Afrika, Afrika

Für mich war Madagaskar immer Natur pur. Ich habe immer nur an die Chamäleons und Lemuren gedacht, so wie eben im Film Madagaskar. Hätte ich mehr drüber nachgedacht, wäre mir vermutlich auch bewusst geworden, dass es keine Insel ist, auf der nur Chamäleons und Lemuren leben, denn es ist schließlich die viertgrößte Insel der Welt. Madagaskar ist halt irgendwie bei den meisten Europäern nicht so präsent auf der Weltkarte im Kopf, sondern eben diese Insel da unten vor Afrika, wo man sowieso nie hinkommen wird.

Glücklich?
Glücklich?

Ein exotischeres und ungewöhnlicheres Urlaubsziel gibt es entsprechend kaum. Umso besonderer ist es für mich, so einen Ort überhaupt besuchen zu können. Wenn wir auf den Ausflügen dabei sind, ist es, als würden wir Eindrücke in eine ganz neue Welt bekommen. Und, wer hätte das gedacht, es leben in Madagaskar auch Menschen. Trotzdem gibt es super viel sonst zu entdecken und weil ich mich besonders auf die Chamäleons und Lemuren gefreut habe, gibt es dazu sogar einen eigenen Blogeintrag (vor allem wegen den vielen vielen Fotos natürlich).
Aber es sind tatsächlich die Menschen, die den Aufenthalt hier so speziell machen. Ihre Kultur und ihre Traditionen, ihre Mentalität und ihre Sprache, so vieles, worüber man sich nie vorher Gedanken gemacht hat, prasselt hier auf einen ein, man wird bombardiert mit Bildern, die einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen. So geht es fast allen hier an Bord, egal ob Gast oder Crew, und das schweißt uns teilweise sehr viel enger mit einigen Gästen zusammen, treibt aber manchmal auch einen ziemlich großen Keil zwischen uns.

traditionelle Fischerboote vor Nosy Be
traditionelle Fischerboote vor Nosy Be

Es gibt generell immer zwei Arten von Kreuzfahrtgästen. Die einen sind vollkommen auf ihre Reise und die Ziele eingestellt. Sie rennen nach Buchung der Reise in die Bibliothek um sich Reiseführer auszuleihen und befragen die Nachbarn, die schon einmal dort waren. Sie wissen absolut, was sie erwartet und worauf sie sich gefasst machen müssen. Für sie gibt es keine allzu großen Überraschungen, dafür aber auch meistens keine allzu großen Enttäuschungen. Und dann gibt es die anderen, die ihre Reise buchen, allein weil sie schon alle anderen AIDA-Ziele kennen oder weil sie damit angeben wollen, in der ersten Saison in einem neuen Zielgebiet dabei gewesen zu sein.  Sie buchen und freuen sich auf ihren Urlaub, bemühen aber im Normalfall kein Buch und keine Googlesuche mit tiefergehenden Fragen zum Reiseziel. Sie kommen oftmals in den Indischen Ozean, um jeden einzelnen Hafentag am Strand zu verbringen und wie richtig dunkel durchgegerbtes Leder hier übers Pooldeck zu stolzieren. Für sie gibt es richtig viele Überraschungen auf ihrer Reise in ein unbekanntes Gebiet und für sie gibt es leider auch sehr oft genauso viele Enttäuschungen.

