Wenn schon Irland, dann auch richtig, haben wir uns gesagt. Also stand nicht nur die Republik Irland auf dem Reiseplan, sondern auch Nordirland. Ich hatte eine große Grenze erwartet – man kennt ja ein bisschen die Geschichte und wenn die Eltern von Geschäftsreisen nach Belfast erzählen, bei denen man sich vor 20 Jahren vorkam wie im Hochsicherheitsstaat, dann hat man ja doch ein gewisses Bild vor Augen.
Aber nichts da! Stundenlang fragte ich Isi, wann denn endlich die Grenze kommen würde, damit wir aussteigen und ein Foto machen könnten vom überdimensionalen Schild „Welcome to Northern Ireland“ oder von den alten Grenzposten oder vom orangehaarigen Grenzbeamten. Unsere Unterkunft für die Nacht sollte ziemlich genau auf der Grenze zwischen „The Republic“ und „The North“ sein, also waren wir nicht sicher, ob wir davor oder dahinter die Grenze passieren würden. Wir fuhren immer weiter auf der gleichen Straße bis in den Ort Belleek rein, über eine Brücke und plötzlich steht da ein 30er-Schild. Ganz seltsam, so eins hatten wir in Irland noch nie gesehen. Es gibt ja eigentlich keine Geschwindigkeitsbegrenzungen außer 50, 80 und 100 und alles was weniger ist, wird nur durch ein „Slow“ auf der Straße angezeigt – oder durch ein „Slower“ wenn die Kurze enger ist als auf den ersten Blick gedacht. Ich sag noch zu Isi „Das ist wohl das erste 30er-Schild, das ich hier sehe“ und sie sagt „Stimmt“ und dann werde ich von einem Auto überholt, was definitv sehr viel schneller als 30 unterwegs war. Und plötzlich trifft es uns wie ein Schlag: 30 Meilen!
Ohne es irgendwie zu erkennen, waren wir in Nordirland angekommen und die Brücke in Belleek führt über den Fluss, der die Grenze markiert. Auf einem Ufer fährt man 50 kmh, auf dem anderen 30 mph. Abends sind wir die Brücke abgelaufen um das Schild zu finden, das wir ganz offensichtlich verpasst hatten, aber nicht mal das war auf Anhieb zu finden. Die haben offenbar viel Zuversicht in ihre Touristen, dass die einfach wissen, in welchem Land sie sich befinden. Wir überfuhren die Grenze noch ein paar Mal in den darauffolgenden Tagen und nur an zwei Orten stand tatsächlich ein Schild, das informierte, dass ab jetzt alle Angaben in Meilen sind. Die konstante Frage an meinen treuen Navigator war also „Wie schnell darf ich denn nu?“ in zunehmend verzweifeltem Ton. Das hätte mir ja grade noch gefehlt, ein Knöllchen wegen Speeding in Irland zu kassieren, wo die Straßen doch so gar nicht zum Schnellfahren einladen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die irischen Polizisten da recht locker sein könnten, wenn man sich als ahnungsloser Tourist zu erkennen gibt.
Ein netter Tankwart…ja, es gibt hier tatsächlich noch Tankwarte, die rauskommen um dir dein Auto zu betanken und endlich konnte ich mal wie im alten Film sagen „Fill ‘im up“…der Tankwart
jedenfalls erkannte uns sofort als solche und erklärte uns, wie es so zugeht bei denen an der Grenze. Die Einwohner sind alles Grenzgänger und fahren mehrmals am Tag über die Grenze. Die alten
Autos haben noch Kilometer- und Meilenangaben auf ihrem Tacho, die neuen aus unerfindlichen Gründen nicht mehr, dann klebt man den Fahranfängern kleine Aufkleber neben die Kilometer, damit sie
die Meilen Die Tankstellen entlang der Grenze haben ihre Spritpreise in Euro und Pfund ausgeschrieben und die Einheimischen haben immer beide Währungen im Geldbeutel.
Auf die Frage, woher man denn wisse, wie schnell man in kmh fahren darf wenn die Schilder in mph sind, sagte der nette Tankwart „Naja, an sich fährst du einfach 80, außer die Schilder sagen was
anderes als 50.“ Man muss sie einfach lieb haben, die Iren.
Erst als wir im Hostel unser Zimmer mit zwei Jungs aus China teilten, wurde uns das Ausmaß dieser nicht ersichtlichen Grenzen klar. Die beiden hatten ein Visum beantragt für das Vereinigte
Königreich und durften somit nach England und nach Nordirland, aber nicht in die Republik Irland. Sie fragten uns, wie die Republik so ist, und wir erzählten und kamen schließlich drauf, dass es
keine Grenzposten gibt. Und unweigerlich fragten wir uns, woher dann die armen Chinesen wissen sollen, wenn sie das Land verlassen, das sie legal bereist haben, und plötzlich als illegaler
Einwanderer gelten, wenn sie erwischt werden. Erwischt beim einfach-weiter-die-Straße-entlang-Fahren. Seltsam irgendwie.
