Der große Plan war ja eigentlich, dreißig Länder besucht zu haben bis ich dreißig bin. Den Plan musste ich schon vor über einem Jahr aufgeben, als wir auf unserer Transreise aus der Karibik zurück Richtung Europa in Dominica Halt machten. Das war Land Nummer 30 und seither hat sich meine Weltkarte im Kopf doch noch ein ganz schönes Stück weit gefüllt. Dank einer kleinen feinen Excel-Liste, die die Tanja’sche Reisegeschichte seit April 1991 festhält, weiß ich immer genau bei welcher Nummer ich grade bin – und wann es Grund zu feiern gibt. Wie zum Beispiel am vergangenen Montag: Land Nummer 50!
Und so ein schönes war es noch dazu! Die Seychellen haben mich tatsächlich ein bisschen überrascht. Ich dachte, wenn man schon in der Südsee und der Karibik unterwegs war und schon die Malediven
gesehen hat, können die Inseln im Indischen Ozean nicht mehr allzu neu sein. Ich hatte die Malediven erwartet, nur bergiger. Aber ich wurde sehr überrascht, vor allem von der vollkommenen
Abwesenheit von Müll. Weder am Straßenrand, noch vor den Häusern, nicht mal auf den Ladeflächen der Autos. Im Sand der öffentlichen Strände hätte man sich seinen Fisch panieren können, so sauber
war der. Und besonders schön: im Indischen Ozean gibt es so nah an Afrika doch tatsächlich Geschichte und eine Art Kultur, was mir beides auf den Malediven so sehr gefehlt hat.
Wenn man durch die Hauptstadt Victoria fährt, fallen besonders die verschiedenen Gotteshäuser auf, die einfach so nebeneinander her existieren, denn jeder glaubt halt, was er glaubt, oder halt
einfach gar nichts. Die Indischstämmigen vergöttern ihre Statuen am Hindutempel, während die Christen nebenan in ihrer Kirche beten.
Wenn man Englisch und Französisch kann, kann man mit jedem Seychellois kommunizieren. Nur Französisch und fast alle können dich wenigstens verstehen. Nur Englisch und es werden schon weniger. Gemeinsame Sprache der Einheimischen ist die Kreolsprache, die sich von weitem anhört wie Französisch, aber eigentlich eine Mischung aus allem ist, was jemals auf den Seychellen zu Hause war. Ganz früher kamen die arabischen Händler auf ihren Seehandelsrouten auf den Indik-Inseln vorbei, blieben aber nicht längerfristig. Dann kamen die Franzosen, dann irgendwann die Briten, dann wieder die Franzosen und zwischendurch Festland-Afrikaner, die als Sklaven eingesetzt wurden. Als die Sklaverei abgeschafft war, kamen die Inder, um die Arbeiten auf den Zuckerrohrplantagen zu übernehmen, die die Sklaven nicht mehr machten. Alle brachten ihre eigenen Sprachen mit, ihre Traditionen und Bräuche, ihre Musik und vor allem ihre Küche. Entstanden ist so das sogenannte „Creole Seychellois“, das seychellische Kreol.
Verrückt, wie man nach einer gewissen Zeit als Weltenbummler immer Vergleiche anstellt, bevor man einen Ort überhaupt gesehen hat. Jamaika war für mich wie Mexiko, bis ich dort war und dann
plötzlich merkte, dass es Dritte Welt ist und bei weitem nicht nur das Paradies, in das die Amerikaner zum Urlaubmachen fliegen. Die Seychellen waren entsprechend für mich wie Jamaika, aber jetzt
wo ich da war, war ich positiv überrascht und wirklich begeistert. Die Gebäude in Victoria sind modern, die Straßen perfekt asphaltiert und es gibt sogar Ausweichstellen, um irgendwie am
Gegenverkehr vorbei den Berg raufzukommen.
Die Natur ist dann doch wieder eher wie Jamaika und hat richtig viel zu bieten. Es gibt mehr als hundert Inseln, die zu den Seychellen gehören, und die Hälfte ist aus Granit und bergig und super
grün, während die andere Hälfte Koralleninseln sind, platt und sandig traumhaft. Ein bisschen wie auf den Cookinseln, wenn ich drüber nachdenke. Auch dort gibt es die vulkanisch entstandenen
Inseln und die, die irgendwann mal aus dem Meeresboden gewachsen sind.