Traumstrand...nicht erschlossen
Traumstrand...nicht erschlossen

Bei einer Kreuzfahrt in den Indischen Ozean ist dieses Thema allgegenwärtig und wir merken extrem den Unterschied zwischen den einen und den anderen Gästen. Die unvorbereiteten Gäste scheinen alle zu denken, dass es im Indischen Ozean einen Traumstand neben dem anderen gibt und nicht viel anderes. Wenn man sie dann an einen Strand schickt, wo ein Seeigel gesichtet wird oder ein paar Algen durch den letzten Regenguss an der Oberfläche schwimmen, ist das Theater groß. Und wehe, wenn keiner der charakteristischen Granitfelsen am Seycheller Strand liegt, die doch auf jeder Postkarte (und dummerweise auch in jedem Reisekatalaog) abgebildet sind. In Le Réunion gibt es noch mehr Beschwerden, denn beim Großteil unserer Ausflüge ist kein Strandaufenthalt inkludiert. Der erfahrene Réunion-Urlauber würde sagen, dass man dumm ist, wenn man für Strand dorthin fährt, wo ein tropisches Gebirge auf einen wartet, was von so atemberaubender vulkanischer Natur umgeben ist. Wer will da schon zwei Tage komplett am Strand verbringen? Wer doch zum Strand fährt, kommt regelmäßig enttäuscht zurück an Bord weil der Strand „ja gar kein weißer Sandstrand wie im Katalog“ war.

Dorfkinder wenn die reichen Weißen vorbeikommen
Dorfkinder wenn die reichen Weißen vorbeikommen

Nirgends bekommen wir die Enttäuschung so arg mit wie in Madagaskar. Wir haben drei Häfen, die wir in Madagaskar anfahren und bei jedem Anlauf in Nosy Be kommen ganze Heerscharen an Gästen angerannt, um ihre Ausflüge für den letzten Hafen Toamasina zurückzugeben. „Ich kann die Armut nicht mehr sehen“ hören wir da als Begründung und „Da liegt so viel Müll rum“. Unser General Manager muss sich regelmäßig zum Gästegespräch treffen um den Gästen zu erklären, dass wir ein Zielgebiet nur anfahren, weil irgendjemand offensichtlich Interesse an so einer Reise hat und man sich eigentlich denken könnte, dass man in einem der ärmsten Länder der Welt vielleicht auch mal ein bisschen Armut sieht. Oder auch ein bisschen viel.
Wir lieben die Gäste, die uns am Schalter fragen, wo es denn am besten wäre, ihre mitgebrachten Buntstifte und Kuscheltiere und Süßigkeiten mit auf Ausflug zu nehmen um den Kindern eine Freude zu machen. Eine junge Mutter hatte ich mit auf Tour, die jedes Mal, wenn sie eine einheimische Mutter mit Kind gesehen hat, ihrem Sohn eine kleine Fingerpuppe in die Hand gedrückt und ihn zum Überreichen geschickt hat. Toll, sowas.

Fischer sortiert seine Netze
Fischer sortiert seine Netze

Die einen Gäste kommen während des Ausfluges und sagen mir, dass die Armut unübersehbar ist, aber wenigstens sehen sie alle glücklich aus. Die anderen Gäste zeigen mir Porträtaufnahmen der Dorfkinder, die in die Kamera schauen, als hätten sie seit Jahren nicht gelächelt und in deren Augen so viel Verzweiflung liegt, dass ich mich frage, wo genau das Glück zu sehen sein soll. Wenn die Kinder von klein auf zum Betteln geschickt werden, kann das doch kein Glück sein. Wenn die Frauen sich zusammentun, um am Straßenrand die fünf Früchte zu verkaufen, die sie gemeinsam aufgetrieben haben, wenn die Männer den ganzen Tag zum Fischen rausfahren oder auf den Feldern schuften und trotzdem ihre Familien nicht über die Runden kriegen.

sogar doppelstöckig können sie bauen...
sogar doppelstöckig können sie bauen...

Wir sind zu Besuch in kleinen Dörfern, die genauso sind, wie sie halt immer sind. Wenn wir vorbeikommen mit unseren glitzernden Sandalen und Hightech-Rucksäcken werden wir angeschaut wie Außerirdische. Die einen Gäste sehen die unbefestigten Wege und den Müll, der rumliegt, und den Dreck, der sich in den Töpfen sammelt. Die anderen Gäste sehen, dass Menschen wirklich so leben und dass es eigentlich eine Ehre ist, so etwas erleben zu dürfen und auch überhaupt mal zum Nachdenken gebracht zu werden über die Welt und was alles schief läuft.
Die richtig krasse Armut sehen wir ja nicht mal. Hier an der Küste kommt wenigstens ab und an mal ein Tourist vorbei und dass wir alle zwei Wochen zweitausend reiche Europäer an Land kippen, hilft dem Land, das bald merken wird, dass die Touristen gute Straßen wollen und Infrastruktur. Und wenn darin investiert wird, werden es auch die Einheimischen irgendwann hoffentlich zu spüren bekommen und müssen dann vielleicht ein bisschen weniger ums Überleben kämpfen.

