Tourismus in den Kinderschuhen

Gesundheitlich gesehen geht es den Einheimischen eigentlich erstaunlich gut für so ein armes Land. USA Today hat mal eine Liste der ärmsten Länder der Welt rausgebracht, darauf liegt Madagaskar auf Platz 9, aber im Vergleich zu den anderen Ländern auf der Liste ist die Lebenserwartung recht hoch, nämlich nur geringfügig unter dem weltweiten Durchschnitt von 72 Jahren. Vermutlich liegt das daran, dass Madagaskar eine Insel ist. Krankheiten kommen also schon mal nicht über irgendwelche Landesgrenzen und über die superbreite Meeresstraße von Mosambik auch eher nicht. Durch das Meer komplett außenrum hält sich auch die Wüstenbildung noch in Grenzen, unter der die kontinentalafrikanischen Länder so arg leiden. Außerdem bedeutet so ein guter Zugang zum Meer für die meisten Regionen ein relativ sicheres Überleben, denn auch wenn das Vieh krank ist oder die Ernte schlecht ausfällt, gibt es immer noch die Fischer, die wenigstens irgendwas Essbares organisieren können.

Unser zweiter madgassischer Hafen ist Nosy Be, eine vorgelagerte Insel, und hier sieht man eindeutig, dass schon viel gemacht wurde für den Tourismus. Landwirtschaft ist seit mehreren Jahren schon nicht mehr die Haupteinnahmequelle für die Insulaner. Klar, gibt es noch die Ochsenkarren, Tuktuks und Rikschas als wichtige Verkehrsmittel, aber hier kann man davon ausgehen, dass es die meisten über die 1.500$ jährliches Einkommen schaffen, das für Madagaskar Durchschnitt ist (im Vergleich: in Deutschland liegt das momentan bei mehr als 50.000$). Unsere Kreuzfahrtgäste mit Rückenproblemen haben wir nur in Nosy Be auf Ausflug geschickt, weil die Straßen tatsächlich alle perfekt geteert sind, solange man einigermaßen auf den Hauptverkehrsstraßen bleibt. Es liegt kaum Müll rum und an den Stränden gibt es teilweise sogar einigermaßen saubere öffentliche Toiletten. Man lernt von den Touristen und je mehr kommen, desto mehr wird sich auch tun im Land. Antsiranana im Norden der Hauptinsel braucht vermutlich noch fünf oder sechs Jahre um soweit zu sein, Tamatave an der Ostküste wahrscheinlich noch eher fünfzehn bis zwanzig.

Unser Agent Alessandro ist einer der wenigen, die das Potenzial dieses außergewöhnlichen Landes erkannt zu haben scheinen und geblieben sind. Alleine kann so ein Land das nicht schaffen, denn wie soll man Tourismus machen, wenn die wenigsten der eigenen Bewohner schon mal Tourist irgendwo waren? Alessandro ist Italiener und erzieht seine Reiseleiter und Fahrer genauso, wie er weiß, dass die europäischen Touristen sie brauchen: vor allem pünktlich. „Mora, mora!“ sagen sie alle immer, aber wenn Alessandro auf der Pier steht, war es das mit „langsam, langsam“ und alle haben zu spurten. Es gibt eine Abmahnung für den, der ohne gescheiten Grund zu spät auf der Pier steht morgens, nachdem Alessandro allen Beteiligten sowieso schon eine Startzeit angibt, die immer eine Dreiviertelstunde vor unserem eigentlichen Anlegen ist. Die zweite Chance hat jeder verdient, und nach einem Anschiss von Alessandro wagt es keiner, ein zweites Mal zu spät zu kommen. Er hat seine Leute im Griff und wir merken auf jedem Ausflug, wie gut er seine Leute im Griff hat. Ich musste meinem Reiseleiter mal versprechen, dass er sagen darf „Tanja ist schuld“, wenn es Stress geben sollte, weil ich drauf bestanden hatte, die Strandzeit zu verlängern, nachdem unser Boot eine Panne hatte. Noch ein paar Jahre mit europäischen Reisegruppen und die Reiseleiter werden solche Entscheidungen selbst treffen können, aber noch ist es gut, eine Art Oberlehrer dahinter zu wissen, denn dann können wir uns zurücklehnen mit dem Wissen, dass Alessandro es schon regeln wird.

Wir sagen den Reiseleitern, dass Deutsche generell lieber shoppen, wenn sie einfach schauen dürfen ohne jedes Kleidungsstück einzeln unter die Nase gehalten zu bekommen. Danach sehen wir sie ganz aufgeregt mit den Verkäufern zu diskutieren, die alle ganz verständnislos die Köpfe schütteln, bis die Reiseleiter alle irgendwann mit den Schultern zucken und egal, wie wenig wir Malagasy verstehen, es ist eindeutig: „So sind die halt. Macht doch einfach.“ – und mit ein bisschen Glück hören sie es jedes Mal und irgendwann lernen sie es und ganz langsam wird sich der Tourismus entwickeln, denn so ist es mit allen möglichen Aspekten, die wir und die Costa Victoria als einzige Kreuzfahrtschiffe in Madagaskar ihnen beibringen. Eigentlich kann ihnen nichts besseres passieren, wenn sie in Antsiranana und Tamatave so werden wollen wie in Nosy Be. Schon jetzt sind alle Beteiligten so unglaublich stolz auf sich, dass sie ohne weiteres mehr als zweitausend Touristen irgendwo unterbringen, und ich hoffe sehr, dass auch die nächsten Saisons so erfolgreich werden wie diese.

Wer die Einheimischen kennenlernt – und sei es nur für ein paar Stunden während eines Ausflugs –, der lernt schnell die unglaubliche Herzlichkeit zu schätzen. Wer genug Englisch oder sogar Deutsch kann, fragt unsere Gäste fast genauso aus wie wir die Reiseleiter ausfragen. Mit einer jungen Reiseleiterin namens Elisah hatte ich sehr schöne Gespräche beim allerersten Anlauf in Tamatave. Jeden der weiteren Anläufe stand sie auf der Pier und brüllte meinen Namen, sobald sie mich aus dem Schiff kommen sah, weil sie schon wieder so viele neue Fragen hatte für mich. Und dabei war sie sogar schon mal in Deutschland gewesen. Auf meine Frage, was sie von ihrem Aufenthalt dort mitgenommen hat, sagte sie: „Ich trenne jetzt meinen Müll und bin Berater im Bau eines Recycling-Zentrums in der Stadt“. Sie kommen hin irgendwann, zum Land oder wenigstens zur Region, die einigermaßen vom Tourismus leben kann, da bin ich sicher.