Große und kleine Hörnchen

Weil uns Nilpferde und Elefanten noch nicht genug Dickhäuter waren, durfte wir noch einmal was neues entdecken. Auf dem Weg von Samburu Richtung Lake Naivasha machten wir Stopp im Aberdare-Nationalpark im kenianischen Hochland. Hier bot die Landschaft etwas anderes als Savanne – so weit oben gibt es Bergnebelwald, wo es immer ein bisschen ist, wie durch eine Wolke zu fahren. Die feuchte kühlere Luft bringt eine komplett andere Vegetation und es gibt sogar Wasserfälle!

Kuckuck!
Kuckuck!

Bevor es aber in den hochgelegenen Aberdare-Regenwald ging, brachte George uns ins Solio Game Reserve, ein Schutzgebiet in privater Hand, wo seit 1970 besonders am Schutz der Nashörner gearbeitet wird. Um das Reservat läuft ein Zaun, der mehrmals am Tag von Rangern patrouilliert wird. Inzwischen gibt es praktisch keine Wilderei mehr im Reservat, sodass den Nashörnern hier auch nicht die Hörner abgenommen werden müssen, wie es in anderen Parks weiter südlich üblich ist. Nashörner werden nur wegen ihres Horns erschossen, sind also uninteressant für Wilderer, wenn ihr Horn vorher mit der Kettensäge abgenommen wurde. Nicht sehr nett, aber es dient ihrem eigenen Schutz. Ich hatte mich drauf eingestellt, so gut wie keine ganzen Hörner zu sehen, also war es umso aufregender, die Dickhäuter mit intaktem Horn zu sehen.
In dem Reservat leben auch alle möglichen anderen Tiere, aber man kommt natürlich hauptsächlich wegen der Hörnchen.

"Maaamaaaaaa!"
"Maaamaaaaaa!"

Umso überraschter waren wir, als die ersten Tiere der Pirsch zwei etwa drei Monate alte Löwenjunge waren, die ganz allein am Zaun unterwegs waren. Ihre Mama entdeckten wir kurz drauf, sie stand auf der anderen Seite des Zauns und hatte die kleinen aufmerksam im Blick. Es gab vor einigen Jahren über 100 Löwen in Solio, die meisten von ihnen sind aber entkommen und haben sich außerhalb des Zauns angesiedelt. Georges Theorie: die Jungen waren erkunden, haben ein Loch im Zaun gefunden, sind ins Reservat geschlüpft und Mama passte nicht durchs Loch, um sie zurückzuholen. Wir riefen die Ranger an, denn kleine alleine Löwen sind leichte Beute für Hyänen und andere Raubtiere. (Wie ich mich öfters selbst erinnern musste, waren wir ja nicht im Zoo, wo schon nichts passieren wird.)
Die Ranger kamen und beobachteten eine Weile die Situation. Das war ganz herzzerreißend, wie die Kleinen nach der Mama riefen und sie zurück rief. Irgendwann lief die Löwin los, sich immer wieder umschauend, dass die Kleinen ihr auf der anderen Seite des Zaunes folgten.
Als wir am Nachmittag das Reservat verließen, brachte George von den Rangern in Erfahrung, dass sie ihnen ein Tor im Zaun aufgeschlossen haben und alle wieder glücklich vereint wurden.

weiß, schwarz...egal, hauptsache pieksig
weiß, schwarz...egal, hauptsache pieksig

Und dann kamen aber die richtigen Helden von Solio: Nashörner. Mit George machten wir aus, dass wir mindestens 100 sehen wollten, bevor wir wieder heim fuhren. Eigentlich war das nicht ganz ernst gemeint…bei 125 hörten wir dann auf zu zählen. Weil die Nashörner hier sicher vor ihrem größten Feind (dem bösen Menschen) sind, gibt es unglaublich viele auf dem begrenzten Raum. Das Zuchtprogramm läuft inzwischen seit über 40 Jahren und jedes Jahr werden Tiere in andere Reservate in Afrika ausgeflogen, um den Bestand in anderen Ländern zu stärken und Solio nicht zu überfüllen. Schon über 90 Spitzmaul- und über 50 Breitmaulnashörnern konnten aus Solio woanders hin gebracht werden.
Auf Englisch heißen die beiden Arten „black“ und „white rhino“, was sehr verwirrend ist, da beide die ziemlich genau gleiche Farbe haben. Der einzige eindeutige Unterschied sind die unterschiedlichen Münder, die im Deutschen so treffend definiert sind. Die englischen Namen gehen wohl zurück auf eine Fehlübersetzung aus dem Afrikaans, wo „weit“ soviel wie „breit“ bedeutet – und „weit“ klingt eben wie „white“ auf Englisch. Und das andere wurde dann eben „black“.

eindeutig spitzmäulig, synchron und beide mit mitfahrendem Madenpicker auf dem Rücken
eindeutig spitzmäulig, synchron und beide mit mitfahrendem Madenpicker auf dem Rücken

