Die Überführungsfahrt von Mallorca zurück in heimatliche Gefilde brachte viele altbekannte Häfen mit sich. Besonders auf Le Havre freute ich mich, erwartete uns doch der gleiche Hafenagent auf der Pier, der uns schon vor zwei Jahren mit der Prima jeden Dienstag empfangen hat. Und tatsächlich: es ist schon zwei Jahre her, dass ich meine erste AIDA-Gangway betreten habe im festen Glauben, dass ich nach einem halben Jahr doch wieder was besseres finden würde.
Naja, soll bekanntlich vorkommen, dass man sich bezüglich seiner Zukunftsplanung etwas vertut. An Bord trifft man tatsächlich erstaunlich viele, die einem erzählen: „Achja damals, da war der Plan, zur Überbrückung mal ein paar Monate Schiff zu fahren. Das war vor acht Jahren.“ So sind es jetzt halt doch irgendwie zwei Jahre geworden und wie es aussieht, wird es auch nicht dabei bleiben, denn die nächsten Schiffe und Routen klingen extrem vielversprechend. Wenn man nach zwei Jahren also schon zu den „Alten Hasen“ unter den Scouts gehört, hören alle ganz ehrfürchtig zu, wenn man ins Erzählen kommt über Häfen und Agenten und Ausflüge und die Beschaffenheit des Fußweges zu den Bussen. Le Havre war für mich also besonders schön, denn ich weiß einfach alles. Man kann mich mit Fragen bombardieren zur Anzahl der Stufen im Bénédictine-Palast und zur Höhe der Steilklippen und zur Knubbeligkeit des Kopfsteinpflasters in Honfleur und ich kann alles beantworten. Schade, dass es dann doch nur für einen einzigen Anlauf dort war. So eine schöne Powerpoint zusammengebastelt und dann durfte ich sie nur einmal halten. Chefin Kira schickte mich auf den einen Ausflug, den ich noch so gar nicht kannte und es ging für mich an die normannischen Strände, an denen die Alliierten zum Ende des Zweiten Weltkrieges angelandet sind.
Eigentlich bin ich ja nicht so ein Geschichtsfreak. Geschichte war so lang ich mich erinnern kann mein absolutes Hassfach in der Schule (abgesehen natürlich von allem mit Mathe, Physik oder Chemie im Namen (und Gemeinschaftskunde, das war auch ganz weit oben auf der Liste)). Wenn es noch um die alten Ägypter oder die Hexenverbrennung ging, war alles super, aber irgendwie konnten mich diverse Geschichtslehrer über die Jahre nie so richtig für die jüngere Geschichte begeistern. Also war ich zunächst nicht ganz glücklich über meinen Le Havre-Dienstplan, aber wenn man dann mal in Arromanches im Museum des 6. Juni (das war der D-Day, also der Tag der Landung) steht und so richtig eindrucksvoll präsentiert bekommt, was die alles gemacht haben, um zurückzuerobern was befreit werden wollte, ist das schon sehr beeindruckend. Bei so einem Ausflug hat man Gäste dabei, die ein sehr spezielles Interesse haben. Das ist nicht so ein Larifari-Ausflug, den man mal macht, wenn man nicht so recht weiß, was man buchen soll, und so hat man Gäste dabei, die wertschätzen, was gezeigt wird, die ebenso beeindruckt sind wie man selbst. Ganz oft sind diese Ausflüge die, für die sich zusammenreisende Paare oder Familien trennen. Der Papa geht mit dem Sohn zu den Landungsstränden, während die Mama mit der Tochter nach Deauville zum Designer-Shoppen geht. Klingt nach Klischee, ist aber wirklich so. Und teilweise hat man dann die Opas dabei, die die Landung der Alliierten damals am nächsten Abend im Radio berichtet bekommen haben. Und wenn man Glück hat, ist einer dabei, der live dabei war und der einem erzählt, wie es wirklich war. Aus dem Museum gingen die ersten meiner Gäste schon mit feuchten Augen raus, dann kam ein schönes Mittagessen, wo man wieder in die Gegenwart zurückgeholt wird und dann wurde es aber doch nochmal richtig emotional.
