Wenn man plötzlich Streifen auf der Schulter hat, ist man mit einem Mal ein anderer Mensch. Oder jedenfalls scheint es so, wenn man den Gästen gegenübertritt. Gleich an meinem zweiten Tag in der neuen Uniform (die tatsächlich gar nicht mal soo unverteilhaft ist wie erwartet) hatte ich ein Gästegespräch zu führen, zu einem Thema, über das ich nichts wusste, weil der Ausflug vor meiner Zeit an Bord stattgefunden hatte. Meine Scouts sagten mir, worum es ging, und wie aufgebracht die Gäste wären. Kaum stehe ich vor ihnen und stelle mich mit meinem tollen neuen Manager-Titel vor, sind sie die Freundlichkeit in Person. Verrückt, wie viel so blöde Streifen auf der Schulter ausmachen.
Erst später beim Mittagessen sitzt mir einer der Scouts gegenüber und sagt „Du siehst so anders aus. Wo hast du deine Streifen gelassen?“ Na Mensch, liegt es wohl doch nicht an den Streifen
sondern am Titel, der das Namensschild schmückt. Die Situation war mir aber so peinlich, dass es mir seither auch nicht wieder passiert ist, dass ich meine Streifen auf Kabine hab liegen
lassen.
Besonders wichtig waren die Streifen ja sowieso am ersten Tag, an dem ich sie trug, denn der Offiziers-Shanty-Chor sang im Brauhaus. Das war ja was, worauf ich mich besonders gefreut hatte. Man
lernt schön andere Kollegen aus anderen Abteilungen kennen und steht gemeinsam auf der Bühne um die wohlbekannten Seemannslieder zu trällern – und so weit weg vom Indischen Ozean durften wir
sogar wieder „Wir lagen vor Madagaskar“ singen.
Die Seenotrettungsübung im Feuerteam war übrigens eine reine Katastrophe, da ich ja null vorher eingewiesen wurde, was ich da eigentlich zu tun habe. Bei der Besprechung wurde nur gelacht, als man meine Statur sah und sich mich als Schlepper von Sauerstoffflaschen und Schläuchen vorstellte. „Geh einfach hin und laufe den Feuerjungs hinterher“ sagten sie. Ich kam zum Drill also mit Rettungsweste und Käppi, wie ich das gewohnt bin, und wurde prompt vom Sicherheitsoffizier angemault, was ich denn als Feuerwehr mit einer Rettungsweste will. Nach dem Funkspruch, dass wir zu einer anderen Location im Schiff sollten, folgte ich den Jungs im Team und wurde prompt vom Feuerwehrchef beschimpft, was mir denn einfiele, eine Feuertür zu öffnen und da ohne Schutzkleidung durchzugehen. Dann wurden die Feuerwehrleute mit neuen Sauerstoffflaschen versorgt (übrigens sehr spannend, das auch mal live zu sehen, wie die in voller Montur durch den Crewbereich kriechen und Fake-Rauch bekämpfen) und ich stand blöd in der Ecke und wurde böse angeschaut vom Vizekapitän, der grade seine Runde drehte. Am Tag drauf wurde ich eingeladen zum Feuerteam-Training und als der Trainer mich sah, sagte er „Nein, du gehörst hier doch gar nicht hin.“ Na Mensch, blöd, dass meine Notfallkarte das Feuerteam als meinen Einsatzort nennt, aber offenbar haben jetzt alle beschlossen, dass das wirklich ein Fehler war, mich in so ein Team zu stecken, auch wenn es nur für 10 Tage war.
In Kiel angekommen, durfte ich Kevins Notfallstation übernehmen und bin jetzt im sogenannten Pax Muster Team der Station J (offiziel J wie Juliet nach dem englischen NATO-Alphabet, bei uns bevorzugt J wie Jodeln) im Brauhaus. Die Station kenne ich schon von meinem Einsatz auf AIDAperla und da ist es eigentlich ganz entspannt. An drei Eingängen stehen Kollegen mit Scangeräten, die die Bordkarten der Gäste einscannen, denen dann geholfen wird, ihre Rettungswesten anzulegen und sich einen Sitzplatz zu suchen. Einziger Unterschied zu damals ist es, dass ich als Offizier jetzt ein blaues Offizierskäppi trage und kein rotes Crewkäppi mehr. Das muss ich auch nicht mal wieder abnehmen, da ich als Offizier nicht mehr die Rettungsweste demonstrieren muss, sondern nur noch wichtigtuerisch in der Gegend rumstehe und die Durchsagen auf der Station mache. Auch mal ganz nett.
