In meinem Job bekomme ich dauernd superviel zu sehen, aber das doch vor allem bei meinen Landgängen und Ausflügen. Von den 41 Tagen, die ich an Bord bin, waren 16 reine Seetage, also Tage, an denen wir von morgens bis abends nirgends festgemacht haben. Ich mag Seetage sehr gerne, aber sehen tut man halt nicht viel. Außer Wasser, wenn man denn mal rausschaut (was üblicherweise gar nicht so oft ist an einem Seetag – außer natürlich man hat wie ich ein eigenes Bullauge auf Kabine). Wie grandios ist es dann also, wenn man am Seetag was zu sehen bekommt? Ziemlich grandios in meinen Augen, und deswegen war sie auch von Anfang an ein riesiges Highlight meiner Tour mit der bella: die Suezkanal-Passage!
Er ist 162 Kilometer lang, der Suezkanal, und ist die schnellste Schiffsverbindung zwischen Rotem Meer und Mittelmeer. Das war eine große Aufgabe, die bereits Ägypter, Araber und Römer versucht hatten, aber immer wenn ein Kanal so ungefähr Gestalt annahm, haben Sand und Wüstenwind einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erst 1870 rum hat es endlich geklappt und das Meisterwerk konnte eröffnet werden. Der Kanal verläuft komplett durch ägyptisches Staatsgebiet, aber trotzdem gibt es eine internationale Regelung, dass alle Schiffe zu allen Zeiten zu gleichen Bedingungen den Kanal passieren dürfen. Heißt, egal ob wir ein Passagier- oder ein Fracht- oder ein Militärschiff sind und egal, ob außenrum grade die Welt im Chaos versinkt oder Frieden herrscht, und egal, ob wir aus einem Land kommen, dass sich grade zufällig mit Ägypten verkracht hat – wir dürften durchfahren.
Ich hatte schon erwähnt, dass so eine Passage eine Menge Vorbereitung braucht. Wir wurden alle von der Seekuh eingewiesen, damit wir wissen, was abgeht. Konvoi fahren mussten wir nicht durch den Golf von Aden, also war es recht entspannt. Auf Deck 5 stand immer ein kleiner Tisch mit Kaffee und Keksen, neben dem ein Security stand, um den Horizont abzuchecken. So eine Schicht darf nur höchstens eine Stunde lang sein, damit die Konzentration nicht nachlässt, also waren es ein paar laaange Tage für die acht Security-Kollegen. Ein paar ägyptische Sicherheitsmänner kamen aber auch an Bord und haben unterstützt wo sie konnten. Alles in allem lief die ganze Überfahrt bis Aqaba also ganz entspannt ab. Auch danach haben wir nicht wirklich mitbekommen, dass wir in einem besonderen Gewässer waren, nur etwas näher am Land waren wir als vorher. Sehen konnten wir nicht allzu viel vom Ufer, was schon zu Ägypten gehörte, denn irgendwie ist die Luft immer so sandig, dass permanent so ein gelblicher Dunst in der Luft hängt.
Bis Sharm el-Sheikh passierte nichts besonderes, aber direkt vor der Landspitze wurde es schon ein bisschen spannend, als die Seekarte endlich „Suezkanal“ anzeigte. Da blieben wir eine Weile auf Reede liegen, denn bevor man in den Kanal einfahren darf, muss man angemeldet werden und der ganze administrative Kladderadatsch braucht eben seine Zeit. Kurz vor Mitternacht waren wir dort und ein kurzer Blick von Deck 5 raus zeigte eindeutig „Wir sind nicht allein“. Ein beleuchtetes Ufer nachts zu sehen, ist recht normal wenn man irgendwo in der Nähe von Land ist, aber so viel Licht mitten in der Nacht war beeindruckend. Direkt nebenan lag ein riesiger Frachter hell beleuchtet und alle paar Minuten kam ein kleines Speedboot von der Küstenwache mit Suchscheinwerfern vorbei um nach dem Rechten zu schauen. Ein Lotse kam schon nachts an Bord um sicherzustellen, dass wir auf unserem angedachten Ankerplatz blieben. Der Lotse war es auch, der dann den Funkverkehr mit der Landseite übernahm, bis geklärt war, auf welcher Position wir im nordgehenden Konvoi durch den Kanal fahren würden.
Um kurz nach vier in der Früh kam dann wohl endlich der Funkspruch, denn um halb fünf sprangen die Maschinen wieder an und es ging los. Davor kamen unter anderem ein Suezkanal-Inspektor an Bord,
der sicherstellt, dass alle Vorkehrungen richtig getroffen wurden, ein paar neue ägyptische Wachgänger und Bootsmänner und ein Suezkanal-Techniker, der mobile Scheinwerfer mitbrachte, die vorne
auf unserem Crew-Außendeck und achtern installiert wurden. Herr Kapitän sagte in seiner Durchsage, dass das Vorschrift ist und so ist das auch schon seit Jahren, und seit Jahren besteht
stillschweigende Übereinkunft in der AIDA-Flotte, dass keiner der Kapitäne dem Techniker sagt, dass unsere eigenen Scheinwerfer eigentlich viel lichtstärker sind als seine.
