Von fliegenden Feuerfüchsen

Bei so viel schöner Schlittenerfahrung wollten wir trotz Kälte noch mehr Zeit draußen verbringen; ich sage euch, es war ein echt anstrengender Urlaub, der bisher kälteste, aber irgendwie auch einer der beeindruckendsten meines Lebens. Unser Hotel wirbt für sich als „Abenteuer-Resort“ und in unserem vorab gebuchten Paket waren neben Huskys und Rentieren auch eine Tour mit dem Schneemobil und eine Wanderung in Schneeschuhen inkludiert.

Und weil es uns offenbar tagsüber bei minus 5 bis minus 15 Grad noch nicht kalt genug war, machten wir uns also spät im Dunkeln nochmal auf in die Eiseskälte. Ausgestattet mit unseren Overalls und allem sonstigen Pipapo bekamen wir eine Einweisung in die Bedienung der Schneemobile. Die machen ganz schön viel Lärm, sodass man sich nicht wirklich mit seinem Passagier unterhalten kann. Der sitzt hinten drauf, der Fahrer vor ihm. Und als Fahrer hat man zwar die Verantwortung zu fahren, aber den enormen Vorteil eines beheizten Lenkers, sodass die Hände immer sehr schön warm sind. Wieso man dann nicht auch gleich die Sitze beheizen kann, verstehe ich nicht. Als Julia den Rückweg fuhr und ich Passagier war, hatte ich das Gefühl, mir ernsthafte Erfrierungen zuzuziehen, weil irgendwann einfach jedes einzelne Körperteil kalt war. Da bringt irgendwann auch kein Zehenwackeln mehr, um die Füße zu durchbluten, wenn das Blut gefühlt schon kalt aus der Brust in die kalten Beine fließt.

Schneemobil
Schneemobil

Unsere Schneemobile waren in der Geschwindigkeit gedrosselt, da wir im Dunkeln unterwegs waren. Wo sie normalerweise eher 50 km/h oder maximal sogar bis 80 km/h schnell sind, fuhren wir nur 30 km/h, allerdings war mir das definitiv schnell genug. Weil wir nicht auf neuem Flausche-Schnee gefahren sind, sondern auf viel befahrenen „Straßen“ entlang des gefrorenen Munionjoki-Flusses, konnte ich zu Beginn gar nicht wirklich lenken. Die zwei Kufen vorne ziehen sich praktisch von selbst in die existierenden Spurrillen, sodass man eigentlich nur den Lenker festklammern und aufs beste hoffen kann. Man fährt in der Kolonne und dank einem sehr starken Scheinwerfer ist es auch gar nicht so schlimm, wenn man mal kurz den Sichtkontakt zum Vordermann verliert.

für Sternegucken (und Sternschnuppen) sind so dunkle Orte allemal toll
für Sternegucken (und Sternschnuppen) sind so dunkle Orte allemal toll

Das war schon eher ein Problem am nächsten Abend, wo wir uns witzige knallrote Plastikteile unter die Schuhe spannten und vom Hotel aus mehrere Kilometer in die Nacht raus wanderten. Auch hier waren wir nicht auf ganz unberührtem Schnee unterwegs und eigentlich sind Schneeschuhe vor allem dafür gut geeignet. Ähnlich wie bei den Rentierfüßen, die die Erfindung von Schneeschuhen inspiriert haben sollen, wirkt das Körpergewicht auf einer viel größeren Fläche und so sinkt man weniger ein. Unsere Wanderung hätten wir vermutlich auch ohne die Schneeschuhe machen können, aber es war trotzdem ein sehr schönes, fast meditatives Erlebnis. Die Schneeschuhe haben Zähnchen untendrunter, die zum Einen vor dem Ausrutschen am Hang bewahren, zum Anderen aber auch eine ganz tolle Geräuschkulisse kreieren. Man knarzt zwar mit zwanzig anderen hintereinander her durch den Wald, aber eigentlich hört man doch nur seine eigenen Schritte. 