Ein paar Unterschiede gibt es dann aber eben doch: das fast quadratische Maul ist so viel besser geeignet zum Grasen, also findet man Breitmaulhörnchen vor allem im Flachland auf großen Wiesen. Spitze Mäuler sind besser zum Blätterzupfen, also sind die Verwandten eher in bewaldeten Gebieten oder im Gebüsch unterwegs. Sie sind auch viel scheuer und reagieren aggressiver auf von-Touristen-genervt-werden.
Wir sahen zunächst nur richtig viele Breitmaulnashörner, in klein und groß und alt und jung, alleine oder zu zweit oder in größeren Gruppen. Kleine Nashörner sind unglaublich putzig und das erste sahen wir direkt am Eingang zum Reservat. Nur ein paar Tage vorher wurde ein Baby-Nashorn ganz allein von den Rangern gefunden, weil die Mama nicht zu finden war, haben sie es adoptiert und lassen es jetzt in einem Verschlag zusammen mit den Schafen und dem Hütehund durch die Gegend rennen. Es wird wieder ausgewildert, sobald es alleine überlebensfähig ist. Deswegen durften wir auch nicht nahe dran, da es nicht zu doll an verschiedene Menschen gewöhnt werden soll.

Aber kein Problem: wir sahen sogar ein wildes Baby-Nashorn wie blöd rumrennen – und Perlhühner jagen! Da sag nochmal einer, dass Tiere nichts einfach nur aus Spaß machen. Alleine sind die Kleinen aber wirklich nie, man sieht immer ein großes Nashorn ganz in der Nähe, was immer ein Auge auf den Nachwuchs hat.
Bei so einem begrenzten Raum und mehreren hundert Nashörnern, die dort leben, stehen die Chancen gut, alles zu sehen: wir sahen sie fressen, wir sahen sie schlafen, wir sahen sie dösen, wir sahen sie sogar beim Community-Poop. Tatsächlich liegt sehr viel weniger Nashorn-Mist in der Gegend rum, als in Samburu die Elefanten-Äpfel. Es scheint also was dran zu sein, dass Nashörner sehr reinlich sind und immer alle zu einem vorher festgelegten Platz gehen, um ihr Geschäft dort geordnet zu verrichten.

Büffel mit perfekter Flip-Bob-Frisur
Büffel mit perfekter Flip-Bob-Frisur

Besonders schön waren die Spitzmaulnashörner, die irgendwann nervös wurden, wenn wir zu lange geschaut haben, und dann losgerannt sind. Rennende Nashörner sind auch im Erwachsenenalter sehr spaßig anzuschauen, vor allem von hinten. Die können teilweise ganz pumba-esk rennen mit Schwänzchen gradeaus in die Höhe gereckt.
Das machen die Büffel eher nicht so, die stehen meist nur stur in der Gegend rum und starren einen böse an. Aber hey: Nummer Vier der Big Five – check! Ganz so nah mag man Büffeln nicht kommen. Mit ihren riesigen Hörnern, die manchmal aussehen wie eine sehr aufgeplauschte Frisur aus den 60ern (oder einem Comic). Ich glaube, dass sie vielleicht heimlich auch ihre Hörner in Lockenwickler drehen, damit sie morgens mit diesem hübschen Schwung in den Spitzen aufwachen. Dann noch in der Mitte ein bisschen hochtoupiert und voilà – wie aus einem Frisörkatalog!

Piste im Aberdare-Nationalpark
Piste im Aberdare-Nationalpark

Zurück aus Solio ging es am nächsten Tag weit weg der ganzen Hörnchen in den Aberdare-Nationalpark im Aberdare-Hochland entlang der „Aberdare Range“-Bergkette. Wie so oft finden sich die Namen der alten Besatzer zwischen den sonst meist afrikanisch klingenden Ortsnamen, zum Beispiel Kamarabuyon (sprich Kamera-Bouillon?) oder Kuhu oder Voo oder Oloitokitok. Aber Kenia war lange Zeit britische Kolonie und so war eben auch ein Lord Aberdare (sprich Äbe-däar) in irgendwelche Heldentaten involviert und alles mögliche wurde nach ihm benannt – und somit heißt der Nationalpark eben nicht Aber-dah-reeh, wie ich ursprünglich dachte.
Kleine witzige Notiz am Rande: es gibt einen Ort in Tansania, bestehend aus weniger als zehn Hütten am Ende einer unbefestigten Straße mit dem wunderbaren Namen „Unknown Village“, ehrlich wahr, ihr könnt Google Maps fragen.

Weißkehlmeerkatze
Weißkehlmeerkatze

Der Aberdare-Nationalpark ist großflächig dicht bewachsen. Es soll Waldelefanten geben, aber die sind natürlich noch schwerer zu entdecken als Steppenelefanten. Wer hätte gedacht, dass so ein luftig-hoher Bambuswald so gut Elefanten verstecken kann… Man sieht von der Piste aus regelmäßig runde Durchgangslöcher in der Vegetation mit plattgetretenen Wegen mittendurch. Es gibt sie also wirklich, die großen Tiere, die sich irgendwo durchschlagen, um zum Fressen und Trinken zu kommen. Gefunden haben wir sie nicht und generell sehr wenig Wildlife. Umso toller war es, direkt am Weg einen einzelnen Affen zu sehen, eine ganz neue Sorte, die wir vorher noch nirgends entdeckt hatten.

