Waldigweiße Wonne

Weil wir so schön vorbereitet waren auf die Kälte, wollten unsere dicken Winterklamotten natürlich gleich ausprobiert werden. Also fuhren wir in einem Kleinbus mit sechs anderen Touristen raus aus Rovaniemi in die Korouoma-Schlucht, was unter den Extremsportlern bekannt ist als toller Ort zum Eisklettern. So krass sind wir nicht drauf, wir wollten lieber schauen und ein bisschen weniger extrem unterwegs sein.

Wir bekamen dick gefütterte Stiefel mit Spikes drunter ausgeliehen und machten uns damit auf durch den Wald, der die Hänge um das Tal bewächst. Der Wald steht zwar ganzjährig da, aber grün ist er natürlich nicht jetzt zum Ende des Winters. Ein paar Tage vor unserer Ankunft gab es wohl nochmal einen schönen kräftigen Schneesturm, sodass ein absolutes Winter-Wunderland auf uns wartete. Nach jedem stärkeren Schneefall kommt die Nationalpark-Behörde und tritt die Wege platt. Das funktioniert meist mit einer Art Schlitten oder Kiste, die die Mitarbeiter hinter sich herziehen, die plätten dann den Boden und erweitern ihn auf eine konstant gleiche Breite. Mehr wird nicht gemacht, aber jeder Wanderer, der drüber läuft, festigt den Schnee und so bleiben die Wege schön sichtbar. Neben den Wegen steht teilweise einen halben Meter hoch der Schnee und wenn man da reintritt, kann man schon mal bis zur Hüfte drin versinken. Faszinierend, ist es doch die gleiche Menge Schnee pro Quadratmeter – nur eben nicht plattgedrückt und deswegen mit ganz viel Luft eingeschlossen.

Schnee-Baby
Schnee-Baby

Auf den Bäumen liegt der Schnee teilweise auch. Da entstehen dann ganz niedliche Hauben und Häufchen an den unmöglichsten Stellen. Und ähnlich wie beim Wolkengucken entdeckt man manchmal ganz witzige Sachen, zum Beispiel einen schlafenden Elefanten oder ein Baby, das sich am Baumstamm festhält. Wenn ein Baum nicht mehr kann mit dem Gewicht, bricht er einfach ab. Oder er hält durch und gewöhnt sich an das Gewicht und wächst nicht mehr gradeaus nach oben sondern im perfekt geschwungenen Bogen, bis seine Spitze wieder den Boden erreicht. So stehen im ganzen Wald wunderschöne weiße Bögen rum, die das ganze Ambiente nur noch hübscher machen.

Damit man runter Richtung Tal kommt, sind die Behörden kreativ was ihre Weg-Anlege-Aktionen angeht. An manchen Stellen sind Pflöcke mit Seilen in den Boden gerammt, an denen man sich runterhangeln muss. Die Spikes an den Schuhen helfen extrem, dass man nicht ausrutscht, aber meist muss man doch breitbeinig rückwärts Schritt für Schritt nach unten, damit man nicht auf den Po fällt. Außer natürlich, man will auf den Po fallen. Das macht man an den Abkürzungen, die es manchmal neben einem Weg gibt, da setzt man sich hin und rutscht auf dem Hintern in einer perfekt ausgehöhlten Rinne bis zur nächsten Ecke und hofft einfach nur, rechtzeitig bremsen zu können. Unsere Skihosen haben damit den ersten Test allemal bestanden.

Schnee-Wichtel
Schnee-Wichtel

Die Wege durch diesen Wald haben teilweise eine sehr lange Geschichte. Spätestens ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Korojoki-Fluss als wichtige Route für den Transport von Baumstämmen genutzt. Die wurden im Wald geschlagen, dann mit Pferdeschlitten ins Tal transportiert und dort einfach ans Ufer des zugefrorenen Korojoki gelegt. Wenn im Frühling der Fluss auftaute und durch den schmelzenden Schnee außenrum mehr Wasser den Fluss füllte, wurden die Baumstämme einfach automatisch vom Fluss mitgenommen und aus der Schlucht transportiert. Einer der Baumfäller stand oben drauf und „fuhr“ mit den Stämmen, um die Ankunft im nächsten Dorf von weitem anzukündigen.

wohin die wohl führt?
wohin die wohl führt?