Verschneiter Wald bei Nacht hat etwas sehr verzaubertes. Wir hatten einen sehr hellen Mond und bei dem ganzen Schnee gewöhnen sich die Augen dann doch recht schnell an das bisschen Licht und man sieht erstaunlich viel. Vor allem ist die Luft da im Norden ja auch so extrem klar, dass es kaum etwas gibt, was die Sicht trüben könnte. Ich war trotzdem froh über die Stirnlampe, die ich mitgenommen hatte, und die wenigstens mir und Julia vor mir ein bisschen Licht spendete. Wenn man hinter jemandem mit Lampe läuft, hat man kaum etwas von dessen Licht, also habe ich öfters mal nach hinten geleuchtet, wenn ein Ast im Weg war oder es irgendwo unerwartet in den Tiefschnee ging, und die Leipziger hinter mir haben es mir sehr gedankt. Deutsche gab es irgendwie sehr viele in unserem Hotel, vor allem Schwaben. Das mag ich ja eigentlich nicht so im Urlaub, wo ich lieber Einheimische kennenlerne, aber immerhin haben sie mir geholfen, meine Kamera einzustellen um wenigstens ein bisschen Nordlichter einzufangen – auch wenn Julias viel kleinere viel bessere Fotos ganz von allein geschossen hat (Dank an sie für die tollen Bilder, die auch diesen Blog bereichern!).
Und unsere ganzen Aktionen waren ja vor allem ausgerichtet aufs Nordlicht. Wobei ich vor dem Urlaub für mich beschlossen hatte: selbst wenn wir keine zu Gesicht bekommen, haben wir dann immerhin alle möglichen anderen coolen Sachen erlebt! Naja, Pech, jetzt hab ich halt Sachen erlebt UND Nordlichter gesehen ;)

mit dem schicken Overall fielen oben eine und unten zwei Schichten weg...phew
mit dem schicken Overall fielen oben eine und unten zwei Schichten weg...phew

Nordlichter sind was unglaublich faszinierendes. Wir hatten zwar auch einen sehr interessanten Vortrag und ich glaube den Wissenschaftlern ja auch, aber erklären kann ich mir das ganze trotzdem nicht wirklich. Damit ihr auch was lernt, gibt es hier ein paar Hintergrundinfos, vielleicht könnt ihr ja mehr damit anfangen.
Erstmal ist Nordlicht nicht der wissenschaftliche Begriff. Es handelt sich um Polarlicht oder Aurora Polaris, das auf der Nordhalbkugel als Aurora Borealis (oder eben Nordlicht) und auf der Südhalbkugel als Aurora Australis (oder Südlicht) am Himmel zu sehen ist. Wenn über uns ein luftleerer Raum wäre, würden wir die Aurora nicht sehen können, denn es handelt sich um energiegeladene Teilchen, die mit Sauerstoff und Stickstoff reagieren. Weil die verschiedenen Schichten der Erdatmosphäre unterschiedlich viel Stick- und Sauerstoff haben, sieht man die Lichter dann entsprechend in unterschiedlichen Farben. Bevor sie bei uns ankommen, haben die sogenannten Magnetosphärenplasmapartikel (das wäre ein schönes Wort für Galgenmännchen) keine Farbe. Die Partikel werden von der Sonnen-Oberfläche geschleudert bei den sogenannten Sonnenwinden, ein Großteil fliegt dann in die Weiten des Alls, aber ein kleiner Teil (meist so 0,3% sagte unser Info-Mann) gerät ins Magnetfeld der Erde und kommt so in die Erdatmosphäre. Aktuell sind die Sonnenwinde so stark, dass bis zu 2% der Partikel in unsere Atmosphäre gelangen. Daher auch die guten Chancen, aktuell Polarlichter zu sehen.

Die Partikel, die von der Sonne weggeschleudert werden, sind elektrisch geladen. Und obwohl die Teilchen ein paar Tage unterwegs sind, haben sie noch so viel Energie wenn sie ankommen, dass sie tatsächlich auch Schäden auf der Erde anrichten können. Uns wurde erzählt, dass letztes Jahr für ein paar Tage der gesamte Flugverkehr von und nach Lappland eingestellt werden musste, weil das GPS-Signal der Flugzeuge gestört war und sie Angst hatten, dass sie die Landebahn verfehlen würden. Oder irgendwann im Vietnam-Krieg, als innerhalb von wenigen Sekunden mehrere Dutzend Minen explodierten – die hatten einen Mechanismus, der bei magnetischer Veränderung selbst auslöst, also kam man nach langer Recherche zu dem Schluss, dass es wohl mit der erhöhten Aktivität auf der Sonne zu der Zeit zu tun haben musste.
Letztes Jahr kam es in der Gegend unseres Hotels wohl zu einem unerwarteten flächendeckenden Stromausfall. Die entsprechenden Zuständigen gingen ihr Protokoll durch und prüften alles, was Auslöser gewesen sein könnte, und fanden nichts. Dann wurde die Nasa eingeschaltet, um die „äußeren Umstände“ unter die Lupe zu nehmen und tatsächlich: an diesem Tag waren besonders starke Sonnenwinde registriert worden.

