Ein Tropfen Mittelalter

Albanien war ja nur die Aufwärmphase für Isi und mich, denn eigentlich war unser geplantes Ziel ein Stückchen weiter, am gegenüberliegenden Ufer des riesigen Sees im Norden Albaniens: Montenegro. Von der Hauptstadt Podgorica (schon wieder ein Name, der mir vorher so gar nicht geläufig war) lasen wir vorab nicht allzu viel spannendes, aber weil der Überlandbus da am sinnvollsten hinfährt, blieben wir eben eine Nacht da.

Podgorica
Podgorica

Am Grenzübergang zwischen Albanien und Montenegro kamen wir am schnellsten durch, ein EU-Perso ist halt doch so einiges wert, wenn man hier ist und um einen rum nur ausländische Reisepässe gezeigt werden. Unsere Koffer mussten wir aus dem Busbauch rausholen, in einen kleinen Raum tragen, wo wir gefragt wurden „Medikamente? Alkohol? Drogen? Waffen?“, wir verneinten und durften die Koffer wieder zum Bus bringen. Ein paar hundert Meter weiter das gleiche Spiel mit den montenegrinischen Behörden, bevor wir ins neue Land einreisen durften.
Einen großen Unterschied sieht man auf den ersten Blick nicht, die gleiche hübsche Landschaft geht nach der Grenze ganz ungestört mit und sogar die Sprache auf den Schildern, die man sieht, scheint ähnlich.

Neustadt Podgorica
Neustadt Podgorica

Unsere Unterkunft war dieses Mal eine private Pension, versteckt in einer ruhigen Nachbarschaft hinter einem riesigen metallenen ungekennzeichneten Tor, etwas dubios, aber drinnen erwarteten uns neben der freundlichen Besitzerin drei Hunde, eine Schildkröte, fünf Katzen und mehrere Katzenbabys. Die nette Frau sprach nur sehr gebrochen Englisch und nutzte zunächst eine Übersetzer-App, um uns zu erklären, wie wir in die Innenstadt kommen können. Dann war es ihr zu blöd und sie erklärte einfach auf Serbisch weiter, wo wir unsere Koffer bis zum Check-in unterstellen könnten. Seltsamerweise verstanden wir erstaunlich viel, obwohl weder Isi noch ich ein Wort Serbisch kennen. Aber bei doch einigen italienischen Wörtern, die ganz oder leicht abgewandelt in die Sprache integriert sind, weiß man dann bei „bagaggi“ eben irgendwie schon, dass es um Koffer geht.

Podgorica
Podgorica

Die Innenstadt von Podgorica hatte ziemlich genau das zu bieten, was wir erwartet hatten: nichts. Viele Sowjet-Klötze und keine herausragende Architektur oder Sehenswürdigkeiten, die uns interessieren würden. Aber auf einem großen Platz wurde gerade ein Volksfest aufgebaut und die Fressbuden hatten teilweise schon offen. Wir versuchten, die angeboten Speisen zu entziffern und bestellten Kobasica (klang wie Salsiccia-Wurst) mit Pomfrit (klang wie Pomfrit), der Verkäufer strahlte und nickte „Sausage with fries, correct!“ Ein bisschen mehr Englisch gab es dann in Montenegro wirklich als in Albanien, aber vermutlich weil wir nach der Hauptstadt vor allem in touristischen Gegenden unterwegs waren.
Podgorica überraschte uns dann doch noch, mit einer tollen Schlucht, die sich um den Morača-Fluss mitten durch die Stadt zieht. Eine schicke Brücke führt von einer auf die andere Seite, es gibt sogar ganz hübsche Graffiti-Kunst und Sitzbänke, an denen man sein Handy durch Solarzellen aufladen kann.

Podgorica
Podgorica

Um wenigstens noch ein bisschen was zu sehen, machten wir uns abends auf einen netten Spaziergang, der sehr vom Regen durchnässt in einem berühmten Restaurant endete, wo man uns Kačamak als „cooked vegetables“ servierte, was sich aber als eine Art Maisbrei herausgestellt hat, wovon die eine „kleine“ Vorspeisen-Portion uns beide so abfüllte, dass wir kaum den gebackenen Vorspeisen-Käse aufessen konnten, den es dazu gab. Die Hauptspeise hatten wir glücklicherweise von vornherein ausgelassen. Das Gläschen Raki hat der Verdauung entsprechend sehr gut geholfen – den haben sie anscheinend von den Türken geklaut, weil es kein eigenes Nationalgetränk gab.
So ein gemütlicher Tag musste irgendwie auch mal sein, denn danach ging der stressige Teil unseres Urlaubs los, denn es gab ja soo viel zu sehen! Und schon der Start des nächsten Morgens war sehr aufregend, denn unser Mietwagen wurde uns von einem netten englischsprechenden Montenegrino direkt vor die Unterkunft gebracht, sodass wir nur noch aus den kleinen Gässchen rausmussten bevor es losgehen konnte.

