Werft Deluxe

Tag Vier der Werft. Nebenan in Nachbar-Dock liegt unsere kleine Schwester aura trocken und wird für ihre Weltreise im Oktober schick gemacht. Wir sind glücklich, denn während bei uns zwei, drei Mal am Tag für zwanzig Minuten das Wasser aus ist oder man mal seine PCs neu starten muss, weil zwischendurch der Strom weg war, hat die aura richtig zu kämpfen.

Trockengelegt
Trockengelegt

Heißwasser gibt es seit Tag Zwei nicht mehr, es wurden Duschcontainer auf der Pier aufgestellt, damit die Crew irgendwo heiß duschen kann. Die Klimaanlage ist auch schon aus und wird bis zum Ausdocken wohl nicht mehr angeschmissen. Die Crew lässt in der Nacht ihre Kabinentüren offen, um wenigstens ein kleines bisschen Luftzug zu generieren. Später wird auf aura-Kabinen eine Temperatur von 39 Grad gemessen. Die aura-Crewbar wird kurz darauf geschlossen, weil man keinem 45 Grad zumuten möchte. Die Crew drängt sich achtern auf dem Crew-Außendeck, wo es bei so vielen Leuten auf so kleinem Raum vermutlich auch nicht wirklich kühler ist. Auf unserer bella beginnt man ob solcher Zustände bei den Nachbarn von „Werft deluxe“ zu sprechen.

 

 

Eine andere unserer Schwestern (inzwischen sind es ja schließlich 13 Geschwisterschiffe) war vor ein paar Monaten noch in Dubai in der Werft. Viele unserer Vertragspartner in der Werft werden flottenweit fürs Make-Over eingesetzt und so waren einige unserer Bauarbeiter vor ein paar Monaten noch in Dubai. Dort haben sie ihr Werkzeug in Container gepackt, die wurden verschifft und sollten dann in Marseille auf die Kontraktoren warten. Bei den meisten der Container hat das auch wie geplant geklappt. Einer jedoch wurde auf einen Frachter gepackt, der hat abgelegt und zwei Tage drauf kollidierte er mit einem anderen Schiff. Die Fracht wurde geborgen, zurück geschickt nach Dubai und neu verschifft. Der Container ist verspätet inzwischen in Marseille angekommen, aber da er nicht mehr Teil einer zusammenhängenden Lieferung ist, hat der Zoll ihn noch nicht freigegeben. Unserer Polsterjungs sehen also das Lager mit ihrem Werkzeug jeden Tag während der Mittagspause von Deck 9 aus und dürfen nicht hin. Heute kommt die Kollegin aus Wismar an, die per Auto losgeschickt wurde, um mehr Werkzeug zu bringen. Wie schön, dass Marseille von Wismar aus auf dem Landweg zu erreichen ist. Nicht so viel Glück haben unsere britischen Teppichleger. Die müssen sich zur Zeit mit 40 Mann an zwei Werkzeugkoffern drängeln.

Heute werden endlich die Fenster aus der Leseecke genommen, nachdem sie schon seit Tagen zum Austausch vorgemerkt sind. Wir müssen umziehen und wandern ans andere Ende des Schiffes ins Restaurant auf Deck 11. Nachdem unser Klo auf Deck 10 inzwischen auch um ein paar Kloschüsseln ärmer ist, ist es ganz praktisch, ein Ausweich-Klo zu haben. Drei Stunden später wissen die Kontraktoren darüber Bescheid, die im Restaurant hinten Böden abschleifen und lungern an den Waschbecken des Damenklos rum, sodass wir uns ein Alternativ-Klo suchen müssen. Die Klo-Suche gestaltet sich langsam richtig schwierig. Damit die Kontraktoren aber mal ruhiggestellt werden, wird heute das Projekt Werft-Video in Angriff genommen und wir machen ein bisschen Blaumann-Aerobic im teppichlosen Restaurant. Interessanterweise bekämpft so ein bisschen Rumgehopse fast besser das Nachmittags-Motivations-Loch als jedes Special an der Kaffeestation. Aber Caramel Chai Latte ist halt einfach so viel leckerer als eine Runde Blaumann-Aerobic…

schön...jetzt regnets auch vor unserem Büro...
schön...jetzt regnets auch vor unserem Büro...