Zur mentalen Vorbereitung auf die wirklich naturlastigen Ziele unserer Indik-Route gibt es auch auf den Seychellen schon allerhand zu entdecken. Man muss nicht mal die Stadt verlassen um schon
die beiden berühmtesten Vertreter von Flora und Fauna kennenzulernen, denn der botanische Garten zeigt alles, was irgendwo in den Tropen wächst. Besonders stolz sind die Insulaner auf ihre Coco
de Mer, die größte Kokosnuss der Welt und außerdem der größte Samen der Welt. Die Palmen selbst sehen schon ziemlich imposant aus und tragen nur Früchte, wenn es einen weiblichen und einen
männlichen Baum in unmittelbarer Nähe zueinander gibt und wenn genau in den 36 Stunden, die die weibliche Blüte einmal in der Saison offen steht gerade ein Brauner Gecko auf dem männlichen
Blütenstand saß und dort Pollen an seinem klebrigen Bauch kleben geblieben ist, den er auf die weibliche Blüte trägt und sie damit bestäubt.
Heute steht die Coco de Mer unter Schutz und gegenüber den Touristen wird sie immer Coco de Popo genannt, weil sie aussieht wie ein wohlgeformtes Hinterteil. Sie darf heute nicht geerntet werden,
sondern nur noch zu Demonstrationszwecken verwendet werden. Aber andere Kokosnüsse gibt es ja auch noch und so gibt es immer noch genug Lieferanten der wichtigsten Kokosprodukte: das Innere für
Kokosöl und getrocknete Kokosraspel, die Schalen für Alltagsgegenstände und Kunsthandwerk, die Fasern von außenrum als Stopfmaterial für Matratzen und die Palmwedel für Matten, Wandverkleidungen
und Dächer.
Nebenan wächst die rote wilde Ananas, die ganz stachelig ist und extrem sauer und ungenießbar, aus der man aber ganz hervorragend den sogenannten Jungle Juice machen kann, das Lieblingsgetränk
der Einheimischen. Lässt man ihn eine Weile stehen, nimmt der Alkoholgehalt in der Hitze sehr schnell zu und man hat immer gut was zu lachen wenn das Glas leer ist. Es heißt, dass man als
Ausländer nach drei Gläsern Jungle Juice perfekt Kreol verstehen, sprechen und singen kann.
Im Schatten der Palmen leben die Hauptattraktionen des botanischen Gartens: die Riesenschildkröten. Hier gibt es eine spezielle Art, die endemisch auf den Seychellen ist und von einer der
kleineren Inseln kommt, wo es heute noch die weltweit größte wilde Population von Riesenlandschildkröten gibt. Die tun nicht wirklich was bei der Hitze, liegen halt so rum. Aber die Kollegen, die
privat dort waren und die paar Dollar gezahlt haben um ins Gehege rein zu dürfen, haben berichtet, dass sie ganz erstaunliche Geschwindigkeiten hinlegen können, wenn man ihnen mit einem
Salatblatt zuwinkt.
Übrigens weiß man bis heute nicht, wie diese Riesenviecher eigentlich so riesig geworden sind. Die einen Forscher sagen, sie sind von anderen Orten mit Treibgut auf die Seychellen gekommen und
haben sich durch die Abgeschiedenheit der Insel ohne Fressfeinde zu riesigen Größen entwickeln können. Andere meinen, es sind eigentlich die geschrumpften Nachkommen der dinosaurierhaften
Schildtiere. Wer weiß…witzig sind sie auf jeden Fall.
Apropos Riesenhaftigkeit. Wenn man nicht aufpasst, läuft man am Rand der Bergstraßen in Spinnennetze, die grad mal so groß sind wie zwei Hände, aber die zu 80% vom Körper ihres Bewohners belegt
werden. Hübsch aussehen tun sie mit ihren gelben oder roten Kniegelenken und wenn man drüber nachdenkt, kann man das ja auch nur würdigen, weil sie so arg groß sind. Und in Australien gab es
tatsächlich größere Spinnen in den Ecken und die waren auch noch giftig.
Besonders beeindruckend sind die Riesen der Lüfte auf den Seychellen: die gigantischen Flughunde, die am späten Nachmittag langsam aktiv werden und lautlos dahin flattern, teilweise in riesigen
Höhen, die ich gar nicht für möglich gehalten hätte. Fotogen sind sie auch noch, denn wenn die Sonne grade so schön am Untergehen ist, leuchten ihre Köpfe ganz rötlich-braun und man kann bei
genauem Hinschauen sogar die Krallen an ihren Monsterflügeln glitzern sehen.
Für uns alle war es das erste Mal auf den Seychellen und dann gleich zwei Tage da zu sein ohne auch nur einen Finger für die Abreise der alten oder die Anreise der neuen Gäste zu rühren, war
Luxus pur und wir durften alle ganz viele Ausflüge machen, damit wir möglichst viel erstmal auskundschaften konnten. Weil man mich jagen kann mit reinen Strandtransfers (und davon gibt es viele
auf den Seychellen) und meine Kollegen die alle so gern machen, durfte ich nachmittags mit dem Katamaran raus fahren und es ging die ganze Nordküste entlang ums Cap Malheureux herum, was
vielleicht so heißt, weil so viele Seeleute vor seiner Küste den Tod fanden.
