Deutschland-Tour: Etappe 2 Rüsselsheim - Friedberg

Am Donnerstag ging es weiter von Rüsselsheim über malerische Felder und Bächlein, während die ganze Zeit lang ganz unmalerisch die Haupteinflugschneise der Landebahn West des Frankfurter Flughafens einen Heidenlärm machte. Immerhin weiß man als Radfahrer so permanent, ob man noch in die richtige Richtung unterwegs ist. Für mich als Orientierungsmuffel also von klarem Vorteil!

der Weg nach Friedberg
der Weg nach Friedberg

Der malerische Radweg geht durch eine Heidelandschaft mit hübschen lila Blümchen und kommt dann direkt an der Landebahn entlang bis zur Nordseite des Flughafens (da, wo es auch in die Terminals geht). Der Weg an der Landebahn ist leider sehr unspektakulär: große Zäune, die doppelt und dreifach gesichert und videoüberwacht sind, ziehen sich den Radweg entlang – einmal habe ich sogar eine Kamera in meine Richtung schwenken sehen, also wollte ich nicht zu intensiv nach startenden Fliegern Ausschau halten. Im Nordwesten der Landebahn West wurde eine moderne Aussichtsplattform gebaut, von wo aus man die Flughafengebäude und die ankommenden und abfliegenden Flugzeuge beobachten kann. Während meiner Mittagspause dort saßen da etwa zwei Dutzend Flugbegeisterte, teilweise wohl schon länger – ausgestattet mit Thermoskannen, Körben voll Essen, Decken und Liegestühlen –, die Kameras mit gigantischen Objektiven gezückt und haben jeden Flieger geknipst. Nur ein paar hundert Meter weiter ist ein Parkplatz direkt an der großen Straße, also ist das nicht nur Ziel für Radfahrer, sondern offenbar kommen da Leute wirklich regelmäßig zum „Plane-Spotting“.

Plane-Spotting
Plane-Spotting

Weil der Radtourenplaner im Internet mich auf der „Route ohne Steigung“ mitten durch die Frankfurter City geschickt hat, hatte Claudi die Idee, ich solle doch am Flughafen in die S-Bahn steigen und die Innenstadtstraßen umgehen. So gut der Plan, so schlecht die Umsetzung: Bis ich erstmal mit dem Rad zum Terminal kam war schon jede Motivation zunichte. Für alles andere als vierrädrige Gefährte ist der Zugang zu Terminal 1 höchst unschön – man muss durch handbeschriebene Papierfetzen geleitet über staubige Baustellen, 5-spurige Straßen überqueren, 30cm-hohe Bordsteinkanten hoch (besonders spaßig mit 25 Kilo Fahrrad dabei) und wird dabei auch noch von allen böse angeguckt. Wie schon am Flughafenzaun fühlte ich mich ganz schrecklich unwohl, weil ich dachte, gleich würden sie mich festnehmen weil ich so verdächtig aussehe, wie ich da mit Käppi tief in die Stirn gezogen und halben Handschuhen das Terminal nach dem Bahnhofszugang absuchte.

Plane-Spotting
Plane-Spotting

Als ich endlich den Zugang zum FRA-Fernbahnhof gefunden hatte, stellte sich mir gleich die nächste Herausforderung: Wie bekommt man ein vollbepacktes Fahrrad in einen Aufzug, der für einen Airport-Trolley mit „Fahrer“ konzipiert wurde? Nach fünf Minuten drehen, quetschen und zwängen hat es irgendwie reingepasst, aber selbst dann ging die Aufzugtür nur sehr zögerlich zu, weil sie an meinem Schutzblech entlang quietschte.

