Während der Muezzin vom nächsten Minarett ruft, betet am Wegrand jemand mit einem Rosenkranz in der Hand und vorbei laufen kleine Jungen mit Schläfenlocken. Verrückte Welt, könnte man meinen, wo sich die ganze Welt bekriegt, weil Muslime, Christen und Juden sich einfach nicht verstehen können. Hier scheint es irgendwie zu funktionieren und nicht umsonst heißt Jerusalem auch „Stadt der drei Religionen“.
Irgendwie war Haifa uns allen nur ein Begriff als Hafen in Israel, wo sich alle vorher Sorgen machen, ob wir überhaupt rausgehen dürfen oder ob die Sicherheitsstufe doch erhört wird, denn in diesen Gefilden weiß man ja nie. Anfang des Jahres auf der Bella haben wir unseren Gästen, die von Aqaba in Jordanien aus die halbe Stunde nach Eilat über die israelische Grenze fahren wollten, davon abgeraten. Israel muss nicht sein, haben wir gesagt, man weiß ja nie, ob man in einem Stück zurückkommt. Dass wir Haifa überhaupt anfahren, ist eine relativ neue Entwicklung. Früher war der Hafen regelmäßiger Stopp auf der Orient-Route, aber seit es politische Unstimmigkeiten im Land und so viele negative Beiträge in den Nachrichten gibt, wurde er komplett gestrichen. Seit kurzem darf Haifa wieder angefahren werden, aber eben nur, wenn ein Schiff zufällig mal vorbei kommt, also auf unseren Transreisen. Weil der Hafen selbst aber eigentlich nicht wirklich was zu bieten hat, gehen die Ausflüge weiter weg zu allen möglichen Orten, die man nur ganz lose mit der Bibel in Verbindung bringt, jedenfalls wenn man nicht ganz bibelfest ist.
Für mich und knapp eintausend unserer Gäste ging es nach Jerusalem, was natürlich ein absolutes Highlight viele ist. Ich persönlich hatte Jerusalem oder Israel an sich gar nicht auf dem Schirm als potentielles Urlaubsziel, aber jetzt wo ich da war, bin ich doch ziemlich begeistert. Der allgemeine Volksglaube sagt, dass der Name der Stadt vom hebräischen Wort „Schalom“ kommt, also „Frieden“, und deswegen wird Jerusalem auch als Stadt des Friedens bezeichnet. Die Herkunft des Namens ist inzwischen geklärt und hat nichts mit Frieden zu tun, aber die Vorstellung ist doch eigentlich ganz schön. Vor Ort sieht es auch aus, als würden alle friedlich miteinander leben; wenn es wirklich so wäre, hätten wir Jerusalem-Begleiter aber wohl kaum eine separate Einweisung vom Sicherheitsoffizier bekommen um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Es gab einen detaillierten Stadtplan, auf dem eingezeichnet war, welche Stadtteile sicherer sind als andere und welche Stadttore unsere präferierten Fluchtwege sein sollten. Ein bisschen Panik bekommt man dann schon, wenn man sich daran erinnert, wie oft man Israel schon in der Tagesschau gesehen hat – und Länder, in denen alles in Butter ist, kommen doch eher selten in den Nachrichten.
Jerusalem spielt eine wichtige Rolle im Nahostkonflikt, denn einerseits wird es von Israel als Hauptstadt beansprucht, andererseits aber in Teilen auch von Palästina. Gleichzeitig gilt Jerusalem als eine heilige Stadt sowohl für Juden als auch für Christen und Muslime, da ist es ja irgendwie vorprogrammiert, dass es Konflikte gibt. In der Altstadt merkt man davon aber tatsächlich gar nichts. Klar, es gibt Sicherheitskontrollen an den wichtigen Stadttoren, die an die Plätze führen, wo sich die Religionen und Nationen besonders vermischen. Aber Kontrollen gibt es schließlich auch, wenn man zur Freiheitsstatue schippern will. An jeder dritten Ecke sieht man Polizisten oder Soldaten stehen, die aber alle nicht so aussahen, als wären sie bereit für den nächsten riesigen Anschlag, sondern einfach nur zur Vorsicht und natürlich auch als Beruhigung für die Touristen, die durch die Stadt strömen. Ich persönlich habe mich in Jerusalems Altstadt tatsächlich irgendwie sicherer gefühlt als ich es üblicherweise in London, Paris oder Berlin tue.
