Bei Thron und Teppich

Mal wieder war ich in einer Altstadt, die als UNESCO-Welterbe unter Schutz steht. Bukhara (oder usbekisch Buxoro geschrieben) ist eine der größten Städte des Landes und darf auf keiner Rundreise fehlen. Wir dachten, wir hätten in Samarkand schon alles gesehen, was die Verzierung mit blauen Fliesen zu bieten hat – aber Bukhara hat nochmal ganz neue Eindrücke bereitgehalten, vor allem weil die Altstadt so schön autofrei ist.

Nachts vor Kalon-Minarett und Kalon-Moschee
Nachts vor Kalon-Minarett und Kalon-Moschee

Das Wahrzeichen der Stadt ist das Kalon-Minarett, ein etwa 50 Meter hoher Turm mitten im Zentrum. Ausnahmsweise ist es gar nicht mit Fliesen schön verziert, sondern allein durch unterschiedliche Anordnung der Ziegelsteine. Erstaunlich, dass man ohne Farbe so ein hübsches Muster auf die Mauern zaubern kann. Das Minarett steht noch in seiner ursprünglichen Form. Die Legende sagt, dass Dschingis Khan bei der Eroberung der Stadt vor dem Minarett auf seinem Kamel saß, sich nach hinten beugte, um den Turm komplett sehen zu können. Dabei fiel ihm sein Hut vom Kopf, er bückte sich um ihn aufzuheben und merkte dabei, dass er sich im Prinzip vor dem Minarett verneigt. Also entschied er, dass ein Bauwerk, vor dem er sich verneigen muss, wohl stehen bleiben muss.

Poi-Kalon-Komplex und aktuelle Ausgrabungsstätte von der Ark-Festung aus
Poi-Kalon-Komplex und aktuelle Ausgrabungsstätte von der Ark-Festung aus

Wir finden seine Entscheidung heute noch gut, denn irgendwie macht so ein Turm sich immer echt schön im Altstadt-Ensemble. Die Aussichtsplattform am oberen Ende des Minaretts besuchten wir nicht, das hoben wir uns für die nächste Stadt auf. Die Plattform gab es auf dem Kalon-Minarett schon immer, denn in der Geschichte des Turmes standen irgendwann mal Muezzins oben, um zum Gebet in die angrenzende Moschee zu rufen, und bis vor etwa 100 Jahren wurden Bösewichte in einen Sack gewickelt und vom Turm geworfen, wenn sie zum Tode verurteilt waren.
Das Minarett ist Teil des Poi-Kalon-Komplexes, der auch die Moschee beinhaltet sowie zwei Madrasahs. Und überall außenrum kann man richtig schön langbummeln, denn es gibt ganz viele Marktstände, an denen sich Touristen und ihre Geldbündel austoben können.

Bolo-Hovuz-Moschee
Bolo-Hovuz-Moschee

Unser erster Stopp war aber am äußeren Ende des Zentrums. Hier steht die Bolo-Hovuz-Moschee an einem Wasserbecken, das schon vor Errichtung der Moschee zur Wasserversorgung der Stadt diente. Drinnen waren wir nicht in der Moschee, aber von außen ist sie auch besonders schön. Vor dem Haupteingang ist eine Art überdachte Veranda, mit vielen Holzsäulen und sehr hoher hölzerner Decke, die nennt man im Usbekischen auch Iwan. Solche Veranden haben wir schon öfters an anderen Orten gesehen, meist an einem Innenhof der Madrasahs oder Festungen. In der heißen Jahreszeit wird oft draußen gebetet, daher nennt man diese Verandas auch Sommermoscheen.
Hier konnten wir auch richtig schön sehen, dass man auch ohne die Keramik-Kacheln wunderbar dekorieren kann, nur mit bemaltem Holz und ganz herrlich geschnitzten Holzsäulen. Später lernten wir, dass die besondere Art der Säulenschnitzerei mit einer Art „Taille“ im unteren Viertel dazu beiträgt, dass die Säule sehr viel stabiler steht und auch besser Erdbeben standhalten kann.