In den Restaurants kommen sehr viel mehr Leute vorbei als in der Leseecke. Besonders eine blonde Frau von Carnival ist immer ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Kontraktoren anzuschreien. Sie kommt und schaut sich alles ganz genau an und wenn etwas nicht passt, ist die Hölle los. In den Restaurants ist es zum Beispiel extrem wichtig, dass die Teppiche gescheit verlegt sind, damit keiner mit vollbeladenen Tellern und Tabletts stolpert und sich verletzt. Besonders genau wird geschaut, weil die zwanzig Kabinen, deren Teppich am ersten Tag der Werft neu verlegt wurde, bei der Abnahme kommentiert wurden mit „Nö. Macht nochmal neu.“ Und seitdem wird den Teppichlegern natürlich ganz besonders kritisch auf die Finger geschaut.
Bei uns schaut man nicht so genau hin. Im Werft-Meeting hat der Chef der Polsterer geäußert, dass wir von sieben Schiffen, die er schon durch eine Werft begleitet hat, das motivierteste und schnellste Polster-Team sind. Im Deck-11-Restaurant warten noch 154 Hochstühle darauf, von uns entpolstert zu werden. Wo wir zu Beginn noch 38 Minuten für einen Stuhl benötigen, haben wir später in 23 Minuten eine gesamte Sitzfläche ausgezogen. Wir sind also viel zu schnell mit Abpolstern, als dass unsere Polsterjungs hinterher kommen, also werden wir zwischendurch ausgeliehen an andere Abteilungen. Üblicherweise ist es das Cover-Team, das Hilfe braucht beim Abkleben von neu verlegten Teppichen oder beim Abziehen von Klebefolie von Treppen, die nun doch neuen Teppich bekommen.
Ich bedauere meine Kabinengenossin Eva, die seit Anfang der Werft zu teilweise unmöglichen Zeiten bei der Security aushilft und dabei immer ganz alleine an irgendwelchen Ladeluken sitzen muss. Abwechseln geht nicht, denn die Einarbeitung und Übergabe passt nicht in den Zeitplan. Aber eigentlich sind die Verantwortlichen wohl einfach zu faul dazu, denn dauernd wird uns gesagt wie gut wir in der Zeit liegen.

die kleine Schwester auf dem Weg ins Trockendock
die kleine Schwester auf dem Weg ins Trockendock

Die Schrecknachricht erreicht uns um 18 Uhr: für drei Tage wird das heiße Wasser abgestellt. Wer bis 22 Uhr noch duscht, hat nichts zu befürchten, danach wird man sehen. Um kurz vor Mitternacht feiern wir jeden Kollegen, der in die Crewbar kommt und ruft „Hab grade heiß geduscht!“ Ganz so schnell geht es wohl doch nicht, dass so ein Heißwasserrohr leer ist, aber weil der Druck schon nachgelassen hat, kann nachts schon an den Rohren gearbeitet werden. Um vier Minuten nach Zwei werde ich wach, weil in den Rohren gehämmert wird. Nach mehreren Tagen Werft bin ich so geschafft, dass irgendwann sogar das dröhnende Hämmern einschläfernd wirkt. Kurz nach dem Wegnicken lässt der Hämmerer den Hammer auf den Rohrboden fallen, es klappert und rumpelt und jemand flucht laut. Das war es dann wohl mit der Nacht. Langsam vermisse ich meinen Mittagsschlaf.