Pipipause!
Pipipause!

Pipi-Pause gab es wie bereits erwähnt in einem Klohäuschen mitten im Nichts, aber mit großem Wegweiser an einem Baum. Wenn wir über Mittag unterwegs waren, gab es kein Essen im Camp, sondern ein wunderbares Lunchpaket mit belegtem Brötchen, Obst, einem Ei, einem Stapel kalten gebratenen Speck und manchmal einem Hühnerbein. Kekse und Chips waren auch immer dabei, sodass wir auch am Nachmittag nochmal was zum Snacken hatten. Wenn wir etwas übrig ließen, packte George es wieder ein und machte den Rangers oder sonst wem eine Freude damit, denn in Kenia schmeißt man kein Essen weg, löbliche Einstellung.

Mau-Mau-Wasserfall
Mau-Mau-Wasserfall

Der Aberdare-Gebirgszug war wichtiges Rückzugsgebiet für die Mau-Mau-Guerillas, die in den 1950ern gegen die Kolonialmacht Großbritannien kämpften. Sie wurden zwar besiegt, schafften es aber doch, die Macht der Briten soweit zu schmälern und die kenianische Gesellschaft so weit zu spalten, dass das Land 1963 auf der Grundlage ihres Widerstandes unabhängig wurde.
Im Nationalpark findet man heute noch eine Höhle die die Mau-Mau nutzten, um sich vor den Kolonialisten zu verstecken, davor geht ein wunderschöner Wasserfall nieder, vor dessen Kulisse wir unsere Lunchboxen plünderten. Heute heißt die Höhle unter dem Wasserfall nicht mehr Mau-Mau-Cave, sondern Queen’s Cave nach Queen Elizabeth II, die im Jahr 1953 kurz vor ihrer Krönung zur Königin in Kenia zu Besuch war.

In Nanyuki verläuft der Äquator quer über eine Hauptverkehrsader
In Nanyuki verläuft der Äquator quer über eine Hauptverkehrsader

Das war aber auch der einzige geschichtliche Ausflug, den wir während unseres Urlaubs gemacht haben. Wir waren ja vor allem für die Pirschfahrten gekommen und es wurde dringend Zeit, noch ein paar Katzen zu begucken. Aber auf dem Weg dahin gab es noch was cooles zu erleben: wir überquerten den Äquator! Ein riesiges Schild weist auf die Grenze zwischen Nord- und Südhalbkugel hin und natürlich wollten wir anhalten, um uns das Spektakel anzuschauen. Ein netter Herr nahm sich unserer an und nahm uns mit zu seinem Wasserbecher und seiner Schale, die er uns erstmal auf der Nordseite des Äquators demonstrierte: Er schüttete das Wasser in die Schale, die unten drin ein Loch hatte, stellte den Becher untendrunter und warf zwei Stöckchen rein. Während das Wasser unten aus dem Loch lief, bildete sich in der Schale oben ein Strudel, der die Stöckchen GEGEN den Uhrzeigersinn mitzog. Dann ging der Mann mit uns auf die Südhalbkugel, das gleiche Spiel noch mal: der Strudel strudelte IM Uhrzeigersinn. Und dann stellte er sich mit uns genau auf die Äquatorlinie und das Wasser lief ohne Strudel ab, die Stöckchen blieben fast auf der Stelle. Wie er das gemacht hat, wissen wir nicht, aber es war ein witziger Trick und wir hatten unseren Spaß.

 

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Michael aus Fulda (Mittwoch, 15 November 2023 16:31)

    Beim Lesen Deiner Blogberichte spürt man die Begeisterung, mit der Du die für Afrika typischen Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet hast. Noch viel anschaulicher als Fotos sind die kurzen Filmsequenzen, weil sie die Tiere in Bewegung zeigen.
    In dem Bericht vom 05.10.23 hat mich überrascht, dass es schon gegen 19 Uhr dunkel ist. Wir Mitteleuropäer verbinden warme Tage mit Sommer und späten Sonnenuntergängen.
    Die Demonstration der Corioliskraft am Äquator war sicherlich ein Trick, denn diese Kraft ist an den Polen am stärksten am Äquator sehr schwach. Vielleicht befindet sich in dem geschlossenen Behälter eine batteriebetriebene Apparatur und magnetische Kraft ersetzt die Corioliskraft.
    Für Deine neue Tätigkeit in Hamburg wünschen wir Dir viel Erfolg und auch Freude an der Arbeit.
    Sicherlich wirst Du im privaten Umfeld neue Kontakte knüpfen und Dich bald in Hamburg heimisch fühlen.