Eingangstor zum Thronsaal auf der Ark-Festung
Eingangstor zum Thronsaal auf der Ark-Festung

Gleich nebenan steht die Ark-Festung, von deren Mauern man einen tollen Blick in Richtung Poi-Kalon-Komplex und Innenstadt hat. Dazwischen liegt ein großes umzäuntes Feld, wo tatsächlich noch Ausgrabungen stattfinden, weil man immer noch nicht alles freigelegt hat, was es hier zu entdecken gibt.
Weil alles so platt ist um Bukhara, wurde für die Festung eigens ein Hügel aufgeschüttet, damit sie erhöht liegen kann. Als wir ankamen, kam auch eine Horde Militärs für eine Versammlung durchs große Eingangstor marschiert, das war ganz aufregend zu sehen. Laziz erklärte uns, dass der Wehrdienst in Usbekistan verpflichtend für alle Männer ist. Man macht ihn üblicherweise ein Jahr lang, kann aber auch auf einen Monat verkürzen, das kostet dann aber umgerechnet etwa 1.000 Euro, also machen die meisten das volle Jahr. Wenn man danach als Feuerwehrmann, Polizist oder andere wichtige Jobs arbeiten will, kann man sich aus dem vollen Jahr nicht rauskaufen. So ist Usbekistans Armee heute wohl auf Platz 36 der stärksten Armeen der Welt.

Thron des Emirs
Thron des Emirs

In der Festung ist heute ein Museum und man kann sich alte traditionelle Kleidung anschauen und altes usbekisches Geld aus der Zeit, wo der So’m noch mehr Wert hatte. Früher gab es auch mal richtig viele Münzen, heute nur noch ein paar wenige und die sind so gut wie nichts wert. Die originalen Innenräume stehen heute nicht mehr, aber der Thronsaal, der aber gar nicht überdacht war, sondern ähnlich einer Sommermoschee auf einem großen Platz ist. Hinter dem Tor steht eine extra Wand, sodass keiner einen Blick auf den machthabenden Emir oder Khan werfen konnte, bevor er nicht auf den Hof gebeten wurde. Dann musste der Besucher gebeugt bis zum Thron vortreten, um den Emir zu grüßen, dann rückwärts zurück gehen, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß, bevor er sich abwenden durfte. Täglich kamen wohl bis zu 400 Besucher, die den Emir grüßen wollten. Stelle ich mir ja als ein recht ödes Leben vor irgendwie.

Löwen-Schloss an einer alten Holztür
Löwen-Schloss an einer alten Holztür

Von der Ark-Festung kommt man schnell in die Innenstadt und zum Poi-Kalon-Komplex, wo man wieder mal wirklich lange Zeit verbringen kann und immer was neues entdeckt. Die Madrasahs haben es mir besonders angetan, zweistöckig mit den tollen Fensternischen und Balkonen sehen die einfach immer total beeindruckend aus, wenn man im Innenhof steht. Und überall diese wunderbaren Holztüren mit hübschen Beschlägen und Schlössern! Vor allem wenn man morgens vor dem Frühstück schon eine Runde draußen dreht, sieht man die ganze tolle Architektur abseits der typischen Touristen-Fotomotive, denn da ist die alte Karawanserei noch still und leer, bevor dann am Vormittag die Händler ihre Stände aufbauen und Waren rauslegen.

Teppichmarkt in der alten Karawanserei
Teppichmarkt in der alten Karawanserei

Die alten Karawansereien bieten eine tolle Kulisse für die Händler, denn es ist immer schattig und kühl und vor allem müssen die Touris immer vorbeikommen, um an die Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt zu kommen, denn die Karawansereien lagen ja üblicherweise außerhalb des Zentrums, um Platz für Ställe und Wasserversorgung zu haben. Heute werden schicke Hüte an den Türen präsentiert, bunt gemusterte Kleider und Blusen aufgehängt, handgeschmiedete Messer gezeigt und man kann den Künstlern bei ihrer Arbeit zuschauen.