Weiter entlang der Küste liegt der amerikanische Soldatenfriedhof. Auf einem wunderschönen Areal mit so saftigen Wiesen wie ich sie dieses Jahr noch nicht gesehen habe, wurden die bestattet, die
an diesen Küsten gefallen sind. Es zwitschern die Vögel und es rauschen die Bäume mit den Wellen unter den Klippen um die Wette. Und dann kommt man über eine Kuppe und vor einem erstreckt sich
eine Wiese mit mehr als neuntausend weißen Kreuzen. Das allein ist schon bedrückend genug, aber dann war mit uns eine riesige Gruppe mit 200 oder so Touristen da, die von einem
Holland-America-Schiff im Hafen von Caen zu Besuch waren. Extra für diese Gruppe hatte die Reederei diesen Ausflug organisiert und einen Gedenkgottesdienst möglich gemacht, und gerade als wir am
Mahnmal vor der Kulisse der tausenden Kreuze ankamen, endete der Gottesdienst und die 200 plus Amerikaner sangen die amerikanische Nationalhymne. Da blieb dann auch das letzte Auge nicht
trocken.
Unsere Reiseleiterin überredete den Busfahrer daraufhin zu einem kleinen Umweg über La Cambe, wo sich der Friedhof der deutschen Gefallenen befindet. Auch hier stehen wunderschöne Steinkreuze auf
einer sattgrünen Wiese, aber die Stimmung war eine ganz andere. Erstaunlich, aber irgendwie sind die Amerikaner heute eben doch patriotischer und offensichtlicher amerikanisch als die Deutschen
deutsch und das merkte man tatsächlich. Heute werden diese Gedenkstätten aufwendig in Stand gehalten und mit vielen Spenden unterstützt. Die gesamte Region wirkt wie ein riesiges Open-Air-Museum,
denn an jeder Ecke stehen Informationsschilder und Mahnmale. In Arromanches hat man die Reste der Bunker am Strand und der mobilen Straßen vor der Küste liegen lassen und in Colville-sur-Mer kann
man umherspazieren und fühlt sich ein bisschen wie in Island. Nur sind es eben keine vulkanischen Gründe, die die Wege so hügelig gemacht haben, sondern die hunderten Granaten, die über der
Steilküste abgeworfen wurden und deren Krater mit der Zeit so von der Wildnis überwuchert wurden, dass man nicht wüsste, was hier mal passiert ist, wenn es nicht überall dranstehen würde.
So beeindruckend und bewegend der D-Day-Ausflug auch war, immer bräuchte ich sowas arg historisches und auf-die-Tränendrüsen-drückendes dann auch nicht. Weniger traurig, aber auch extrem spannend war es ein paar Tage vorher, denn wir waren in Cádiz in Südspanien und wer schonmal in einem Hafen war und schon mehr Ausflüge dort gemacht hat, hat generell bessere Chancen, seinen Wunschausflug zu bekommen. Also wünschte ich mir England, denn England ist mein europäisches Lieblingsland und das ist ja auch nur einen Katzensprung von Cádiz entfernt. Man muss nämlich nicht mal Wasser überqueren um nach England zu kommen, denn ganz am südlichsten Zipfel Europas gibt es ein kleines Fleckchen Erde, dass eigentlich zu Spanien gehören müsste, aber eben einfach England ist. Gibraltar heißt das hübsche Örtchen mit dem riesigen Felsen in der Mitte, von dem aus es nur etwa 18 Kilometer nach Afrika sind. Irgendwie war mir nie so richtig bewusst, dass Gibraltar wirklich ein Ort ist. Ich dachte immer, es ist einfach dieser Felsen und man fährt da hin und sagt danach, dass man drei Schritte lang in England war. Aber nein, das ist ein richtiges