Wir haben wohl das Haus gefunden, wo die Feuerfüchse wohnen und aus dem Schornstein pupsen [Julias Foto]
Wir haben wohl das Haus gefunden, wo die Feuerfüchse wohnen und aus dem Schornstein pupsen [Julias Foto]

In Hinblick auf diese enorme Energie, die da auf uns zugeschleudert wird, ist es dann irgendwie schon gar nicht mehr so verwunderlich, dass der Himmel plötzlich in Farbe explodiert. Früher, bevor es so kluge Wissenschaftler und high-performance-Satelliten und -Weltraumteleskope gab, waren die Bewohner der Polregionen verständlicherweise total verwirrt. Wir haben einen kleinen Moment hinter unserem Hotel gehabt, wo die Aurora direkt über uns war und uns mit grünen Lichtstrahlen von oben bombardierte, und da sah es wirklich so aus, als würde gleich ein Raumschiff erscheinen und uns hoch beamen. Und wir waren auch noch freiwillig draußen, weil die nette Aurora-Warnapp uns dazu geraten hatte.

es schneit!
es schneit!

Die Ureinwohner von diversen Polarregionen haben sich entsprechend ihre eigenen Erklärungen überlegt. In Island zum Beispiel sollte es schmerzlindernd sein, während der Aurora ein Kind auf die Welt zu bringen, die Mutter durfte aber nicht direkt hineinschauen, da das Kind sonst schielend zur Welt kommen würde. In Grönland und Alaska wurde geglaubt, dass bestimmte magische Wale durch das Wasser, das sie in die Luft pusten, die Aurora verursachen. Da generell das Polarlicht als Vorbote von schlimmen Ereignissen gesehen wurde, wurden teilweise auch deshalb so viele Wale getötet.
Auch in Finnland konnten schlimme Dinge passieren, sodass über den Winter immer alle Kirchen offen standen, damit man schnell beten gehen konnte, wenn man zufällig in einen Aurora-Schauer geriet.
Die Vorboten der schlimmen Dinge waren bei den Sami die sogenannten Feuerfüchse. Bei Tag war ihr Fell pechschwarz, aber darunter glänzte ihre Haut. Einen Feuerfuchs zu fangen, galt als größtes Lebensziel für viele Lappländer, denn dann wäre man reich bis an sein Lebensende, wenn man auch nur ein leuchtendes Fuchsleder verkaufen konnte. Schwarze Füchse wurden entsprechend fast ausgerottet. Es heißt, die Feuerfüchse leben ganz tief im Wald und kommen nur in den dunkelsten und kältesten Nächten heraus. Wenn sie rennen, sind sie so schnell, dass ihre Schwänze Funken schlagen, und voilà: feurige Streifen am Nachthimmel.

gleich werden wir weg gebeamt [Julias Foto]
gleich werden wir weg gebeamt [Julias Foto]

Obwohl wir an besonders dunklen Orten waren, nachdem wir die Schneemobil-Scheinwerfer und Kopflampen ausgeschaltet hatten, zum Beispiel mitten auf einem zugefrorenen See ohne ersichtliche Lichtquelle außenrum, haben wir die schönsten Auroras (Auroren? Aurori? Hmm…) direkt hinter unserem Hotel gesehen. Da waren die Wege und Hütten beleuchtet und ich hätte drauf wetten können, dass es da viel zu hell für Polarlichter gewesen wäre. Aber vermutlich lag es dann an der Zeit, denn am Hotel war es eben einfach schon zwei Stunden später als auf dem dunklen See und die Aurora muss sich meist erstmal warm tanzen. Es fängt also an mit leichten Schlieren über dem nachtschwarzen Himmel, die man auch sehr schnell mal für Wolken oder Nebelschwaden in großer Höhe halten kann. Irgendwann entstehen dann definiertere Streifen, die sich aber so langsam bewegen, dass man die Bewegung nicht wahrnimmt, sondern nur merkt, dass es jetzt anders aussieht als noch vor 10 Sekunden. Das nennt man dann Stufe 1 KP-Index 1 bis 2. Der KP-Wert spiegelt die Sonnenaktivität wider und damit die Wahrscheinlichkeit und Stärke der sichtbaren Aurora.