Offizier bin ich natürlich nicht wirklich, denn die richtigen Offiziere sind ja nur die Nautiker. Aber bei uns an Bord gilt jeder als Manager, der Streifen auf der Schulter trägt. Da gibt es dann solche wie mich, die am liebsten mit den Leuten rumhängen, die sie gut kennen und mögen (in meinem Fall mein wirklich ausgesprochen liebes und rücksichtsvolles Scout-Team) und ignorieren, was auf dem Namensschild steht. Zu denen gehört übrigens auch unser Kapitän, der ein unglaublich freundlicher Mensch ist, der wahrscheinlich jedem am liebsten gleich das Du anbieten würde, was sich für seinen Stand aber nicht gehört. Und dann gibt es die andere Sorte Offiziere, das sind solche, die ihre Streifen angelegt bekommen und sofort aufhören, die Kollegen auf der Hauptstraße im Crewbereich zu grüßen, nur noch in der Offiziersmesse essen und generell nur mit anderen Streifenhörnchen ihre Zeit verbringen. Aber das gibt’s wohl überall – mit mehr Verantwortung kommt manchmal eben auch ein komischer Zug in die Persönlichkeit.
Ein bisschen vermissen tu ich die netten Side Duties ja, die Nebenjobs, die außerhalb unserer Abteilung anfallen, und wo man als Scout öfters mal woanders aushilft. Die Kunstauktion habe ich zum
Beispiel immer sehr gerne unterstützt als Beisitz, das darf ich jetzt offiziell nicht mehr, aber da ich dicke mit der Galeristin bin, lässt sich da vielleicht was drehen, dass ich doch noch mal
darf…
Nicht vermissen tu ich die Begrüßungsschicht am Restaurant abends, wo man den Gästen einen schönen Abend wünscht und sie versucht, möglichst freundlich und unaufdringlich dazu zu bringen, sich
ihre Hände zu desinfizieren.
Eine Besonderheit hatten wir jetzt in den ersten anderthalb Wochen, in denen ich an Bord war. Drei mal vier Tage Kreuzfahrt durch die Ostsee standen auf dem Plan, und zwar nicht irgendeine
Kreuzfahrt, sondern sogenannte Charter-Reisen, während derer ein großer Autoteile-Lieferant das gesamte Schiff gemietet hatte, um Kunden, Partner und Zweigstellenleiter einzuladen und zu
verwöhnen. So viele Nullen kann ich mir gar nicht vorstellen, wie das gekostet haben muss, jedenfalls gab es jede Reise einen Abend lang für sechs Stunden eine Open Bar für die Gäste und diverse
Aktionen und Shows an Bord. Zum Beispiel war die Münchner Freiheit an Bord für ein Konzert und Johannes Oerding, den man wohl aus dem deutschen Radio kennt, von dem ich aber noch nie was gehört
hatte. Die Travestiekünstlerin France Delon kam an Bord und als Überraschungsgast wurde jemand ganz berühmtes angekündigt. Wir wussten es natürlich vorher, aber für die Gäste blieb es bis zum
letzten Abend spannend, wer denn da kommen würde. Für die Warterei wurden sie aber belohnt, als Michael Patrick Kelly auf die Bühne stürmte und eine knappe Stunde lang Party machte.
Pünktlich geschafft hat er es nicht, da sein Flug nach Stockholm ausgefallen war. Also schickte die Charter-Firma den Firmenjet, um ihn in München abzuholen und nach Stockholm zu fliegen. Dort
verpasste er das Schiff um 20 Minuten, da wir super pünktlich aus den Schären raus sein müssen, um nicht im Dunkeln eine der kleinen Inselchen vor Stockholm zu rammen. Naja, wenn man genug Geld
in die Hand nimmt, gibt es aber offenbar immer eine Möglichkeit, jemanden auch nach dem Ablegen noch an Bord zu bringen.
Spannend jedenfalls, so eine Charter-Reise. Vor allem fiel auf, dass es keinen einzigen Menschen unter 18 Jahren auf dem ganzen Schiff gab, bei 3.000 Gästen schon eine Rarität und etwas, an das ich mich definitiv gewöhnen könnte. Außerdem keinen einzigen Rollstuhl und kaum jemanden, dem im Bus schlecht wird, wenn er hinten sitzt. Damit ist jetzt Schluss nach drei solcher Reisen und heute beim Check-In sah das Klientel schon wieder ganz anders aus. Es geht in unsere reguläre Saison, die wir bis Herbst in der Ostsee verbringen. Die Route kenne ich ja schon und jetzt bin ich gespannt, wie das alles aus der Managerperspektive aussieht.
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Michael aus Fulda (Samstag, 01 Juni 2019 19:17)
In der weißen Bluse siehst Du phantastisch aus. Man erkennt sofort in Dir die Vorgesetzte mit höherer Verantwortung und größeren Befugnissen. Dieses Foto mit Dir vor dem Schiff und dem blauen Himmel mit weißen Wolken im Hintergrund ist so einladend, dass man gleich mitfahren möchte.
Es könnte ein Werbeplakat der Reederei sein. Hat es ein professioneller Fotograf gemacht?
Flo (Dienstag, 04 Juni 2019 21:32)
Noch mal herzlichen Glückwunsch zur neuen Position!
Wollen wir mal hoffen, dass es nie zu einer echten Notsituation kommt, wenn man dich da immer nur anschnauzt :-)
Dann mal immer handbreit Wasser unterm Kiel, ne?!