Wenn man in der Bootsbranche tätig ist und vom anstehenden Urlaub erzählt, wird man doch erstaunlich oft gefragt, ob man segeln geht. Gut, dass Freundin Isabel dieses Mal dabei war, so hatte ich eine Ausrede, wieso ich in die Adria verreise ohne ein Boot gechartert zu haben. Zumal ich ja sowieso gar nicht Boot fahren darf. Können täte ich, jedenfalls in der Theorie. Aber als ich meine praktische Bootsschein-Prüfung vor mittlerweile sieben Jahren mit Ach und Krach bestand, musste ich dem Prüfer hoch und heilig versprechen, erstmal noch ein paar Stunden mit einem erfahrenen Bootsführer zu fahren, bevor ich die Welt mit meinem Talent beglücke.
War also nix mit Bootfahren im Urlaub, aber die Adria ist ja auch von der Küste aus wunderschön. Mit AIDA war ich nur einmal kurz dort und wegen welcher Umstände auch immer waren damals zwei Häfen ausgefallen und das einzige, was ich deswegen erlebte, war ein Tag Shuttlebus in Dubrovnik. Auch dieses Mal gab es Shuttlebus-Chaos in Dubrovnik, allerdings nicht bei AIDA und vor allem hatte ich nichts damit zu tun. Aber dazu später mehr. Denn unsere Reise begann ja gar nicht in Dubrovnik, sondern schon eine Woche vorher mit einem Flug in eine Stadt, deren Namen mich bisher bei jedem Hören überrascht hatte. Tirana ist eine Hauptstadt und gar nicht mal soo weit weg von uns, trotzdem können die meisten (mich bis vor ein paar Monaten eingeschlossen) damit relativ wenig anfangen. Albanien heißt das Land dazu und es ist halt eins dieser Länder, die erst vor nicht allzu langer Zeit ihre Grenzen öffneten und deswegen irgendwie nicht auf der touristischen Karte im Kopf vorkommen. Ich kann mich auch nicht erinnern, jemals von jemandem gehört zu haben, dass er in Albanien im Urlaub war. Isi und ich mögen es aber ja abenteuerlich, also wieso nicht.
Allein der Flug war schon das erste Abenteuer. Mit einer ungarischen Billig-Airline, die zuletzt (glücklicherweise ohne, dass wir vorher davon wussten) in den Schlagzeilen war, weil ihre Piloten ständig übermüdet fliegen müssen, ging es von Hamburg Richtung Südosten. Die Durchsage des Kapitäns, dass wir noch nicht losfliegen könnten, weil eine Person zu viel an Bord ist, verwirrte uns schon sehr. Dann wurden sie diese Person wohl irgendwie los, dann rollten wir endlich – aber in die falsche Richtung! Also standen wir nochmal eine Weile am Gate, bevor es dann mit drei Stunden Verspätung endlich los ging. Einen seltsameren Flug hatte ich wohl in meinem Leben nicht. Anschnallzeichen hin oder her, permanent liefen Passagiere auf dem Gang rum. Immer wenn die Durchsage zu möglichen Turbulenzen kam, sprang irgendwo jemand auf und ging erstmal ganz entspannt aufs Klo. Alle um uns rum schauten Videos auf dem Handy in voller Lautstärke ohne Kopfhörer und ein paar Minuten vor der Landung klingelte doch tatsächlich ein Handy! Das übliche Klack-Konzert, wenn alle ihren Gurt öffnen sobald man Boden berührt hat, blieb aus, es war ja eh kaum jemand angeschnallt. Dann die Durchsage „Bitte lassen sie den Fluggästen Vorrang, die fürs Fußballspiel angereist sind.“
Unser Gastgeber in der Pension in Tirana hatte uns schon vorab informiert, dass der Verkehr in die Stadt „suspended“ sein sollte, wir wussten nichts damit anzufangen. Unser vorbestelltes Taxi brachte uns dann in die Innenstadt, blieb abrupt vor einer Polizeiabsperrung stehen und sagte „Mist, Straße zu“. Wegen dem Fußballspiel. Aha! Es war das Finale der Conference League, Rom spielte gegen Rotterdam und scheinbar war das eine echt große Sache. Also begann unser Albanien-Urlaub mit nachts am Straßenrand stehen und auf unseren Gastgeber warten, der uns und unsere Koffer dann zu Fuß abholen kam. Freundlich waren danach auch alle weiteren Albaner, auch wenn wir doch einige Verständigungsprobleme hatten, denn Englisch scheint nicht von vielen gesprochen zu werden. Sobald man uns als Ausländer identifizierte, fingen erstaunlich viele an, Italienisch mit uns zu reden. Mit Spanisch, Französisch, Isis einem Semester Uni-Italienisch und viel Hand- und Fußgefuchtel kamen wir aber dann doch die drei Tage irgendwie zurecht.
