seevögel und Insekten gibt es bei so
kaltem Wind sowieso nicht wirklich.
Unseren persönlichen Lieblings-Wildlife-Moment hatten wir aber auch ohne Eisbärensichtung, denn während wir bei Streuselkuchen und heißem Kakao mit etwa einem Drittel der gesamten Besatzung auf
Deck 6 standen, lag direkt vor uns auf einer Eisscholle eine dicke Robbe und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Ja, Sonne! Das Wetter meinte es gut mit uns, nachdem unser Schwesterschiff
nur ein paar Tage vor uns war und den Sund weiträumig umfahren hatte müssen wegen der heftigen Winde. Naja, wenn Engel reisen, nicht wahr?
Das süße Ding ließ sich von uns überhaupt nicht aus der Ruhe bringen und während wir schier von Bord fielen, weil wir uns alle auf dem Korb ganz vorne drängelten, blieb sie einfach wo sie war und
beäugte uns etwas misstrauisch. Als schon Panik ausgebrochen war und es von überall schrie „Wir werden sie überfahren!“, ließ sie sich schließlich ein paar Meter vor unserem Bug sehr elegant ins
eisige Wasser gleiten und hinterließ eine Horde aufgeregter Crewmitglieder. Kurz drauf tauchte sie aber tatsächlich wieder weit vor uns auf und wir alle konnten wieder aufatmen.
Sogar eine Ortschaft gibt es mitten im Sund: Aappilattoq hat nur hundert oder so Einwohner, die zum größten Teil aus Inuit bestehen. Vom Wasser aus sehen die Häuser aus wie in Modellbaugröße, denn die Felswände hinter dem Dorf reichen bis zu 2.000 Meter in den Himmel. Aber es ist tatsächlich ein kleines Örtchen mit bunten Häusern, es gibt sogar eine Schule und einen Supermarkt und sogar einen Fußballplatz und eine Feuerwehr. Man kommt über Land gar nicht hin, nur wenn man eine lange und gefährliche Reise auf sich nehmen will. Aber per Heliport und kleinem Anleger kommen Lebensmittel und der ein oder andere Bergsteigertourist ins Dorf. Verrückt, wie man dort leben kann, aber man lebt hier eben vom Land und wo man Fischen und Jagen kann, kommen die Inuit zurecht.
Glatt wie ein Spiegel lagen die Weiten des Sunds vor uns, hin und wieder ein Eisschollenfeld oder eine einzelne Scholle, die für uns, die wir sie noch nie gesehen hatten, wie riesige Eisberge wirkten. Die Bilder sehen aus wie siebzehn Mal gephotoshopt, aber nein, es sah tatsächlich aus wie auf einer Postkarte. Chefin Leonie und ein paar andere Offiziere wurden vom Hotelmanager entführt und später bekamen wir die atemberaubenden Bilder zu sehen, die sie vom Schornstein aus geschossen hatten, während die Drohne der TV-Kollegen um uns herum summte. Eigentlich hätte mein Einsatz da für mich zu Ende sein können, denn spektakulärer wurde es einfach nicht mehr.
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