Teppichknüpferin bei der Arbeit
Teppichknüpferin bei der Arbeit

Das taten wir in mehreren Teppichknüpfereien, wo uns ganz viele super interessante Dinge erklärt wurden. Zum Beispiel sind die feinsten Teppiche aus Seide geknüpft, das kann man sich irgendwie gar nicht vorstellen, wenn man bisher nur die dünnen Seidentücher kennt.
An einem richtig guten handgemachten Seidenteppich knüpft eine Knüpferin meist mehrere Monate oder sogar Jahre lang, denn durch den sehr dünnen Faden braucht es seine Zeit, so ein Muster herzustellen. Oft arbeiten auch mehrere Knüpferinnen gleichzeitig an verschiedenen Ecken des selben Teppichs, dann muss aber regelmäßig der Platz getauscht werden, sonst kann man die Unterschiede später sehen, wenn zum Beispiel eine Frau lockerere Knoten macht als die andere. Mit Baumwolle oder tierischer Wolle kann man auch Teppiche knüpfen, die sind dann oft dicker und haben ein weniger detailliertes Muster. Wir waren ziemlich begeistert, welch unglaubliche Motive diese Teppiche haben können. Wir haben die Mona Lisa als Teppich gesehen (ja – ich hab tatsächlich die Mona Lisa angefasst!), und da hat das Bild tatsächlich eine höhere Auflösung als das Original-Gemälde, wenn man in Pixel (also Punkten oder im Teppich-Fall Knoten pro Quadratzentimeter) rechnet. Da hing auch ein Teppich mit einem Motiv, wo ich geschworen hätte, es handelt sich um ein groß gedrucktes Foto, aber nein, das war wirklich ein Teppich!

soo viele schöne Teppiche!
soo viele schöne Teppiche!

Ein echter Seidenteppich ist praktisch unkaputtbar. Er bleicht in der Sonne nicht aus, kann nicht plattgetreten werden und brennt nicht. Um rauszufinden, ob man einen echten Seidenteppich kauft, kann man mit einem brennenden Streichholz drangehen und wenn es sofort wieder aufhört zu brennen sobald man die Flamme entfernt, ist es Seide. Leider arbeiten wohl inzwischen viele Fake-Teppich-Händler nur an den Rändern oder Fransen mit echter Seide, der eigentliche Teppich ist aber nicht aus Seide. So bringt die Feuer-Probe ein trügerisches Ergebnis. Wir waren ganz begeistert von den Teppichen, die uns gezeigt wurden. Zum Beispiel wirken sie aus einem Winkel heller als wenn man von der anderen Ecke des Raumes drauf schaut. Es gibt sogar Wendeteppiche, die auf der Rückseite ein komplett anderes Motiv haben. Sie sind super weich und man kann die Teppiche sogar zusammenknautschen und sie knittern nicht. Ein echter Teppich kann mehrere hundert Jahre halten, wenn man ein bisschen drauf Acht gibt. Das war wirklich sehr beeindruckend.

 

Man lernt also ganz schön viel an so einem exotischen Ort, über den man sich sonst noch nie wirklich Gedanken gemacht hat.

Abdulaziz-Khan-Madrasah
Abdulaziz-Khan-Madrasah

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Rita aus Fulda (Samstag, 01 Juni 2024 18:17)

    Hallo Tanja,
    vielen Dank für Deine ausführlichen Reiseberichte in die entlegensten Winkel der Welt. Es ist immer wieder eine Freude sich in eine ganz andere Umgebung zu vertiefen. Dieses Mal fand ich Deine Information über die Teppichherstellung sehr Interessant.
    Hab eine gute Zeit
    Es grüßt Rita aus Fulda