Tirana wird in einigen Reiseführern als „Perle des Balkans“ bezeichnet und als Hauptstadt war es da schon ganz nett. Weil Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg seine Grenzen nicht öffnete und bis
Anfang der 90er Jahre komplett abgeschottet war, steht noch einiges der sowjetischen Architektur, gesprenkelt mit Altem von vor dem Krieg und Neuem aus den letzten 30 Jahren. Schon um das
Stadtzentrum am Skanderbeg-Platz sieht man, was Tirana ausmacht. Am Platz steht eine schöne Moschee, daneben ein kirchenähnlicher Uhrenturm, eine Ecke weiter das Nationaltheater in kastigem
Sowjet-Style. Anscheinend gibt es in Albanien noch über 150.000 der Weltkriegsbunker, die als Beton-Kuppeln dauernd irgendwo zu sehen sind. In der Innenstadt sind einige jetzt zu Galerien oder
Museen umfunktioniert worden.
Tirana ist irgendwie eine kleine Großstadt, das Zentrum ist schön kompakt und man kann alles erlaufen. Es gibt einen großen Markt (oder Basar) namens Pazari Ri, wo wir uns mit albanischen
Erdbeeren und Maulbeeren eindeckten für den kleinen Snack zwischendurch. Ein Schloss gibt es auch, jedenfalls heißt die byzantinische Burg mitten im Stadtzentrum so. Die mehr als 700 Jahre alten
Mauern umschließen heute viele Restaurants und Geschäfte, und schließen an ein Viertel an, dass es uns besonders angetan hat. Hier saßen wir eines Abends in loungiger Atmosphäre im Restaurant und
erfreuten uns an den abendlichen 20+ Grad, wenn man endlich nicht mehr schwitzen musste.
Wo es so viel Altes gibt, wirkt Tirana manchmal auch extrem modern. Zum Beispiel leuchten bei den Ampeln nicht nur die Lampen grün oder rot, sondern auch die Ampelpfosten. Außerdem zählen die Ampeln runter, wie lange man noch zur nächsten Grünphase warten muss oder wie sehr man sich beeilen muss noch vor Rot drüben anzukommen. Wir lernten schnell, wann immer möglich bei einer Ampel die Straße zu überqueren. Es gibt zwar unglaublich viele Zebrastreifen, aber über die trauten wir uns nur, wenn gerade jemand anderes auch rüber lief. Wenn man die deutschen Straßenregeln gewöhnt ist, fällt einem das viele Gehupe doch sehr auf, auf den Straßen fährt jeder wie er grade lustig ist, vor allem auf markierungslosen Straßen, wo sich dann auf der Breite von zwei Spuren gerne mal vier Autos nebeneinander quetschen.
Erstaunlich gut funktionierte das Busfahren und davon hatten wir in diesem Urlaub wirklich viel. Nachdem wir von Tirana sechs Kilometer nach außerhalb gelaufen waren, um mit der Seilbahn in 20 Minuten auf den 1.600m hohen Hausberg Dajti zu fahren und die Aussicht zu genießen, nahmen wir den Bus zurück. Die nette Dame an der Seilbahn sprach Englisch (und das obwohl ich so schön albanisch nach dem „Autobusi“ gefragt hatte) und zeigte uns den Weg zur nächsten Haltestelle, wo dann tatsächlich ein kleines blaues Schild an der Straße stand, das war aber auch alles. Kein Fahrplan, keine Linienangabe, kein Wartehäuschen. Zahlen mussten wir nichts als wir einstiegen, dann kam aber kurz drauf der Kontrolleur rum und wollte möglichst passend 40 albanische Lek pro Person für das Busi-Ticket abkassieren. Soviel kostet eine Fahrt, egal wohin und egal wie weit. 40 Lek sind 33 Eurocent. Und das für eine halbe Stunde Fahrt in einem sehr komfortablen ausgemusterten französischen Linienbus.
Weil das Busfahren so spaßig war, machten wir es am nächsten Tag gleich nochmal. Diesmal fuhren wir für unsere 33 Cent mit dem Autobusi zum „Terminali“ und als verwöhnte Deutsche dachten wir
natürlich an ein klimatisiertes Gebäude mit öffentlichen Toiletten und Sitzmöglichkeiten, wie sich das für einen Busbahnhof gehört. Tja, falsch gedacht. Ein staubiger Schotterplatz voll mehr oder
weniger klappriger Reisebusse, Toilette war Fehlanzeige, eine englischsprachige Information genauso. Anzeigen gibt es nicht, weder mit Reisezielen noch mit Abfahrtzeiten, aber alle Busfahrer
brüllen laut wo sie hinfahren, und so fanden wir ziemlich sofort den Bus nach Berat. Im 20-Sitzer fuhren wir ohne zu zahlen zweieinhalb Stunden aus Tirana raus und durch die albanische Landschaft
Richtung Süden. Die Bezahlung wurde dann beim Ausstieg abgewickelt. Worin der Sinn liegt, verstehe ich nicht. Was macht man denn, wenn man dann nicht zahlen kann und aber schon mitgefahren ist?