erfolreiches Fernseh-Tetris
erfolreiches Fernseh-Tetris

Tag Fünf der Werft. Die neuen Fernseher werden am Morgen aufs Pooldeck geliefert. Ein riesiger Container, vollgestopft bis obenhin mit schicken Monitoren wartet schon darauf, von uns entpackt zu werden. Zu sechst werden wir losgeschickt, zwei Passagierkabinen bis zum Anschlag mit Fernsehern voll zu stellen, damit sie erstmal aus dem Weg sind und das Pooldeck wieder freigegeben werden kann. Scout-Kollegin Jana und ich schlagen auf Deck 7 dank Janas Tetris-Talent die Kollegen von Deck 4 und schaffen es, vier Palletten á 80 Fernseher in unserer Kabine zu verstauen. Eine Stunde später werden wir wieder aufs Pooldeck gerufen: der nächste Fernseh-Container ist da. Wir befüllen dieselbe Kabine wie vorher, denn in der Zwischenzeit war das Logistiker-Team schon da und hat alle Fernseher auf die jeweils richtigen Kabinen verteilt. Die alten Fernsehbildschirme stapeln sich unterdessen auf der Pooldeck-Bühne – mit zerstochenen Displays, damit ja keiner auf die Idee kommt, sie zu verscherbeln und Geld damit zu machen. Schade, hätte man ja schön an ein Kinder- oder Asylantenheim spenden können…

Plastikteller kann man nicht einfach so stapeln, sonst nimmt jeder ausversehen dutzende; also müssen die Küchen-Kollegen kreativ werden
Plastikteller kann man nicht einfach so stapeln, sonst nimmt jeder ausversehen dutzende; also müssen die Küchen-Kollegen kreativ werden

Die Cheffes loben uns, denn wir sind trotz Fernseher-Hilfe immer noch zu schnell für unsere Kontraktoren und das ganze Schiff ist sehr gut in der Zeit. Schwesterchen aura nebenan sind am Tag Drei ihrer Werftzeit bereits einen Tag hinter dem Plan. Kein Wunder, wenn keiner da entspannt schlafen oder duschen kann, muss die Motivation ja drunter leiden. Wer auf der bella zum Essen kommt, wird lautstark aus allen Ecken begrüßt mit „Und? Noch heißes Wasser da?“ Die letzten Reste heißes Wasser werden erst gegen Abend aus den Rohren kommen.
Ohne heißes Wasser gibt es auch keinen Dampf und somit können unsere Spülmaschinen nicht mehr arbeiten. Zum Essen gibt es nur noch Plastikteller und alle paar Minuten schreit jemand, weil seine Plastikschüssel unter der Last von heißer Suppe nachgegeben hat. An den Getränkehähnen staut es sich, weil keiner einsieht, für 0,1 Liter Wasser extra aufzustehen und so gleich so viele Pappbecher befüllt, wie er tragen kann.

mein Arbeitsplatz
mein Arbeitsplatz

Während das Wasser langsam auskühlt, erhitzen sich die Gemüter umso schneller. Es gibt vermehrt Durchsagen, die darüber informieren, dass Flipflops nicht als geeignete Werft-Schuhe gelten und dass es kein Witz war, dass die Aufzüge für schwere Transporte freigegeben werden sollen. Wir tragen vorbildlich unsere Stühle zu Fuß über das halbe Schiff und steile Treppen rauf und runter und klagen über blaue Flecken auf Schultern und Hüften.
Kurz vor Mittag wird vom ersten Shouting Match berichtet, bei dem die kleinste und süßeste unserer Kolleginnen einen Italiener zur Schnecke machte, weil er telefonierend und nichts außer seinem Helm tragend im Aufzug stand. Der Respekt vor kleinen süßen Bauarbeiterinnen steigt gewaltig während der nächsten Tage und wir merken, dass uns einige der Bauarbeiter aus dem Weg gehen. Leider nicht die, die uns die Aufzüge wegnehmen, wenn wir mit einer Palette Fernseher unterwegs sind. Am Nachmittag wird das große Gästetreppenhaus im hinteren Teil des Schiffes gesperrt, während man auf Deck 6 nicht mehr von vorn nach hinten durchlaufen kann. Das große Gerenne und Weg-durch-den-Crewbereich-Gesuche geht los. Erschwert wird alles dadurch, da jetzt nur noch zwei der fünf Crew-Aufzüge am Strom sind.
Damit alle wieder ein bisschen mehr Spaß bei der Arbeit haben, wird am Abend ein Mörder-Spiel unter der Crew ins Leben gerufen. Etwa 29 Kollegen spielen mit – bis zum nächsten Morgen sind 23 von ihnen tot. Die anderen sechs spielen noch zwei einhalb Tage weiter, ohne dass einer stirbt. Die Idee eines schiffsweiten Mörder-Spiels wird schnell verworfen.