Schon vor Antritt unserer Reise waren wir verwirrt wegen der ganzen Republik- und Nordirland-Sache. Es gibt da einen Ort, der heißt Derry~Londonderry. Ich weiß nicht mal, wie diese Welle dazwischen überhaupt heißt und ob das ein zugelassenes Satzzeichen in der deutschen Sprache ist. So richtig verstehen tu ich das Ganze auch jetzt noch nicht wirklich, aber Derry kommt vom alten irischen Namen Daire und das „London“ im Namen kam dazu, weil die Stadt vor allem von Londoner Handelsgenossenschaften errichtet wurde. Heute ist der offizielle Name immer noch Londonderry, aber umgangssprachlich sagt man Derry. Und wenn man sich in der Geschichte der Stadt ein bisschen auskennt, erkennt man, wer noch immer dafür ist, dass Nordirland ein eigenständiger Staat wird, anhand dessen wie er die Stadt nennt. Alles ein bisschen kompliziert, aber wir haben uns sehr auf Derry gefreut, denn hier sieht man noch die Spuren der Konflikte zwischen Süden und Norden Irlands. Besonders in den 70ern und 80ern gab es große Probleme wegen Unruhen in der Bevölkerung, es wurden Barrikaden errichtet, um einzelne Stadtteile von anderen abzutrennen und das Leben kann nicht wirklich schön gewesen sein zu der Zeit. Hochmilitarisiert waren Teile der Stadt und Bewohner anderer Stadtteile wurden behandelt wie Schwerverbrecher, wenn sie friedlich auf die Straße gingen. Die Stadt war ganz nett, aber das Wetter war so arg britisch, dass wir unsere Abende im Kino oder lesend im Bett verbrachten.
Wirklich gefreut hatte ich mich auch auf Belfast, die Hauptstadt Nordirlands. Wir liefen raus aus dem Zentrum in die Vororte zu den sogenannten Peace Walls, die Friedensmauern, die errichtet wurden, um die politischen Gegner voneinander zu trennen, die Schuld waren am Nordirlandkonflikt. Es wurde dazu erklärt, dass es in Belfast nichts geben würde, das an die Berliner Mauer erinnerte, sondern der aufgestellte Stacheldrahtzaun und die von der Armee patrouillierte Kontrollzone außenrum nur eine Übergangslösung seien. Naja, wir wissen ja alle, wie ernst man so etwas nehmen kann, wenn Leute sagen, dass sie keine Mauer bauen – und so ist zwar die Armee heute nicht mehr am Zaun unterwegs, aber den Zaun selbst gibt es immer noch. Er zieht sich noch heute entlang der Grenze zwischen zwei Stadtteilen, Teile der Mauer sind aus Wellblech, andere aus Stahl oder Backstein, Zäune gibt es und Gitter. An den Straßen, die von einem in den anderen Stadtteil führten, wurden Tore eingesetzt, die nachts geschlossen wurden oder wenn akute Gefahr von Unruhen drohte. Manche wurden auch einfach nicht mehr aufgemacht.
Auch als in den 90ern der Waffenstillstand erklärt wurde und die Unruhen nachließen, wurden weiterhin Peace Walls gebaut bis noch vor ein paar Jahren. Eigentlich sollen die Mauern nach und nach abgetragen werden, aber es gibt eine große Mehrheit in der Bevölkerung, die dagegen ist, und so gibt es immer noch Straßen, die zum Sonnenuntergang zugesperrt werden. Auch wenn die Bewohner sich vielleicht sicherer fühlen durch die Zäune und Mauern – wir fanden es sehr deprimierend, da entlang zu spazieren. Die Wohngebiete sahen teilweise wirklich verwahrlost aus und wirklich schön kann es doch auch nicht sein, zu leben mit einem Park um die Ecke, von dem du immer nur die Baumwipfel siehst, weil der Rest hinter einer riesigen Mauer versteckt ist. Ich persönlich konnte mir jedenfalls sehr gut vorstellen, wie in den Gebieten, durch die wir kamen, Schüsse gefallen sind und Mensch um ihr Leben gebangt haben. Und ehrlich gesagt, waren die Straßenzüge so trostlos, dass man fast denkt, dass es heute noch genau so ist, wenn die Touristen erstmal abgereist sind.
Auch wenn Derry und Belfast beide geschichtlich sehr viel interessanter sind als Galway, für mich als gemütlichen Freizeitreisenden ist der geschichtliche Hintergrund dann wohl doch meist eher zweitrangig, außer man sieht ihn auf den ersten Blick in der Architektur. Wenn Nordirland und Stadt, dann wohl doch am ehesten Carrickfergus, wo die richtig alte Geschichte spürbarer ist als die frischere Vergangenheit.
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Michael aus Fulda (Samstag, 08 September 2018 17:49)
Ich freue mich über jeden Deiner Berichte, weil sie anschaulich und ungeschönt die Reiseeindrücke wiedergeben.
In Kassel habe ich einmal ein Gemälde des lebenden irischen Künstlers Sean Scully, Jahrgang 1945, gesehen, das mich sehr beeindruckt hat.
Zur Person: https://de.wikipedia.org/wiki/Sean_Scully
Werke: z.B. artcritical: http://www.artcritical.com/2007/01/01/sean-scully-wall-of-light/
oder Kerlin Gallery: http://www.kerlingallery.com/artists/sean-scully