Wenn man schon einen Grund für Urlaub hat, sollte man auch
Urlaub machen. Und es gibt ja wohl kaum einen besseren Grund als ganz viel
Stress im September und Freundin Anne, die im Oktober eine Woche frei hat, um
im Oktober gemeinsam eine Woche wegzufahren. Warm sollte es sein und am Meer,
also entschieden wir uns für Griechenland.
So dringend brauchte ich den Urlaub in Dubai nach dem unglaublich langen, dunklen, ungemütlichen Winter. Und kaum ist
man zurück, geht der Stress grade weiter. Aber ausnahmsweise war es sehr
positiver Stress, der mich durch das Frühjahr begleitete. Der neue
Geschäftsführer will an unserer Firmenkultur arbeiten und so ging es Ende März auch
schon direkt los.
Nach dem extrem langen und trist-trüb-grauen Winter im
Norden musste ich dringend den Vitamin-D-Speicher auffüllen, schließlich ist
Malta ja auch schon wieder fast ein halbes Jahr her. Also schnappte ich mir
meine Studienkollegin Melanie und wir flogen nach Dubai – für sie zum ersten,
für mich zum vierten Mal.
Nach einem nicht ganz urlaubs- aber doch hauptsächlich
reisefreien Sommer passierte endlich mal wieder was aufregendes im September:
meine erste Messe stand bevor! Seit anderthalb Jahren bin ich als Messemanager
angestellt und es gab einfach so gut wie nichts messemäßiges für mich zu tun. Als
Texterin, Übersetzerin, Video-Moderatorin und Youtube-Star war ich trotzdem gut
ausgelastet, aber so das Wahre war das alles nicht – ich wollte Messen!
Einmal schnell in den Süden flitzen war natürlich bei weitem
nicht genug Abenteuer für meinen Sommerurlaub – vor allem nachdem schon letztes
Jahr der größere Urlaub ausgefallen war. Und so musste ich meine Zeit eben
anders füllen. Gleich drei alte AIDA-Freundinnen kamen für jeweils ein paar
Tage zu Besuch, also kenne ich die Usedomer Kaiserbäder, den Rasenden Roland
auf Rügen und die Radwege auf Hiddensee jetzt ein bisschen besser, denn
natürlich musste mit allen dreien das typische Ostsee-Touristenprogramm sein.
Mit meinem Sommerurlaub starteten zwei Monate voll lieber
Leute, denn nicht nur zu Hause im Süden sah ich die „alten“ wichtigen Menschen
wieder, sondern auch zurück im Norden beehrten mich einige derjenigen, die
festgestellt hatten „Mensch, die Tanja wohnt ja jetzt am Meer!“ Das volle
Touri-Programm wartete also auf mich, und zwar gleich mehrmals. Und mein
Gästesofa freute sich, endlich mal ausgiebig beschlafen zu werden.
Anfang Juni wurden die Corona-Maßnahmen in Meck-Pom radikal
gelockert, nachdem die Inzidenz hier wieder auf einem Rekordtief stand.
Einheimische durften praktisch wieder alles, wenn es um Urlaub ging, und
Auswärtige mussten noch eine Woche warten. Das ließen wir uns nicht zwei Mal
sagen und so machten Freundin Anne und ich uns freitags nach Feierabend auf den
Weg per Auto an die Küste und auf die kleine Autofähre, um in 15 Minuten auf
die größte Insel Deutschlands überzusetzen.
…die Winterjacke einmotten? Das war wohl die meistgestellte
Frage an mich selbst in diesem inzwischen schon gar nicht mehr so jungen Jahr.
Zusammen mit der täglichen Diskussion, ob es denn heute vielleicht die dünneren
Handschuhe auch tun, war es das immer gleiche Ritual: Fenster auf, Durchzug
machen, zwei Minuten warten. Wird mir kalt? Tja, dann muss es wohl doch noch
einen Tag lang das Winteroutfit sein.
Etwas verspätet kommen sie, aber die Bilder vom Traumwinter
in Greisfwald kann ich euch natürlich nicht vorenthalten. Viel passiert ist ja nicht
seit Herbst, aber der Winter war uns wohler gesonnen als noch im Jahr davor und
bescherte uns über Nacht plötzlich ganz viel Schnee, was hier etwas echt Besonderes
ist.
Es kann ja jeder sagen, was er will, und natürlich hätten
wir alle drauf verzichten können, aber der ganze Corona-Mist hat doch irgendwie
auch ein paar ganz nette Sachen mit sich gebracht. Zum Beispiel habe ich eine
große Schneise geschlagen in den Uralt-Beständen von Briefpapier und
-umschlägen, um einfach mal ein paar Leuten handgeschriebene Post zu bescheren.
Weil ich zu Weihnachten bei einer Briefschreibe-Aktion mitgemacht habe,
unterhalte ich jetzt sogar eine Brieffreundschaft mit einer 80-jährigen Helga
aus Hessen, auch schön.
Überrascht hat es mich ja nicht, dass uns Corona nicht
einfach so wieder verlassen hat im Sommer. Irgendwie ist ja auch nicht wirklich
viel passiert seit dem Sommerurlaub, aber wenn ich mal genauer drüber
nachdenke, war der Herbst doch ganz schön aufregend und soo wenig habe ich dann
doch wieder nicht gemacht.
Da arbeitet man schon für den zweitgrößten Segelboot-Hersteller der Welt
und war noch nie so wirklich segeln. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen
lassen, und so meldete ich mich an zum Schnuppersegeln, das alle paar Wochen
mal angeboten wird und aber wegen geltender Corona-Auflagen fast den ganzen
Sommer durch nicht möglich war.