Wenn man durch das wichtigste Stadttor tritt, kommt man auf einem Platz raus, auf dem es nur so wimmelt vor Touristen und Gläubigen, denn dieser Platz auf dem Tempelberg gilt als Zentrum der
Stadt. Juden auf der ganzen Welt richten ihre Gebete Richtung Tempelberg und auch Muslime haben in Richtig Jerusalem gebetet, bevor es durch Mekka abgelöst wurde. Heute noch ist Jerusalem für
Juden und Christen die wichtigste und für Muslime die drittwichtigste Stadt und es gibt im ganzen Stadtgebiet um die 1.200 Synagogen, 150 Kirchen und 70 Moscheen.
Da, wo alle Touristen erstmal hin wollen, ist der westliche Teil der alten Stadtmauer, die überragt wird von den Resten der alten Festung, die hier früher mal stand. Die Westmauer ist uns aber
meist eher als Klagemauer ein Begriff, wo Juden aus aller Welt hinpilgern, um an ihr zu beten. Fast 50 Meter ist sie lang, es ist aber jeweils nur eine Hälfte zugänglich, nämlich eine für die
Männer und eine für die Frauen. So beeindruckend, wie ich immer dachte, ist sie eigentlich gar nicht. Aber wie sich alle unten drängen um eine Hand oder ihre Stirn an die Mauer legen zu können,
ist toll zu sehen. Die Steine, die zum Bau verwendet wurden, sind teilweise gigantisch und die Ritzen dazwischen sind alle ausgefüllt mit zusammengeknüllten Zetteln, die Gläubige dort
reinstecken. Die Mauer gilt den Juden als Symbol der ewigen Verbindung zwischen Gott und seinem Volk, also hinterlässt man Gebete und Danksagungen auf einem Zettel, der dann auch noch nach dem
eigenen Besuch dort bleibt. In regelmäßigen Abständen kommt jemand von der Synagoge, sammelt die Zettel ein und vergräbt sie auf einem Hügel vor der Stadt, denn es ist nicht erlaubt Zeilen aus
der Bibel zu zerstören. Erst seit ein paar Jahren ist es Nicht-Juden überhaupt erlaubt, die Klagemauer zu besuchen, deswegen gibt es natürlich nochmal extra Sicherheitskontrollen.
Die ganze Stadt hat dieselbe Farbe wie die Klagemauer, denn alles wurde aus demselben Stein gebaut, der vor den Toren der Stadt abgebaut wurde. Es ist eine Art Kalkstein, die inzwischen aber einfach nur noch Jerusalem-Stein genannt wird und wer Geld hat, lässt sein Haus in diesem Stein bauen. Das ist auffällig, selbst wenn man nur die ersten Ausläufer der Stadt aus dem Bus raus sieht. Es sieht alles aus wie aus einem Guss, aber nirgends so extrem wie wenn man auf dem Ölberg steht und auf die Altstadt runter schaut. Heute ist hier eine große Aussichtsplattform von der aus man einen perfekten Blick aufs Zentrum hat: Mitten drin der Felsendom mit der goldenen Kuppel, direkt dahinter die Al-Aqsa-Moschee und am Hang ein riesiger jüdischer Friedhof, der Gräber beherbergt, die dort in biblischen Zeiten angelegt wurden. Wer am Ölberg begraben ist, ist was ganz besonderes, denn es ist der wichtigste Friedhof der Stadt. Nach jüdischem Glauben wird der Messias für das Jüngste Gericht über den Ölberg nach Jerusalem einziehen, und für die Christen ist Jesus über den gleichen Weg gekommen und fuhr vom Ölberg aus in den Himmel auf. Auch die Muslime verehren den Ölberg, denn nach ihrem Glauben ist überliefert, dass in der Endzeit ein Seil zwischen dem Tempelberg und dem Ölberg gespannt wird und darüber werden alle, die gerecht sind, ins Jenseits gehen. Schön, dass sie sich so einig sind. Wikipedia gibt dazu aber die Einschränkung „In Friedenszeiten ist der Ölberg ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen“.
Die Altstadt Jerusalems ist komplett von einer gut erhaltenen Stadtmauer umgeben und es gibt innendrin ganz viele Gässchen, in denen man sich verlaufen könnte – wäre da nicht der Reiseleiter, der unsere Reisegruppen wie beim Viehtrieb durch die Hauptgassen jagt. Eine der wichtigsten Gassen im Zentrum, jedenfalls aus biblischer Sicht, ist die Via Dolorosa. Klingt römisch, ist es auch, denn natürlich waren auch die Römer hier, wie ja auch schon in der Bibel steht. Lose übersetzt bedeutet Via Dolorosa die Straße des Schmerzes oder anders gesagt der Weg des Leidens. Leidensweg also, und zwar der, auf dem Jesus gegangen ist bis zu seiner Kreuzigung. Es heißt immer, dass viele Christen enttäuscht sind, wenn sie die Via Dolorosa entlang gehen, denn sie erwarten einen steilen anstrengenden Weg auf einen mit Kreuzen gespickten Hügel entlang von Olivenhainen. Der wirkliche Leidensweg verlief aber ziemlich sicher ebenso durch die Stadt wie der symbolische hier, und Jesus wird ähnliches gesehen haben wie wir heute: gepflasterte Gassen mit Stufen, entlang derer sich Geschäfte und Werkstätten reihen. Angenehm kann es trotzdem nicht gewesen sein, sich mit einem schweren Holzkreuz auf dem Rücken durch diese engen Gassen zu schlagen.