Mit den ganzen wichtigen Leuten kam auch eine Horde fliegender Händler an Bord, die uns während der gesamten 11 Stunden Durchfahrt begleiteten. Sie bauten in der Messe und auf dem Pooldeck je
einen Stand auf mit Deko und Magneten und Schlüsselanhängern. Ganz komisch, jemanden im Crewbereich zu sehen, der da so gar nicht hingehört. Damit die keinen Blödsinn anstellen, musste zu jeder
Zeit ein Security bei ihnen sitzen und wenn einer aufs Klo musste, kam ein zweiter Security, um ihn bis zur Tür zu begleiten.
Mitbewohnerin Eva und ich sind um sechs aufs Außendeck für den Sonnenaufgang über der Wüste, die zu allen Seiten lag. Alle paar Kilometer steht am Ufer ein kleines Ausguckhäuschen, wo ein Militär drin sitzt, der überwacht, wer da so lang kommt. Ich hatte erwartet, dass wir mehr der Schiffe sehen, die mit uns im Konvoi fahren. Die übliche Reihenfolge ist: erst Militär-, dann Passagier-, dann Fracht-, dann Tankschiffe; die Schiffe mit gefährlicher oder explosiver Ware natürlich ganz hinten. Wir waren aber auf Position 1 des Konvois und das sogar ohne Militärbegleitung. Der Frachter „Blue Dolphin“ war unser nächster Nachfahrer und selbst den konnten wir nur ab und an mal ganz schwach ausmachen am Horizont, denn zwischen allen Konvoi-Teilnehmern muss immer mindestens ein Kilometer Abstand eingehalten werden. Schade, denn wir waren außerdem Anführer eines außergewöhnlich langen Konvois mit insgesamt 32 Schiffen.
Während wir am Südende des Kanals vor der Stadt Suez reinfuhren, setzte sich der südgehende Konvoi vor dem Endhafen Port Said in Bewegung. Die Konvois kommen sich ganz gemütlich immer näher,
ungefähr mit 8 Knoten (etwa 15 Stundenkilometer) ist man im Kanal unterwegs, sodass auch schnelles Aufstoppen und Ausweichmanöver generell noch möglich sind. Aber teilweise ist der Kanal ja so
eng, dass man eh nicht viel Spielraum hat. Ziemlich genau in der Mitte des Kanals gibt es seit 2015 zwei Fahrspuren, sodass sich beide Konvois ohne weiteres passieren können. Vor 2015 lagen die
wartenden Schiffe ewig draußen, weil ein gesamter Konvoi aus der einen Richtung komplett durch musste, bevor der nächste in der anderen Richtung einfahren konnte. Mit 32 Schiffen und einem
Kilometer zwischen jeden zwei kann man sich vorstellen, was für eine gigantische Schlange sich da erstmal durchwurschteln muss, bevor wieder irgendwas geht.
Bevor es in den zweispurigen Bereich geht, passieren die nordgehenden Schiffe die Bitterseen. Dort gibt es ähnlich wie vor Suez noch einmal eine große Menge an ausgewiesenen Ankerplätzen, denn
manchmal wird der nordgehende Konvoi getrennt und ein Teil darf erst mal durch und dann einen kleinen Konvoi aus dem Norden durchlassen. Der Große Bittersee bietet auf 30 Kilometern Länge dann
noch viele Ausweichmöglichkeiten, damit man sich nicht in die Quere kommt. Mit Ankunft am Bittersee gab es auch tatsächlich mal was spannenderes zu sehen. An Land war es dann schon so hell, dass
alles aufzuwachen schien und es gab auch mal ein paar Motorräder und Autos an Land, die uns winkten.
Geschichtlich ist der Bittersee auch recht interessant und wir bekamen alle Infos direkt vor Ort per Lautsprecher-Durchsage unseres Lektors, der für den Anlass auf die Brücke eingeladen worden
war. Als 1967 ein sechs Tage dauernder Krieg ausbrach, schloss Ägypten den Suezkanal als noch 14 Handelsschiffe darin unterwegs waren. Alle vierzehn saßen daraufhin vor Anker im See fest, bis sie
acht Jahre später erst weiterfahren durften. Sie gingen als „die Gelbe Flotte“ in die Bücher ein, denn der ewige Wüstenwind ließ sie nach einer ganz kurzen Zeit schon gelblich aussehen durch die
Schicht Sand, die sich auf sie gelegt hatte.