Waschtag
Waschtag

Es gibt eben immer die eine und die andere Sichtweise und dass wir überhaupt herkommen bringt uns in eine Lage, wo wir selbst nicht so genau wissen, ob es eigentlich gut ist oder schlecht. Aber wenn auch nur ein Zehntel unserer Schiffsbelegung nach Hause fährt mit einem besseren Verständnis, was es wirklich bedeutet, arm zu sein, dann hat es sich vielleicht schon gelohnt. Eine junge Frau auf Ausflug sagte letztens zu mir „Nächstes Mal überlege ich mir zweimal, ob die Waschmaschine wirklich schon voll genug ist“, nachdem sie gesehen hat, wie die Frauen ihre Wäsche im sandigen Fluss auf flachen Steinen ohne Seife gewaschen haben. Und vielleicht fängt der ein oder andere sogar an, zu hinterfragen, ob es wirklich nötig ist, sich seinen Teller am Büffet bis zum Rand zu füllen, nur um die Hälfte dann nicht mehr zu schaffen. Die heiße Dusche fühlt sich nach einem Tag in Madagaskar jedes Mal an wie purer Luxus wenn man gesehen hat, wie die Kinder sich mit einem Eimer oder direkt am Dorfbrunnen waschen, mit Wasser, das wir nicht mal zum Schrubben der Schuhe nehmen würden. Wo Touristen vom Boot kommen, stehen Schüsseln und Bottiche mit Wasser, damit wir uns die Füße waschen können. Dass das Wasser nicht einfach irgendwo aus dem Badezimmerhahn kommt und dass die Dörfler zum Dorfbrunnen laufen und Eimer für uns schleppen müssen, daran denken die wenigsten.

 

Es ist faszinierende Natur und wahnsinnige Vielfalt an Kultur und Traditionen, die wir hier erleben. Wir wussten, dass wir Armut sehen würden, aber dass wir abends an Bord kommen und über jeden Löffel Essen nachdenken, den wir uns in den Mund schieben, das hatten wir nicht erwartet.

 

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Michael aus Fulda (Freitag, 11 Januar 2019 17:48)

    Dieser Bericht ist besonders gut gelungen und zeigt sehenswerte Fotos. Ungeschönt beschreibst Du das Aufeinandertreffen von Wohlstand und Armut. Vor 200 Jahren hat es in vielen Regionen Europas und noch vor 50 Jahren in China unter Mao Zedong ähnliche Verhältnisse gegeben. Nur durch die Industrialisierung haben wir unseren
    Wohlstand erreicht. Der Preis dafür ist jedoch die Ausbeutung der Natur und die sich daraus ergebende Umweltzerstörung. Ein weiteres Problem vieler Länder ist die Bevölkerungszunahme. In Madagaskar ist die Einwohnerzahl in den letzten 60 Jahren ungefähr um das fünf-fache von 5 auf 26 Millionen gestiegen.

    Zu den schönen Fotos der Vegetation fallen mir die Dschungelbilder von Henri Rousseau
    ein., z.B. „Urwald mit Tiger und Jägern“.
    https://www.artgalerie-bildershop.de/henri-rousseau-urwald-mit-tiger-und-jaegern-um-1907/bilder-auf-leinwand/a-1088354/
    Bis zum 19.10.2020 gibt es auf arte diesen schönen Film (15 Minuten) über Henri Rousseau zu sehen.
    https://www.arte.tv/de/videos/085471-000-A/paris-der-dschungel-des-henri-rousseau/