Treppenhaus - heute wegen Einsturzgefahr geschlossen
Treppenhaus - heute wegen Einsturzgefahr geschlossen

Tag Sechs der Werft. Das Wasser wird abgestellt. Ohne Vorwarnung. Pünktlich zur 10-Uhr-Kaffeepause kommt die Durchsage, dass es ab sofort und „until further notice“ kein Wasser mehr in den Toiletten und Wasserhähnen an Bord gibt. Wir feiern unsere Vakuum-Toiletten, die das kleine Geschäft einfach einsaugen. Einige der Kontraktoren sehen die Einschränkung nicht ein. Sie pinkeln von der Gangway ins Trockendock. Irgendjemand möchte nicht so lang auf sein großes Geschäft zu verrichten und findet, dass der Aufzugschacht ein schönes stilles Örtchen abgibt. Die „further notice“ wird nie gegeben. Nach etwa vier Stunden ohne Wasser spricht sich rum, dass die Leitungen wieder voll sind und das Housekeeping endlich sauber machen kann. Erstaunlich, wie schnell so ein Schiff zu stinken anfangen kann. Wir nehmen für den Rest des Tages alle die 126 Stufen zur eigenen Kabine und zurück nach oben in Kauf, wenn die Blase drückt.

und das soll in fünf Tagen ein neues Restaurant sein?
und das soll in fünf Tagen ein neues Restaurant sein?

Neue Kontraktoren kommen an Bord für die Arbeiten, die erst jetzt durchgeführt werden können. Die Rezeption hat alle Hände voll zu tun, denn einige der alten Kontraktoren haben bei ihrer Arbeit gesehen, dass es schönere Kabinen gibt als ihre eigenen und sind kurzerhand umgezogen auf die Kabinen, die für die neuen gedacht waren, die jetzt reihenweise die Rezeptionisten beschimpfen.
Die alten Kontraktoren werden langsam unkonzentriert. Die Teppichjungs kamen mit neuem Teppich auf eine Gästekabine, haben dann beschlossen, doch besser erst die Möbel aus dem Weg zu räumen. Erst eine halbe Stunde später merken sie, dass für die neue Teppichrolle der frisch gestrichene Balkon vielleicht nicht der ideale Aufbewahrungsort war. Zeitgleich werden in anderen Teilen des Schiffs die Fliesen zum dritten Mal neu verlegt, weil sich jedes Mal während der Trocken-Zeit jemand über das „Nicht betreten!“-Schild hinwegsetzt und Fliesen verrutschen.

Kaffeepause im Bugstrahler
Kaffeepause im Bugstrahler

Tag Sieben der Werft. Das Polster-Team beantragt eine verlängerte Mittagsschlaf-Pause, nachdem die Hälfte der Truppe ab Viertel nach Zwei vom Gehämmer an der Außenhaut wachgehalten wurde. Der Antrag wird abgelehnt. Wir entpolstern weiter. Unsere Durchschnittszeit, die wir für ein Möbelstück benötigen, sinkt im Laufe des Tages drastisch. Unser letztes zuverlässig funktionierendes Klo im Spa-Bereich wird vom Wasser genommen. Wir sind verzweifelt. Wer nicht unbedingt muss, geht während des Tages nicht auf Deck 2 zu seiner Kabine. Irgendwie werden die Stahlkappenschuhe immer schwerer.