süßes Städtchen mit schwarz-goldenen Mülleimern und roten Briefkästen mit „Royal Mail“ drauf und sogar rote Telefonzellen stehen überall rum. Man isst Fish’n’Chips und bezahlt mit Pfund und gefühlt jede zweite Straße hat „Queen“ im Namen. Nur fahren tut man nicht auf der linken Straßenseite, das wäre dann vielleicht doch zu viel des Guten für die 29 Kilometer an Straße, die sich um den Felsen rum schlängelt. Die coolste Straße ist die Zubringerstraße nach Spanien: die verläuft quer über die Landebahn des Flughafens und wenn man Pech hat, steht man da eine halbe Stunde an der Schranke, wenn grade 50 Meter vor einem ein Riesenflieger landet. Oder wenn man Glück hat, denn Pech würde heißen, dass man während der Landung schon auf der Landebahn steht. Einen Fußgängerweg gibt es auch quer über die Landebahn und alle paar Minuten fragt ein Tourist den anderen „Mensch, ganz schön gefährlich hier, so ganz ohne Bordsteinkanten“ und der andere schüttelt nur den Kopf und fragt sich, ob er die richtige Wahl eines Reisepartners getroffen hat.
Besonders schön ist das riesige Fußgängerweg-Schild, mit einem Pfeil drauf Richtung „Spanien“. Gibraltar hat ganz schön viel zu bieten und ich finde es tatsächlich etwas schade, dass AIDA meist in Cádiz anlegt und nicht direkt hier, denn der Hafen ist supernah am Ort und einfach so viel schöner (und vor allem britischer) als in Cádiz. Auf dem Berg gibt es eine gigantische Tropfsteinhöhle, die zur Konzerthalle umfunktioniert wurde. Wenn man rauskommt aus der Höhle fühlt man sich fast wieder wie vor ein paar Monaten in Malaysia, wo man auf seine Sonnenbrillen und Wasserflaschen aufpassen musste, weil die frechen Äffchen sich alles gekrallt haben, was nicht niet- und nagelfest war. Hier sind die Affen weniger hungrig und doch eher faul bei dem tadellosen Wetter, das wir hatten. Wenn die Kleinbusse der Touristen halten, bleibt üblicherweise die Hälfte der Touris drinnen sitzen, weil die Affen sofort aufs Dach hüpfen und Radau machen und an die Scheiben klopfen um Kekse abzugreifen.
Alles in allem muss ich schon sagen, dass die Bella vermutlich bisher mein schönster Einsatz war: Südostasien, Indien, Malediven, Orient, Mittelmeer, Werft, Kurzreisen, lange Reisen, viele neue und ein paar alte Häfen, viele viele Seetage und eine beeindruckende Suezkanal-Passage – ich glaube, alles in allem kann ich mich nicht über zu wenig Abwechslung beschweren. Jetzt heißt es dann erstmal wieder ankommen und durchatmen: wir sind in Kiel angekommen und damit zurück im Alltag der Sommer-Route, die fast schon langweilig ist nach all der Aufregung.
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Michael aus Fulda (Montag, 04 Juni 2018 21:28)
Weil Du Arabischkenntnisse hast, interessiert Dich hoffentlich der arabische Ursprung des Namens Gibraltar oder er ist Dir schon bekannt.
Wikipedia: 711 wurde Gibraltar von den muslimischen Arabern und Berbern eingenommen. Der Name Gibraltar stammt aus dem Arabischen (جبل طارق Dschabal Ṭāriq, „Berg des Tarik“), nach Tāriq ibn Ziyād, einem maurischen Feldherrn, der die strategische Bedeutung Gibraltars für die Eroberung Spaniens erkannte und als erster Muslim ein Stück Spaniens eroberte. Vielen Dank für die anschaulichen Berichte und weiterhin gute Fahrt.