Die läppischen Wälder bestehen zum größten Teil aus Nadelbäumen, aber es gibt auch viele Birken, die besonders schön im Schnee aussehen. Die Nadeln können teilweise aufgebrüht und als Tee getrunken werden. Das Holz wird natürlich verbaut. Manchmal entstehen an den Stämmen auch sogenannte Maserknollen oder Kröpfe, also Auswucherungen wenn ein Baum verletzt ist. Dann wird an dieser Stelle extra viel Holz produziert, um die Wunde zu verschließen. Aus dem Holz dieser Knollen wird traditionell die „kuksa“ hergestellt, eine kleine Tasse mit Handgriff, die auch als Schöpflöffel benutzt werden kann. Durch das unregelmäßig wachsende Holz in der Knolle sind die schönsten Kuksas ganz wunderbar gemasert. Die Sami haben traditionell eine einzige kuksa, die das ganze Leben lang hält und nur in einem natürlichen Bach mit klarem Wasser und einem Tuch gewaschen wird, da alles andere Unglück bringen soll.

Jaska Jokunen-Wasserfall
Jaska Jokunen-Wasserfall

Ein Highlight der Korouoma-Schlucht ist die gegenüberliegende Steilwand. Die ist so steil, dass ich da eher nicht runterwandern wollen würde – aber hier trifft man am ehesten oben erwähnte Extremsportler. Denn wo Steilwände sind, sind meist auch irgendwo Wasserfälle und davon gibt es hier sieben, die jedes Jahr zu sehen sind und unzählige kleine mehr, die je nach Saison da sind oder auch nicht. Die Wasserfälle frieren bei den langen kalten Wintern komplett zu und sind so eine perfekte Kulisse für Eiskletterer. Wir liefen lieber unten entlang und bestaunten diese magische Umgebung bei perfektem Sonnenschein, der alles auch noch schön zum Glitzern brachte.
Wirklich gefroren habe ich die ganze Zeit nicht, aber wir haben uns ja auch permanent bewegt, das hilft doch wirklich sehr. Zum Aufwärmen gab es dann aber trotzdem eine Pause mit Würstchen-Braten über dem offenen Feuer und heißem Kakao.
Ich denke, wir hätten es noch mehr genossen, mit offener Jacke und ohne Handschuhe am Feuer zu sitzen, hätten wir gewusst, was uns am nächsten Abend auf dem Thermometer erwartete…

Am Abend drauf fuhren wir mit dem Bus nach Kittilä, wo wir abgeholt wurden für den eigentlichen Hauptteil unserer Reise. Drei Nächte lang wohnten wir in einer Hotelanlage nahe Muonio, was direkt am Muonionjoki-Fluss liegt, der gleichzeitig die Grenze zu Schweden bildet. Da man sich gut versteht mit den Schweden, sieht man die Grenze ziemlich entspannt. Sie liegt je nach Jahreszeit unterschiedlich, nämlich da, wo der Fluss am tiefsten ist. Unser Hotel lag direkt am Fluss, aber mal eben einen Fuß nach Schweden setzen durften wir nicht. Denn obwohl der Fluss ziemlich solide zugefroren aussieht, ist er das an manchen Stellen nicht und manchmal hört man das Wasser drunter säuseln wenn man ganz genau hinhört. Also blieben wir auf der finnischen Seite und genossen die schneebedeckte Weite um uns rum. Die minus 10 Grad vom Weihnachtsmanndorf vergaßen wir ziemlich schnell ob der großen roten Temperatur-Anzeige vor unserem Fenster. Das erste Foto davon machten wir bei minus 22 Grad, weil das ja „soo kalt“ war. Beim nächsten Foto war es schon minus 26, dann minus 28 und am kältesten wachen Moment unserer Reise happige minus 31 Grad. Am Flughafen in Kittilä wurde in der gleichen Nacht der Kälterekord des ganzen Winters gemessen: minus 37,5 Grad!

 

 

 


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