Gleich zu Beginn unserer Fahrt fragte ich unseren Skipper Francis, wann denn die Delfine ihren Auftritt hätten und er sagte mir „Die kommen so um Drei“. Als es zwanzig nach drei war, schimpfte
ich, dass immer noch keine Delfine da waren und er zuckte nur die Achseln und sagte „Vielleicht schlafen sie noch. Sie schicken bestimmt ihren Cousin als Vertretung“ – und ungelogen: keine fünf
Minuten später brüllt der Käptn von seinem Steuerrad her „Walhai auf der Backbordseite!“ Mann, da hing unser Katamaran aber plötzlich schief im Wind, als die gesammelte Mannschaft nach backbord
flitzte. Und enttäuscht wurden wir nicht. Tatsächlich plantschte ein etwa drei Meter langer Baby-Walhai direkt neben uns im Wasser, was nur ein paar Meter vor der Küste richtig tief ist und so
viele Nährstoffe hat, dass die Walhaie hier gerne ihren Herbst verbringen. Weil Mama Walhai bestimmt auch irgendwo in der Nähe war, dümpelten wir noch eine Weile in der Gegend rum um niemanden
mit unserer Schiffsschraube zu verletzen, aber sie zeigte sich leider nicht. Wie blöd, dass die Schnorchelmaske noch auf Kabine war und knapp hundert AIDA-Gäste neben mir, die schon so absolute
Panik geschoben haben, sonst wäre ich sofort reingehüpft zum kleinen Fratz. Obwohl sie Haie heißen und auch ein bisschen so aussehen, sind es reine Planktonfresser und ganz friedliche Tiere und
jeder Taucher träumt davon, einmal mit ihnen unterwegs sein zu können.
Auch von Landseite her hat die Küste sehr viel zu bieten. Die Strände sind ein Traum und besonders schön ist hier, dass es keinen einzigen privaten Strand gibt auf der Hauptinsel Mahé. Zwar gibt
es Hotelstrände, die darf man aber einfach so betreten und keiner darf was dagegen sagen, wenn man dort seine Picknickdecke ausbreitet. Die Strände sind nicht nur perfekt von Sand und Wasser her,
sondern auch dank der ganz typischen Granitfelsen, die an den Rändern liegen und viele der Strände begrenzen. Die sind sehr hübsch geformt mit tiefen Rillen und strahlen irgendwie eine Ruhe aus,
wenn man dazwischen her spaziert. Die perfekten Postkarten-Fotos sind also garantiert.
Weiter oben am Hang hat man die hervorragendsten Aussichten über die ganze Küste. Victoria ist bei weitem die größte Stadt, aber mit grade mal knapp 30.000 Einwohnern doch recht überschaubar.
Damit teilt sich Victoria tatsächlich den Titel der kleinsten Hauptstadt der Welt mit Bandar Seri (das ist in Brunei).
Der Markt ist faszinierend, wie es Märkte in anderen Ländern irgendwie so an sich haben. Es ist laut und riecht ein bisschen komisch und so viele Menschen drängeln sich aneinander vorbei. Es gibt bunte Klamotten und Zeug zum haben-aber-nicht-brauchen, frisches Obst und Gemüse. Es gibt Bananen, die so klein sind wie ein Daumen, und Bananen, die so groß sind wie eine Salatgurke. Es gibt Fleisch, das nur so wimmelt vor Fliegen und Getier, und es gibt Fisch, den man normalerweise so schön bunt schillernd beim Schnorcheln sieht und dann plötzlich ohne Kopf auf einer ungekühlten Theke. Das bunte Treiben des Marktes weitet sich auf die kleine Fußgängerzone aus, in der aus der Pommesbude brüllend laut Reggae-Musik plärrt, während draußen alle Einheimischen, die vorbeigehen, mitsingen, -summen oder -grooven. Ach, ich liebe das Insel-Leben schon irgendwie.
Für den allerersten Hafen im Indischen Ozean sind wir definitiv alle sehr begeistert und ich persönlich habe ganz und gar kein Problem damit, für die nächsten Monate alle zwei Wochen hier sein zu müssen.
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Melanie (Dienstag, 05 Februar 2019 12:49)
Oh mann Tanja! Mit dem Spinnenbild hast dus voll versaut... Jetzt überlege ich mir doch nochmal ob es wirklich lohnt auf die Seychellen zu reisen, wenn da so große Viecher rumlungern... ;-)