Was war ich froh, noch eine zweite Woche Urlaub zu haben nach den
Anstrengungen der ersten. Und diese Woche war dann tatsächlich auch die wärmste
des ganzen Sommers in Greifswald und ich fühlte mich schon fast wie im Süden.
Es ist platt hier im Norden und ich dachte mir „Was bietet
sich da besser an als eine Radtour?“ Großer Sommerurlaub kam wegen Corona und
wegen hohen Ausgaben während und nach meinem Umzug im Frühjahr sowieso nicht
wirklich in Frage. Meine neuseeländische Freundin, die ich im Herbst gerne in
Schottland besucht hätte, hatte Glück und den letzten Flieger nach Neuseeland
erwischt, bevor Edinburgh im Lockdown versank. Herbsturlaub hatte sich damit
also auch erledigt.
Naja, nicht ganz bauen. Aber ich höre den Lärm aus den
Produktionshallen und das Piepen des Rückwärtsganges, wenn die LKW auf dem Hof
rangieren, und rieche Plastik und Gummi wenn ich im Büro sitze. Ich arbeite im
Marketing, habe also mit dem Bau unserer Boote nichts zu tun, außer vielleicht,
dass meine Kollegen und ich Werbung machen, damit überhaupt jemand ein Boot
bestellt. Ohne uns würde auf dem Gelände also gar nichts gebaut werden.
Es war nur ein halbes Jahr, aber meine Güte, was für ein
halbes Jahr! Mit übergebenen Schlüsseln, korrektem Mietvertrag und allen Möbeln
in Greifswald, konnte der Einzug endlich losgehen. Für mich war das eine
entspannte Umzugswoche, denn ich ging ganz normal zur Arbeit und jeden Abend
war die Wohnung ein kleines bisschen wohnlicher, dank Papa und seiner
effizienten Aufbau-Liste, anhand derer er mit Mama systematisch Schränke
aufbaute und Regale aufhängte. Mama stellte währenddessen fest, dass „besenrein“
wirklich sehr übertrieben gewesen war bei der Übergabe, also schrubbten wir
erstmal die Fensterrahmen.
24. Januar 2020. Weil
die Firmen-WG so weit weg vom Schuss ist und im ganzen Stadtteil keine
Bushaltestelle ist, fahre ich nach Rostock um mein Fahrrad aus dem Lager zu
holen. Ich rufe die Spedition an und kündige mich an. Sie bringen mir das Rad
an den Bahnhof, sagt der nette Speditions-Chef. In Rostock steht sein
Mitarbeiter schon mit Transporter direkt vor dem Haupteingang als mein Zug
ankommt, händigt mir mein Fahrrad aus und bestätigt, dass es auch noch gut
aufgepumpt ist, sonst hätte er das noch eben gemacht. Mann, sind die nett bei
dieser Spedition, das ist schon fast gruselig.
7. Januar 2020, 13 Uhr nachmittags. Wir lesen den Vertrag
aufmerksam durch. Erst als da steht „Eine Einbauküche mit allen Geräten wird
dem Mieter zur Nutzung überlassen“ stutze ich. Der aktuelle Mieter hatte doch
bei der Besichtigung extra gesagt, dass sie die Küche mitnehmen würden. Ich
lese den Vertrag nochmal von vorne.
27. Dezember 2019, ein paar Sekunden später. Der Schock
sitzt tief. Ich weiß nicht wirklich, was ich sagen soll zum netten Makler K. am
Telefon. Ein Umzug zum Februar wirft alles durcheinander, was wir so schön
geplant hatten. Makler K. sagt „Da hat unser Büro wohl Mist gebaut.“ Hmpf. „Den
Vertrag mit dem 1. Februar gebe ich heute in die Post.“ Er habe gerade mit den
aktuellen Mietern gesprochen, sie sagten, dass sie vermutlich etwas früher aus
der Wohnung raus gehen würden.
Die Entscheidung, einen Job am anderen Ende der Welt
anzunehmen, fiel mir relativ leicht. Vor allem, da es ja nicht mal das andere
Ende der Welt ist, sondern nur das andere Ende der Republik. Ich glaube, ich
kann ohne das Land zu verlassen nicht wirklich viel weiter von zu Hause weg als
Greifswald. Hört sich ja fast so an, als wollte ich bloß schnell aus dem Süden
weg? Nein, aber wenn sich so ein schöner neuer Job ergibt, sage ich zu – und so
sehr heimwehig war ich ja sowieso noch nie. Und Mama freut sich jetzt immer „Es
hätte ja auch Australien werden können.“
Die typische Frage von Familie, Freunden und völlig Fremden,
mit denen man so ins Gespräch über die Zeit bei AIDA kommt, ist eigentlich
immer „Und wo war es am schönsten?“ Meine Antwort fällt eigentlich immer anders
aus je nach Tagesstimmung und nach den Erlebnissen, an die ich mich zuletzt
zurück erinnert habe. Wenn man so viel gesehen hat wie ich, gibt es gewisse
Trigger, die eine spezielle Erinnerung auslösen, an die der letzte Gedanke
vielleicht schon wochen- oder monatelang zurückliegt. Und ist es denn so
überraschend, dass es nicht den einen Ort gab, der am schönsten war?
Oder ist es der Osten? Jeder scheint das ein bisschen anders
zu sehen und tatsächlich definieren doch recht viele meiner Bekannten die Himmelsrichtung
nach der Sprache, die dort gesprochen wird. In Greifswald spricht man definitiv
Norddeutsch und keinen der Ossi-Dialekte (denen ich by the way auch wirklich
nicht gerne zuhöre), aber so weit im Osten der Republik ist es eigentlich schon
fast lächerlich, nicht wenigstens Nordosten zu sagen.