 

Von der Bahnhofshalle gehen die Gleiszugänge per Rolltreppe nach unten. Automaten gibt’s nur am Gleis, also bin ich mit einem der vier 24-Personen-Lifts (muss man nicht verstehen…) zu Gleis 2, habe mir für 4,25€ ein Ticket nach Bad Vilbel gezogen und dann festgestellt, dass der nächste Zug von dort nach Frankfurt Hbf erst anderthalb Stunden später fahren sollte. Sehr dubios. Ein netter Herr am Bahnsteig schickte mich daraufhin zur S-Bahn auf Gleis 1. Ich im üppig großen Aufzug also wieder hoch und zu Gleis 1. Nach ewig Suche nach dem entsprechenden Lift gab ich es schließlich auf und schlappte ins DB-Reisezentrum, wo ich erstmal ordentlich zur Sau gemacht wurde bezüglich meines Eindringens samt vollbepacktem Fahrrad. Es durfte dann aber doch bei mir bleiben, nachdem ich dem Schalter-Fritzen (genauso freundlich wie er zuvor zu mir war) sagte, dass ich gerne mein Rad draußen lasse, wenn er sich daneben stellt und aufpasst, dass es weder umkippt noch geklaut wird. Seine Antwort daraufhin zum Thema Aufzug: „Zum S-Bahn-Gleis haben wir keinen!“

 

Also sowas bescheuertes hab ich ja selten gesehen. Gerade das eine Gleis, an dem die mit Rad (und Rollstuhl und Kinderwagen und Rollator und Krücken…) begehbaren Niederflurwagen halten, ist für Radfahrer und Co. unzugänglich. „Naja, Sie können ja die Rolltreppe nehmen.“ Na, geil. Stellte sich dann raus, dass zur Vorbeugung gegen illegal in den Bahnsteigbereich mitgenommene Airport-Trolleys vor der Gleis 1-Rolltreppe zwei Metallboller stehen – selbst ohne Gepäck wäre mein Rad da nicht durchgekommen. Genauso wenig wie die im Rollstuhl, die mit Kinderwagen und die, die einfach nur dick sind. Der Trottel vom Reisezentrum wollte mir nicht mal mein Geld zurückgeben – „Sie hätten’s ja vorher checken können.“ Klar, hab ja auch nix besseres zu tun, als mein unförmiges Rad vom einen zum anderen Ende des Bahnhofs zu schieben. Dabei soll es ja auch Leute geben, die ihr S-Bahnticket mit dem Flug kaufen. Wie die das dann finden, wenn sie mit vier großen Koffern und zwei kleinen Kindern aus dem Mittelmeerurlaub zurückkommen… Alles also irgendwie richtig, richtig unprofessionell.

hihi...ICH
hihi...ICH

Die Odyssee durch Bahnhof, Terminal und Winz-Aufzug also wieder zurück und knapp zwei Stunden nach Ankunft am Flughafen hatte ich endlich Autobahn und Airport-Trubel hinter mir gelassen und war auf dem Weg nach Frankfurt. In Niederrad fand ich recht schnell den Main und den dazugehörenden Main-Radweg – ausnahmsweise neu geteert, breit, eben und eindeutig beschildert.
Also immer geradeaus. Kurz nach Offenbach lachte mich ein Biergarten „am Bootshaus“ an und ich gönnte mir ‘ne Portion Pommes und ein riesiges Glas Spezi. Wie sich rausstellte, war das gar keine ganz schlechte Idee, denn natürlich schaffte ich es dank Airport-Debakel nicht bis 19 Uhr zu Patentante Bettina und Familie nach Friedberg. Aber dazu gleich…

 

Ein Stück weiter den Radweg entlang ging die Brücke über den Main, auf dessen anderem Ufer der Fernradweg verläuft. Ganz unverschämt wird einem da aber der Schwung genommen, denn die Brückenrampe verläuft parallel zum Weg, auf dem man kommt, und die Auffahrt liegt um 180° gedreht und ist ohne Abbremsen also gar nicht zu befahren. Wer sich sowas ausdenkt, gehört auf ein Fahrrad gefesselt.