Die Via Dolorosa ist gekennzeichnet mit Tafeln oder gusseisernen Ziffern, man markiert damit die vierzehn Stationen des Leidenswegs. Ursprünglich hieß es, dass Jesus direkt vor den Stadttoren in Golgota gekreuzigt wurde, heute geht man davon aus, dass der Hinrichtungsort wahrscheinlich eher innerhalb der Stadtmauern war. An der überlieferten Stelle ist heute die letzte Station des Leidensweges: das Grab Jesu. Der Schrein steht in der runden Halle direkt unter einer gigantischen Kuppel in der Grabeskirche mitten im Stadtzentrum. Hätte mein Reiseleiter es uns nicht gesagt, wir wären wohl alle dran vorbeigelaufen, denn die Kirche sieht von außen gar nicht aus wie eine Kirche und innen ist sie halb aus dem Fels unter der Stadt geschlagen mit einer unterirdischen Grotte und allem. Sie gilt heute als eines der größten Heiligtümer des Christentums.
Neben Tempelberg und Ölberg gibt es noch mehr Hügel, auf denen Jerusalem erbaut ist. Ebenfalls ein wichtiger ist der Berg Zion, denn der Name allein bedeutet so viel wie die Heilige Stadt oder
der Wohnsitz des einen Gottes, den Juden und Christen gleichermaßen verehren. König David aus der Bibel liegt hier begraben und noch dreitausend Jahre nach seinem Tod kommen die Leute um ihm zu
huldigen. Wenn das Grab auf David maßgeschneidert wurde, muss der gute Mann locker drei Meter groß gewesen sein, denn das Grab ist so lang, dass man in der Mitte eine Trennwand gebaut hat und es
nun einen Männer- und einen Fraueneingang gibt und beide Gruppen zeitgleich am Grab beten können ohne einander zu sehen. Die jüdischen Frauen erkennt man glaube ich gar nicht wirklich als solche,
aber es ist spannend, die Männer zu beobachten, die zum Gebet gehen. Sie tragen ihre traditionellen Gewänder und Hüte oder Kippas und die Länge der Schläfenlocke ist der Wahnsinn! Wie Männer es
überhaupt schaffen, so lange Haare wachsen zu lassen, ist beeindruckend, und teilweise hingen die Strähnen vor den Ohren bis auf Brusthöhe runter.
Die Thora sagt jüdischen Gläubigen, dass sie ihr Kopfhaar nicht rundum abschneiden sollen. Wieso genau, weiß ich nicht, aber mein Reiseleiter sagte, dass viele es nur wachsen lassen um sich
anderen Gläubigen gegenüber zu erkennen zu geben. Wie lang es sein muss oder darf oder sollte ist auch nicht festgelegt, also ist es eher eine symbolische Sache. Toll aussehen tut es aber, wenn
man schon die ganz kleinen Jungs auf dem Weg zum Religionsunterricht sieht mit ihren zwei Zentimetern Schläfenhaar.
Ich muss schon sagen, das war ein beeindruckender Ausflug. Extra einen Urlaub in Israel würde ich jetzt wohl eher nicht buchen, aber einmal hier gewesen zu sein, ist schon was besonderes. Ähnlich wie Jerusalem muss wohl auch Damaskus aussehen und dort jagen sie alles in die Luft und bekriegen sich. Von den alten arabischen Bädern, Tempeln, Bodenmosaiken und Wandfliesen ist dort leider nicht mehr viel übrig. Irgendwie ist die Vorstellung beruhigend und beängstigend zugleich, dass es in Jerusalem (noch) nicht so weit gekommen ist und wir überhaupt die Möglichkeit haben, ohne Todesängste durch die Altstadt zu bummeln.
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Michael aus Fulda (Dienstag, 13 November 2018 19:07)
Ohne jemanden verletzen zu wollen, möchte ich folgendes anmerken.
Atheisten sind angesichts der drei Religionen in Jerusalem sicherlich froh, dass sie sich nicht fragen müssen, welcher Glaube der richtige ist. Wer glaubt, gibt zu, dass er nichts weiß.
Atheisten halten sich an das Wissen, das immerfort erweitert wird.