Fußgängerzone in Podgorica
Fußgängerzone in Podgorica

Vom Autofahren in Montenegro hatten wir mehr gehört als von Podgorica. Überall hieß es, wie schrecklich die Einheimischen fahren, wenn man deutsche Straßenverhältnisse gewöhnt ist – und schon die paar hundert Meter raus aus unserer Nachbarschaft zur nächsten Straße ließen mich in Schweiß ausbrechen. Man scheint halt zu fahren, wie man grade lustig ist. Die ersten paar Minuten on-the-road waren die größten Highlights für uns, wenn mal jemand geblinkt hat vor dem Abbiegen oder gar den Warnblinker angemacht hat, wenn er spontan mitten auf der Autobahn stehen blieb. Die Straßen selbst waren sehr viel besser als erwartet und das Fahren an sich klappte ganz hervorragend. Man weiß ja nie, worauf man sich einlässt, wenn man sich spontan in einem fremden Land und in einem fremden Auto auf die Straße wagt. Der nette Mann von der Autovermietung hatte uns aber einen sehr wertvollen Tipp gegeben: „Wenn ihr nicht mehr weiterwisst, einfach stehen bleiben und verwirrt gucken bis sich das Chaos gelegt hat“ – das hat mir immerhin schon auf diversen Reisen geholfen, wieso also nicht auch hier?
Interessanterweise scheinen Fußgänger den Verkehr genauso zu handhaben wie Autofahrer: einfach drauf los laufen und alles wird gut. Und scheinbar tut es das ja, sonst würden sie wohl doch anfangen, sich mehr an irgendwelche Regeln zu halten.

Aussicht an der Straße nach Budva
Aussicht an der Straße nach Budva

Montenegro ist wie Albanien noch in der Anfangsphase als touristisches Land. Die schönen braunen Schilder, wie man sie an deutschen Autobahnen oder an britischen Landstraßen kennt und die auf touristisch interessante Dinge aufmerksam machen, haben wir vergeblich gesucht. Wobei uns ein Schild sogar auf spektakuläre Felsmalereien aufmerksam machte, wir schauten in das Sträßchen am Hang und entschieden, lieber an der Straße im Tal zu parken. Enge Straßen können sie hier gut, wenn man erstmal von der schicken Autobahn weg ist. Wir liefen einen guten Kilometer bis zur Pin-Nadel bei Google Maps und standen dann vor zwei Wohnhäusern und Wald. Kein Hinweis weit und breit auf irgendwelche Felsmalereien oder sonstige interessante Dinge. Naja, sie lernen halt noch.
Stattdessen fuhren wir weiter bis Budva, dem ersten Schluck montenegrinischer Schönheit, der uns nur vorbereitete auf die Eimer voll grandioser Architektur und touristischer Schmuckstücke, die in den kommenden Tagen über uns ausgeleert werden sollten.

entlang der Stadtmauer von Budva
entlang der Stadtmauer von Budva

Budva gilt als Musterstadt für Montenegros Tourismusindustrie und ist meistbesuchter Ort im Land. Die Stari Grad (Altstadt) sprudelt vor Leben und ist umgeben von einer tollen Stadtmauer, auf der man für wenig Geld fast komplett rumlaufen kann. Autofreie Innenstädte sind ja sowieso immer ganz besonders und hier sind die engen Gassen extrem charmant, und wenn sie dann noch direkt am Meer liegen und mit hübschem Kopfsteinpflaster belegt und von tollen Kirchen und alten Häusern gesäumt sind, schlägt mein Reiseherz ja gleich viel höher. Die Stadt soll die älteste an der gesamten Adriaküste und schon vor 2.500 Jahren gegründet worden sein. Nach einem Erdbeben vor 40 Jahren blieb nicht so viel stehen, aber die gesamte Altstadt wurde nach den originalen Plänen wieder aufgebaut, sodass man sich heute noch vorkommt, wie in einer anderen Zeit, wenn man durch die engen Straßen flaniert.

Budva Altstadt
Budva Altstadt

Von der Stadtmauer und der netten Neustadt-Promenade hat man unverbauten Blick raus in die Adria mit der vorgelagerten Insel „Hawaii“, die rein gar nichts mit dem echten Hawaii zu tun hat außer dem klaren türkisen Wasser vor ihren Stränden.
Bei diesem Blick gab es auch unser Frühstück, bei dem wir endlich ein paar Wörter Serbisch lernten: Tost Sendvič (getoastetes Sandwich) und Omlet (Omelette) – für uns war es witzig, dabei sind es doch sogar im deutschen alles ausländische Wörter, die irgendwann mal in unsere Sprache integriert wurden. Kurz überlegten wir auch, stattdessen Hemendeks (Ham and Eggs) oder Bekendeks (Bacon and Eggs) zu bestellen, aber das war uns dann einfach zu witzig, um uns aufs Essen konzentrieren zu können.

 

 

 


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