Ab dem anderen Ufer war wenigstens Bad Vilbel schon ausgeschildert, also alles gar kein Problem. Auf dem tollen geteerten Radweg durch Wald und Felder freute ich mich über das Schild „Bad Vilbel 6,8km“, der Weg machte eine Kurve, ging bergauf. Kein Problem, doch ein paar Meter weiter: Schluss mit Teer, Hallo Sand!

Festung Friedberg
Festung Friedberg

Sand?! Oh ja…Sand. Und zwar nicht so wie auf hübschen Spazierwegen. Nein, zentimetertief und minimal mit sehr grobem Schotter versetzt. Da kommt Freude auf, ich sag’s euch. Der Weg war dann außerdem so steil, dass es schon auf geteertem Weg schwer geworden wäre, hoch zu kommen, aber so hatte ich ohne Mountainbike oder BMX gar keine Chance. Bei jedem Tritt steckte ich fest. Also blieb mir nix anderes übrig, als zweieinhalb Kilometer bergauf durch tiefen Sand zu schieben. Wer einmal sein Fahrrad mit am Strand hatte, weiß, wie unglaublich nervig das sein kann. Dabei ist ein Strand meist relativ flach…
Ganz ehrlich…manchmal fühlt man sich von den Radweganlegern schon leicht verarscht.

 

Festung Friedberg
Festung Friedberg

Nach sechs Kurven und sechs Mal denken „endlich oben!“ war ich dann wirklich oben mit knallroter Birne und völlig am Ende. Und dann wird man zur Belohnung auch noch von den Passanten doof angeschaut weil man unter seiner Radflasche duscht.
In dem Örtchen am Ende des elendlangen Hügels weiß man dann auch, wieso man sich das angetan hat: Das Örtchen heißt Bergen.

 

Wirklich ins Tal geht’s dann leider auch nicht mehr. Und es ging grad so weiter mit den Enttäuschungen: Nach 6,8km ist man noch gar nicht in Bad Vilbel, sondern erst in einem Stadtteil, von dem aus man nicht mal ohne Umsteigen nach Friedberg kommt. Dann endlich um acht in Friedberg angekommen gibt es weder Aufzug noch Rampe noch Schiebeplatz an der Treppe und natürlich genauso wenig einen starken Mann, der mir hätte tragen helfen können.
Mann, also da hab ich mir die Dusche bei Bettina aber wirklich redlich verdient!

Eine der Salinen Bad Nauheims
Eine der Salinen Bad Nauheims

Weil ich gleich zwei Nächte in Friedberg blieb, nutzte ich den Freitag für eine entspannte Mini-Radtour (fast ganz ohne Berge) nach Bad Nauheim zum Shoppen. Nachdem mittlerweile alle bis auf eine meiner langen Jeans zerrissen sind, war das dringend nötig und in einem coolen kleinen Laden in der Altstadt wurde ich auch fündig. Bad Nauheim ist ein supersüßes Städtchen und Kurort. In der Stadt gibt es deshalb einen riesigen Park mit See, durch den man wunderbar durchradeln kann (den Park, nicht den See) und Leute beobachten kann. Außerdem stehen an jeder Ecke riesige Gebilde aus Holz und getrockneten Zweigen, die nennen sich Gradierwerke oder weiter verbreitet Salinen. In diesen teilweise gigantischen Bauwerken wird salzhaltiges Wasser durch das Reisig an den Wänden hindurchgeleitet, was dazu führt, dass die Luft außenrum sehr stark mit Salz angereichert wird. Und, wie jeder Asthmatiker weiß, ist salzhaltige Luft total gesund und befreit die Atemwege. Sehr imposant, aber als ich mir die Infotafel direkt neben der Reisigwand durchlas, warf mir die Frau im Kassenhäuschen immer wieder böse Blicke zu – vermutlich dachte sie, ich würde ohne zu bezahlen, die gute Luft statt die dreckige atmen.