Für uns bedeutete der Bittersee glücklicherweise nur eine kurze Reduktion der Fahrtgeschwindigkeit, denn alles war zeitlich sehr gut koordiniert bei so einem riesigen Konvoi, sodass wir kurz
drauf schon wieder weiter durften. Hinter dem Bittersee ging dann das los, was genauso aussah wie das, was ich mir unter dem Suezkanal immer vorgestellt hatte: Wenn man von der Bühne aus durch
die Theatriumsfenster geschaut hat, sah man nur gelb vor den Scheiben, es sah aus, als würden wir gar kein Wasser mehr unter uns haben, denn auf beiden Ufern türmt sich der Sand meterhoch auf,
sodass man nur auf den oberen Decks was hinter den Dünen sehen kann. Irgendwann sieht man ein paar Städte und Ortschaften, landwirtschaftlichen Anbau und Palmenhaine, Wildhunde, die bellen, wenn
wir so nah vorbeikommen, …
Wo es zweispurig wird, hatten wir endlich mal die Chance, auch unsere Mitfahrer kennenzulernen, bzw. unsere südgehenden Kumpane. Die beiden Fahrspuren sind alle paar Kilometer durch einen kleinen Verbindungskanal von der anderen Seite aus zugänglich, denn ansonsten sind sie permanent von einer aufgeschütteten Sandinsel getrennt, damit es ja nicht zu Unfällen kommt. Durch die kleinen Kanäle queren auch die Fähren von einem Ufer zum anderen und es stauten sich schon eine Menge Autos am Ufer, wenn die kurz warten mussten, weil wir grade dazwischenkamen. Eine der Fähren hat uns sogar angehupt, aber weil es noch früh war, wollte unser Chef nicht zurückhupen, also haben sie von der Brücke runter nur gewunken und die Fähre schaltete die Lautsprecher an und sagte sehr kratzig durch „Heeellooo!!“, damit wir vorne auf dem Außendeck auch mitbekamen, dass wir auch winken sollten. Während unserer Schalterzeit war an dem Tag natürlich rein gar nichts los, weil sich unsere Gäste auf ihren Balkonen und auf den offenen Decks stapelten. Meiner Meinung nach genau das richtige, was man bei so einer Passage machen sollte; aber erstaunlicherweise war ich in meinem Team die einzige, die sich wirklich dafür interessierte, was es draußen zu sehen gab.
Vom Schalter rannte ich also alle drei Minuten mit gezückter Kamera an die Fenster, um auch ja nichts zu verpassen; die TV- und Theater-Kollegen drängten sich dort schon und als dann auf der Gegenspur auch noch grade die Schwenkbrücke aufgefahren wurde und ein Containerschiff durchfuhr, genau als wir gegenüber waren, da war die Freude doch sehr groß und ich könnte schwören, wir bekamen ein bisschen Übergewicht auf der Backbordseite, weil alle gerannt kamen. Das war schon cool und irgendwie kann ich mir den logistischen Aufwand gar nicht richtig vorstellen, den es hier zu bewältigen gibt. Es sind heute atemberaubende 18.000 Schiffe, die jährlich den Suezkanal passieren!
Weil Suezkanal nicht schon aufregend genug war, war Ostern und 1. April auch noch und wir konnten mal wieder feststellen, wer zu den coolen Gästen und Kollegen gehört und wer nicht. Die Messe übertraf sich selbst mit großem Ostermenü und 700 Osternestern mit Schokoeiern, die überall verteilt standen. Und am Ostersonntag gab es dann einen Vortrag vom Lektor, der extra in Aqaba angereist war, zum Thema „Das abendländische Osterei“, in dem uns die künstlerische Bedeutung des Eis in unserer Kultur nähergebracht wurde. Zum besseren Verständnis der konstant konischen Form gab es Bilder vom Ei aus verschiedenen Perspektiven (vor vorne, von hinten, von rechts) – und manche unserer Gäste haben doch tatsächlich schimpfend das Theatrium verlassen während wir oben standen und uns weggeschmissen haben vor Lachen ob eines in unseren Augen sehr gelungenen Aprilscherzes.
In diesem Sinne: Schöne Feiertage allerseits und bis bald zurück in Europa!
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Michael (Samstag, 07 April 2018 19:03)
Vielen Dank für den informativen Bericht. Er ist detailliert geschrieben und mit so guten Fotos versehen, dass ich mir die Durchfahrt sehr gut vorstellen kann. Sicherlich hat man die Passagiere auch darauf hingewiesen, dass es eine Beziehung zwischen dem Suezkanal und der Oper Aida von Giuseppe Verdi gibt. Sie wurde für die Eröffnung des Kanals komponiert und in Kairo uraufgeführt.