Achtung, nicht über den gefrorenen Fluss nach Schweden wandern
Achtung, nicht über den gefrorenen Fluss nach Schweden wandern

Ab KP-Wert 3 ist es wahrscheinlicher, auch in etwas hellerer Umgebung Nordlichter zu sehen. Je höher der KP-Wert, desto schneller bewegen sich auch die Lichter. Bei uns ging es laut meiner lieben Aurora-App am stärksten Abend auf etwa KP 6 rauf, das Maximum ist 9, aber da muss schon wirklich die Post abgehen auf der Sonnenoberfläche, damit das erreicht wird.
An der Form der Lichter erkennt man meist auch den KP-Wert. Sind es nur Schlieren ohne definierte Kanten, ist es eher eine 1 bis 2. Werden die Streifen eindeutiger und heller, ist es eine 3. Ab KP 4 bewegen sich die Lichter schneller und fangen das richtige sogenannte „Tanzen“ an. Es gibt verschiedene Tanzschritte, der meistgesehene ist der Bogen quer über den Himmel. Dann gibt es sogenannte Bänder oder Schleifen, das sind die klarer getrennten Streifen, die auch mal ein bisschen hin und her gehen können. Strahlen und Säulen brauchen schon eine höhere Sonnenaktivität und können verglichen werden mit den Lichtstrahlen, die an einem sonnigen Tag durch ein Kirchenfenster reinstrahlen, und sie „stehen“ oft senkrecht am Himmel. Bei noch höheren KP-Werten kommt es auch zu sogenanntem diffusen Nordlicht, wo praktisch der ganze Himmel farbig ist, ohne dass man eindeutige Formen erkennen kann. Oft sieht man die Farben mit dem bloßen Auge kaum und braucht einen Kamera-Sensor, um sie sichtbar zu machen. Die Form, die man am seltensten sieht (und die wir aber trotzdem auch zu Gesicht bekommen haben), ist die sogenannte Corona, das sind Bänder, die sich in sich zusammenrollen. Unser Erklärbär meinte, die Einheimischen nennen das „Waschmaschine“ und wenn man direkt drunter steht, fühlt man sich wie im Auge eines Wirbelsturmes, wo sich alles über einem um einen rum dreht.

Wie gesagt, sieht die Kamera die Farben am Himmel meist intensiver als das menschliche Auge, aber kein Foto der Welt kann das Gefühl widerspiegeln, so etwas leibhaftig zu erleben. Ein absolut surreales Erlebnis, das ich wohl in zwei Jahren wiederholen muss – da stehen die Zeichen aktuell auf der höchsten seit langer Zeit gemessenen Sonnenaktivität…

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Michael aus Fulda (Montag, 03 April 2023 19:23)

    Ich glaube Dir gern, dass es ein beeindruckendes Erlebnis ist, sich bewegende Polarlichter am Himmel zu sehen und habe einmal eine poetische Erklärung dafür gelesen. Lukas Hartmann beschreibt in seinem Roman „Bis ans Ende der Meere – Die Reise des Malers John Webber mit Captain Cook“ in Kapitel 20 die Fahrt in der Beringstraße im Jahr 1778. Dort sehen sie Polarlichter und die Mannschaft ist so andächtig erstaunt, dass es keine der üblichen Witzeleien und kein offenes Gelächter gab. Man flüsterte bloß miteinander und fragte sich, wie ein solches Phänomen zustande komme.
    „Es sind Engelsschleier“, sagte Watman in ehrfürchtigem Ton, „es soll sie auch bei uns im hohen Norden geben, auf den Orkneyinseln.“