Altstadt Friedberg
Altstadt Friedberg

Am Freitag war in Bad Nauheim grade Wochenmarkt und beim Schlendern durch die Straßen durfte ich erleben, dass es offensichtlich doch noch freundliche Menschen auf Deutschlands Straßen gibt. Wo mich sonst alle böse anschauen weil ich es wagte, sie mit einer Frage nach dem Weg zu belästigen, waren hier alle außerordentlich lieb. In jedem Geschäft, das ich betrat, brüllte es sofort „Guten Morgeeen!“ Der gutaussehende Kerl am Malteser-Stand, der mich eigentlich fürs Spenden brauchte, vergaß das ganz schnell, als er von meiner Radtour hörte und mich dazu dann 27 Minuten lang (!) ausfragte. Der Inhaber des Fotoladens suchte sein ganzes Geschäft nach einer metallenen Oberfläche ab, um mein neues magnetisches Stativ zu testen. Der junge Mann am Waffelstand machte mir eine Ecke meiner Waffel voll mit 3€-Sirup, obwohl ich nur 2,50€ zahlte. Sein Kollege schenkte mir sein halbes lecker mit Pilzen gefülltes Brötchen. Jedes Mal wenn ich nieste (sogar wenn’s fast lautlos war), schallte von allen Seiten „Gesundheit!“

Friedbergs Mikwe
Friedbergs Mikwe

Also sowas hab ich zuletzt nur 2009 in Aussie erlebt. Ich bin jetzt also offiziell Fan von Bad Nauheim und Bad Nauheim ist ganz offiziell Fan von mir. Vielleicht sollte ich nochmal hin und herausfinden, ob sie mich mit einem weniger gutgelaunten und nicht knall-grell-hellgrünen Shirt immer noch so mögen…

 

Von Bad Nauheim sind es nur ein paar Kilometer zurück nach Friedberg und weil ich ja grad mal da war, nahm ich mir die Zeit für das touristische Grundprogramm der Stadt. Also ging es in den Burghof, der wie ein Dorf in sich mit eigener Schule ist, dann an der Burgturm selbst und in den zum Garten umfunktionierten Burggraben. Danach meinte ich reich genug zu sein, um mir für einen Euro Eintritt das alte Judenbad anzuschauen. Das ist in einer ganz unspektakulären Straße in einem unspektakulären Wohnhaus, von dem man gar nicht glaubt, dass es sowas cooles behausen könnte. Im Jüdischen heißen diese an Brunnen erinnernde Bauwerke „Mikwe“ und werden als Tauchbad genutzt, also zur Reinigung der Seele oder so. In so einem Bad ging man sich also reinigen, wenn man unrein geworden war, zum Beispiel weil man Tote berührt hatte. Dann gibt es die Regel, dass das Wasser in der Mikwe „lebendig“ sein muss, also nicht einfach Wasser aus dem Wasserhahn, sondern zum Beispiel Grund- oder Regenwasser.

 

Wenn man in dem unspektakulären Wohnhaus in den Innenhof und durch eine kleine schwere Tür geht, steht man in einem großen Schacht, der 25 Meter in die Tiefe geht. Durch eine Öffnung mit Glasdach fällt Tageslicht in den Schacht. In etwas über 20 Metern Tiefe steht dann frisches Grundwasser, was sich stetig selbst erneuert und sehr sauber ist. Ins Wasser dufte man natürlich nicht (wäre mir auch viiiel zu kalt gewesen), aber die hohen Stufen runter zu laufen war schon echt ein imposantes Erlebnis. Dafür, dass das vor hunderten von Jahren so ohne Maschinen und so gebaut wurde, ist das echt ein starkes Stück Architektur.

 

Nach dem Kulturprogramm ging es mit Bettina auf ein Eis in die City und den Abend haben wir ganz gemütlich mit einer gigantösen Menge Spaghetti und selbstgemachter Bolognese und später Wein und Knabberzeugs auf der Terrasse ausklingen lassen.
Fazit von Etappe 2: Tour nach Friedberg war die reine Katastrophe, der Tag dort hat alles wieder wett gemacht.

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