Auf dem Weg hielt der Bus an seltsamen Stellen, zum Beispiel kurz vor einer Autobahnraststätte, wo ein Mann zwei Pakete mit Schrauben reinreichte, die dann auf dem Beifahrersitz mitfahren
durften. Eins der Pakete wurde dann eine Stunde später an einer Nothaltebucht auf der Landstraße eingesammelt von einem Mann, der uns vorher drei Minuten hupend gefolgt gewesen war. Woher Leute
wissen, wo dieser Bus hält und wann, ist mir ein Rätsel. Für den Überlandbus gibt es nicht mal die kleinen blauen Busschilder am Straßenrand.
In Berat angekommen sind wir einfach mal in den nächstbesten Bus gestiegen, der sich präsentiert hat und siehe da, er fuhr tatsächlich ins Zentrum – und kostete hier sogar nur 30 Lek.
Berat ist UNESCO Kulturerbe und auch bekannt als „Stadt der tausend Fenster“ und damit eine der Hauptattraktionen Albaniens. Weil die Bilder so toll aussahen, mussten wir das mit eigenen Augen
sehen. Es ist nur eine kleine Stadt, die vom Bus aus auch ganz normal aussieht. Aber wenn man im Zentrum aussteigt, sieht man schon die Häuser im Stil der Ottomanen-Zeit (das war so 14. bis 15.
Jahrhundert). Die Stadt hat verboten, in den drei ältesten Stadtvierteln neu zu bauen, sodass man auch wirklich überall unverbaut die Häuser sehen kann. Wirklich spektakulär sind die Häuser an
sich nicht, aber ihre Masse macht dann doch was her, wie die Häuser wie aneinander geklebt den Berg rauf stehen. Getoppt wird die Stadt von einer Festung, die über eine wenig befahrene gut
geteerte und sehr steile Straße zu erreichen ist. Zu laufen war es zwar ganz angenehm, aber die Hitze hat mir doch sehr zu schaffen gemacht – ich glaube, mein Körper ist das nicht mehr so gewöhnt
nach den Mooonaten im kalten Norden.
Die Festung Kalaja auf dem Berg ist sehr imposant und man hat wunderbare Blicke auf die Umgebung – und vor allem auf die vielen Häuser mit den vielen Fenstern, die sich am gegenüberliegenden Berg
raufziehen und der Stadt ihren touristischen Namen gaben. Und die Umgebung heißt übrigens Qark, das ist das albanische Wort für eine Art Region. Wikipedia sagt „Der Qark Berat ist einer der zwölf
Qarks in Albanien“. So ein Quark…
Es stehen noch Großteile der Festungsmauer, zwei Moscheen und ein Wasserturm. Und in den kleinen Gassen stehen noch einige Häuser, wovon fast alle inzwischen Kirchen für den einen oder anderen
Schutzheiligen sind. Die größte und besterhaltene Kirche ist die Dreifaltigkeitskirche, die auch den schönsten Blick ins Tal hat.
Später habe ich gelesen, dass Berat der erste Ort Albaniens ist, wo gut sichtbare und verständliche zweisprachige Wegweiser für Touristen aufgestellt wurden. Auch weniger verständliche Schilder
haben uns auf dem Weg zurück ins Tal begleitet, die haben zum Beispiel gewarnt „Bewary by tools“, „Careful track“ und „Careful where go“, und uns geraten „Save self and friend“. Aber wovor denn
bloß?
Die touristischen Wegweiser funktionieren jedenfalls gut, hat man gemerkt und nutzt Berat jetzt als Beispiel für andere Orte, denn wie wir gemerkt haben lernt Albanien gerade noch Tourismus. Es gibt sogar eine Touristeninfo, deren zwei gelangweilte Mitarbeiter sofort aufsprangen und uns aufs herzlichste begrüßten und freudestrahlend alles erklärten, was ihre Stadt zu bieten hat. Wir wollten dann auch noch wissen, wo man denn Byrek essen kann, den typischen albanischen Snack, kleine Blätterteigtaschen gefüllt mit Schafskäse oder Spinat und vergleichbar mit dem türkischen Börek. Sie schickten uns in eine Richtung und als wir anderthalb Minuten später an der Straße vorbeiliefen, kam ein Mann aus seinem Laden, fragte ganz freundlich „Byrek?“ und wir waren versorgt. Ob die netten Info-Männer ihn direkt angerufen und auf unser Kommen vorbereitet hatten?
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