 

Tag Acht der Werft. Ich übernehme die Frühschicht der Maschinen-Security. Zusammen mit Kollegin Lea sitze ich ab 6 Uhr in der Früh vor dem Maschinenraum und tausche Bordkarten gegen Zugangskarten, damit die Maschinenaufsicht weiß, wer sich wann im Sicherheitsbereich aufhält. Die netten Kollegen von der Maschine, liebevoll von allen „Kellerkinder“ genannt, versorgen uns mit Schokocrossaints und Tee. Damit wir nicht einschlafen, spielen wir Stadt, Land, Fluss. Flüsse sind morgens um Sechs gar nicht so einfach, das kann ich euch sagen.

da sind wir ganz hoch geradelt - Notre-Dame-de-la-Garde in Marseille
da sind wir ganz hoch geradelt - Notre-Dame-de-la-Garde in Marseille

Wir sind immer noch zu schnell für unsere Polsterjungs, also haben die Chefs organisiert, dass wir mit dem ganzen Team am Nachmittag auf Ausflug gehen. Für den nächsten Anlauf mit Gästen in Marseille soll es eine Radtour geben, die noch erkundet werden muss, also schließen wir uns an und düsen im Turbo-Antrieb mit den E-Bikes bis zur Kirche auf dem Berg. Vier Stunden Frischluft tut wahre Wunder, wenn man tagelang im mittlerweile ganz schön stickigen Schiff rumhängt.
Abends können wir auch raus, denn außer dem Logistiker- und dem Security-Team hat normalerweise keiner der Crew Nachtschichten. Mir fehlen die Kollegen aus anderen Teams, besonders die TVler mag ich gerne und es ist Balsam für die Seele, abends mal ein paar Stunden jemand anderen zu sehen als das Polster-Team.

die Horror-Nachricht an der Kaffeestation
die Horror-Nachricht an der Kaffeestation

Tag Neun der Werft. Das Wasser ist schon wieder unangekündigt weg. Um kurz vor Neun geht nichts mehr. Es sind nicht mehr nur die Wasserhähne betroffen, es geht gar nichts mehr. Heißt zum Beispiel, dass die Sprinkler nicht mehr tun, also gibt es zusätzliche Feuerwehr an allen Stationen im Schiff, an denen Schweißarbeiten durchgeführt werden. Zum Essen sind die Wasserspender außer Betrieb. Auch Softdrinks und Säfte gibt es keine, denn die kommen ja aus Konzentrat und werden erst mit Wasser zu dem, was wir trinken können. Die Küche kann keine Nudeln und kein Reis kochen. Kartoffeln wurden auf Verdacht vorgekocht, aber es gibt keine Soßen. Es gibt auch keine Suppe. Dem Werftkiosk werden fast die Türen eingerannt, um an Getränke in Flaschen zu kommen. Das ganze Ausmaß der Wasserknappheit wird uns erst bei der 10-Uhr-Kaffeepause bewusst: ohne Wasser kann kein Kaffee gebrüht werden. Der Aufstand auf dem Pooldeck lässt uns eine Meuterei fürchten.

denn Papa hat immer gesagt "gutes Werkzeug lässt man nicht unbeaufsichtigt liegen"
denn Papa hat immer gesagt "gutes Werkzeug lässt man nicht unbeaufsichtigt liegen"

Unsere Arbeit im Polsterteam ist beendet. Einen halben Tag bleiben die Polsterjungs noch an Bord, dann haben sie alles ersetzt, was ersetzt werden musste. Als Dankeschön für unsere Arbeit dürfen wir die Beutel behalten, die sie uns mal eben aus den Resten der Theatrium-Bänke genäht haben um unsere Tackernadeln aufzufangen. Meine hat den Ehrenplatz in meinem Schrank übernommen und ist nun Auffangstation für verwaiste Schokolade, die ein Zuhause bei mir sucht.

 

 

Tag Zehn der Werft. Das Wasser ist wieder da. Für heute ist der Black-Out-Test angekündigt. Alle Handys sind aufgeladen, alle portablen Lautsprecher auch. Wer heute keine Steckdose braucht, ist definitiv im Vorteil. Um für den Stromausfall gewappnet zu sein, gibt es zusätzliche Security an den Gangways, weil Karten nicht mehr elektronisch gescannt werden können, und zusätzliche Feuerwehr, die Patrouille läuft. Ohne Strom gehen zwar noch die Rauchmelder, aber nicht mehr alle Anlagen, die Alarm schlagen können. Der Stromausfall kommt um 15:03 Uhr. Alle sind sehr aufgeregt, wie es ist, abends dann im Dunkeln über unsere Hauptstraße im Crewbereich zu laufen, die kein Tageslicht abbekommt und nur mit Notbeleuchtung erhellt wird. Ich freue mich über mein Bullauge, denn das Trockendock ist auch nachts beleuchtet. Wie aufregend, mit der Handytaschenlampe ins Bad zu müssen. Denken wir. Um 15:06 Uhr ist der Strom wieder da.

Putzarbeiten im FKK-Bereich sind auch ganz nett, wenn nebenher die Sonne so schön untergeht
Putzarbeiten im FKK-Bereich sind auch ganz nett, wenn nebenher die Sonne so schön untergeht

Am Abend helfen wir, die neue Ware für den Shop zu sichten und mit Preisen auszuzeichnen. Der ganze Kabinengang liegt voll mit Jacken und Hosen und Bikinis und Badelatschen. In der Lagerkabine nebenan wird man fast erschlagen vom geballten Duft von kistenweise Parfümflaschen. Nebenher werden auf dem gesamten Schiff die Abdeckfolien entfernt. Wir putzen die Bars und befreien die Deckenlautsprecher von ihren Schutzhüllen. Auf dem Pooldeck sind die Kontraktoren fast fertig mit dem Abschleifen des Bodens. Erschreckend, wenn man sich anschaut, wie gelb der Boden mal war und was 10 Jahre Wind und Wetter und barfüßige Poolgänger daraus machen.

weil es anders keiner versteht
weil es anders keiner versteht

Unsere neue Chefin Kira ist zu Beginn der Werft aufgestiegen. Ich kenn sie schon als Scout von der luna und mag sie super gerne, aber damit es ihr ein bisschen leichter fällt, das Team kennenzulernen, bevor der Stress der nächsten Trans-Reise losgeht, hat Chefchef Claudi ohne unser Wissen etwas für Kiras Geburtstag organisiert. Nach Feierabend treffen wir uns auf der Pier und lassen uns vom Shuttlebus in die Stadt bringen, den der Schiffsrat kostenlos zur Verfügung stellt. Die Fahrt dauert von der Werft bis ins Zentrum 25 Minuten, denn die sechs Kilometer ziehen sich gewaltig, vor allem, wenn Verkehr ist. Im Alten Hafen angekommen laufen wir los. Und wir laufen. Und laufen. Nach über einer halben Stunde sind wir einem richtig ranzigen Viertel irgendwo am Hügel. Uns fällt ein schäbiger Souvenir-Laden auf, der nur aus einem Schaufenster besteht und Andenken ausstellt, die aussehen wie von vor 40 Jahren. Wir laufen weiter. Claudi zeigt uns auf ihrem Handy den Stadtplan und das GPS sagt, dass genau da unsere vorreservierte Bar ist, wo der schäbige Souvenir-Laden ist. Claudi grinst und gibt uns einen Zahlencode. Wir geben ihn in das elektronische Zahlenschloss am Schaufenster ein, das Schaufenster klickt auf und wir gehen hinein. Wir öffnen die Tür des uralten Wandschranks im Schaufenster und laufen in den engen dunklen Gang, der sich uns eröffnet. Hinten angekommen: eine gemütliche dunkle Bar ganz in Schwarz mit Barkeepern im 20er-Jahre-Outfit, sündhaft teuren Cocktails und dem Flair eines geheimen Männerclubs in New York City.
Die Überraschung ist Claudi definitiv gelungen, wir sind extrem angetan und können unsgar nicht entscheiden, welchen sündhaft teuren Cocktail wir als nächsten wollen. Aber wenn man schon in der Werft ist und immer erst Feierabend hat, wenn alle Geschäfte zu haben, darf man auch mal ein bisschen tiefer in den Geldbeutel greifen. Zurück fahren wir im Taxi. Der Weg zurück ist länger als hin weil wir so weit gelaufen sind. Für die Strecke von acht Kilometern braucht unser Taxi sechseinhalb Minuten. Die spinnen, die französischen Taxifahrer.

Ausblick auf die bella vom Pooldeck der aura
Ausblick auf die bella vom Pooldeck der aura

Tag Elf der Werft. Während unserer letzten Maschinenraum-Aufsicht basteln wir Girlanden aus Lederresten, die unsere Polsterjungs uns dagelassen haben. Auf der weißen Lederbank im schicken Rossini-Restaurant wird ein großer grauer Schuhabdruck gefunden. Wir sind sauer: keine 48 Stunden vorher wurde das Polster erneuert. Die letzten Schreiereien werden zwischen Kontraktoren und Crew ausgetragen, die letzte 10-Uhr-Kaffeepause wird besonders zelebriert. Die letzten Abdeckfolien werden entfernt und zum Vorschein kommen flauschige wolkengleiche neue Teppiche, blitzblanke neue Fliesen, strahlende Küchen, edle neue Lederpolster, und dazu eine nigelnagelneue Eisdiele, wo früher der Blumenladen war, ein heller neuer Shop mit Duty-Free-Flair, ein neues Restaurant im Skihütten-Stil und ganz viel neues Equipment, was Nicht-Nautiker wie wir nie zu Gesicht bekommen werden.

Ciao Bella!
Ciao Bella!

Wir helfen den Großteil des Tages beim Mülleinsammeln und Abziehen der Klebefolien. Ab Nachmittags geht’s in den Shop, die beiden männlichen Scout-Kollegen bringen mir stapelweise neue Bücher und ich mache mich dran, die Buchabteilung des neuen Shops zu gestalten. Danach ist die Textilabteilung dran und ich falte Klamotten so lange kleiner, dass alles in die Auslagen passt, während nebenan die Parfümflaschen nach Männlein und Weiblein sortiert werden.
Weil es sich so gehört bei einem erfolgreichen Schiffs-Makeover dürfen wir am frühen Abend mit der gesamten Crew ins Trockendock steigen. Eine enge Stiege geht es runter und dann stehen wir plötzlich vor dem frisch gelippenstifteten Kussmund zwischen tonnenschweren Ankerketten und neben dem meterhohen Anker. Für die meisten von uns ist das erste und vermutlich einzige Mal, dass wir den Bugwulst (diesen großen roten Bobbel unter unserem Bug, der die Bugwelle reduziert) anfassen dürfen.

Wasser Marsch!
Wasser Marsch!

Später wird das Trockendock wieder geflutet, langsam ploppen überall um uns herum die Holzklötze an die Wasseroberfläche, die uns anderthalb Wochen lang aufrecht im Dock gehalten haben. Es fehlt etwas, als wir aus Marseille auslaufen, aber keine Auslaufmusik läuft.
Als Dankeschön für unsere gute und schnelle Arbeit haben sich Schiffsrat und Entertainment-Bereich etwas schönes für uns überlegt: es gibt eine Crew-Party auf dem frisch hergerichteten Pooldeck, denn zum ersten Mal in der AIDA-Geschichte hat ein Schiff Geburtstag während keine Gäste an Bord sind. Es ist auch noch der 10. Jahrestag unserer bella und das wird mit Freibier ordentlich begossen und das Show Ensemble zeigt eine richtig tolle Show mit Musik, die ich auf der allerersten Kassette hatte, die meine Eltern mir von ihren Schallplatten überspielt haben.
Nach elf Tagen im Trockendock sind wir verspannt und mit blauen Flecken übersät, aber irgendwie auch ein bisschen stolz, was wir alle zusammen geleistet haben. Egal, wie anstrengend es auch zwischendurch war, ein bisschen enger sind wir in unserer kleinen bella-Familie zusammengewachsen und als wir am nächsten Morgen in Mallorca festmachen, können wir uns schon fast wieder auf die Gäste freuen.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    michael (Samstag, 05 Mai 2018 19:28)

    Meine Hochachtung vor diesem großen Arbeitseinsatz unter so schwierigen Bedingungen und dem Engagement, das selbst bei widrigen Umständen nicht nachgelassen hat. Die ausgetauschten Fernseher sollte man nicht an Kinder- oder Asylantenheime spenden sondern an Hotelketten oder an bedürftige Rentnerinnen und Rentner verkaufen. Kinder sollten besser spielen und Asylanten sollten die neue Sprache lernen.