Nach der unglaublich unnormal ruhigen Atlantik-Überquerung ist es mir an den ersten Tagen mit Seegang tatsächlich etwas schlecht gegangen. Man gewöhnt sich eben schnell an ruhige See. Genau so schnell gewöhnt man sich aber auch wieder an raue See; jedenfalls versuche ich mir das immer einzureden.
Große Schwierigkeiten mit Übelkeit hatte ich seit meinem Aufstieg auf die Prima letztes Jahr nicht wirklich. Mir gehen die Wellen mehr in den Kopf als in den Bauch und dann fühle ich mich einfach matschig und verkatert. Ich hatte tatsächlich sehr viel Glück bei meinen Reisen und bisher keine richtig üblen Überfahrten, aber unsere Gäste sehen das manchmal ein bisschen anders. Wenns da mal ein bisschen ruckelt und schuckelt werden sofort die Spucktüten aufgehängt in allen Treppenhäusern, an der Rezi und allen öffentlichen Plätzen. Manchmal reicht es nicht ganz bis zur Tüte, deswegen geht das Housekeeping Kontrollgänge durch alle Kabinengänge auf allen Decks und hat auch immer ordentlich was zu schrubben und zu tun. Selbst wenn alle ihr Frühstück bei sich behalten, gibt es für die immer was zu tun. Von „Meiner Frau ist die Parfümflasche aus dem Regal gefallen, es stinkt wie die Hölle und alles ist voller Scherben“ bis „Mein Mann ist aus dem Bett gerollt und kommt nicht mehr alleine hoch“ hören die da alles an so einem welligen Tag.
Für uns heißt Seegang vor allem recht entspannte Schalter, weil keiner im Schiff unterwegs ist, wenn er sich schlecht fühlt. Unsere Präsentationen halten wir vor sehr minimiertem Publikum, das starr in die Gegend stiert und sich nicht traut, den Mund zum Lachen aufzumachen – nur für den Fall. Unsere Rezeption bekommt auch viel zu hören. Wann es denn abzusehen sei, dass es wieder besser wird? Ob man nicht auch das zweite Paar Stabilisatoren ausfahren könne? (Das gibt es übrigens nicht…sind nur zwei.) Wie es denn sein kann, dass die Gäste nicht vorher informiert wurden, dass es auf der Überfahrt nach Island so doll wackelt. Und die lustigste Anfrage, die ich mitbekommen habe: „Können Sie den Kapitän fragen, ob er für zwei Minuten die Stabilisatoren einfahren kann, damit wir mal spüren können, wie viel die wirklich bringen?“ Hat die Brücke strikt abgelehnt. Komisch…
Unser Käptn ist cool. Der ist sehr fix im Ausfahren der Stabilisatoren, sodass er schon möglichst von Beginn des Seegangs an das Gröbste an Wellen rausnimmt. Heute hatte er ein persönliches
Gespräch mit Gästen vor meinem Schalter und hat zum Abschied nur gesagt „Sie müssen die positiven Dinge am Seegang sehen: man trifft tolle neue Leute im Hospital, die genauso denken wie man
selbst. Und vor allem gibt es keine langen Schlangen im Restaurant.“
Der ist richtig lustig. Wir müssen uns vor unseren Präsentationen um zehn immer die Beine in den Bauch stehen, weil der Käptn eigentlich um zehn vor zehn dran ist, aber manchmal nach einer
Viertelstunde immer noch nicht fertig ist, weil er so gerne und ausführlich erzählt, was da grade auf der Brücke so los ist.
Richtig schlimmen Seegang gibt es schon auch ab und an mal. Dann ist auch wirklich die Hölle los, wie ich das so von anderen Schiffen mitbekommen hab. Auf der Prima ging die Post ab in der Woche nachdem ich mich in den Urlaub verabschiedet hatte (puh…nochmal Glück gehabt), wo sie die 10-Meter-Wellen-Marke geknackt haben. Da ging einiges zu Bruch, Stühle flogen plötzlich durch die Gegend, die Pools schwappten über und überall kippten Menschen aus den Latschen. Das schlimme ist, dass es ganz schnell gehen kann. Erst wackelt es ein kleines bisschen, niemand denkt sich was böses und plötzlich kommt ein riesiger Querschläger und nichts und niemand kann sich auf den Beinen halten. Es gibt ganz nette Videos im Internet, wer mal youtuben mag nach „Seegang AIDA“ findet u.a. ein Video von der AIDAsol im Orkan. Das ist richtig krass, wenn da die Wellen bis an die Scheiben von Deck 10 klatschen ohne Vorwarnung.
So krass ist es hier wie gesagt nicht. Wir hatten Wind von 40 Stundenkilometern und Wellen im Bereich von fünf bis sieben Metern. Der Großteil der Crew ist da noch recht fit (oder jedenfalls
ähnlich fit wie nach einer durchzechten Nacht in der Crewbar). Ein bisschen was ist auch auf unserer Überfahrt von Kirkwall nach Island kaputt gegangen, besonders an den Bars mussten ein paar
Gläser ihr Leben lassen, aber das kann so ein Schiff schon verkraften. Ohne Stabilisatoren sähe das jetzt sicher anders aus im Theatrium und in den Restaurants. Die Außenbereiche wurden natürlich
trotzdem im Laufe des Tages alle nach und nach gesperrt, erst für die Gäste, dann auch für die Crew. Lustigerweise konnte man auf Deck 5 noch recht lang raus, an der Backbordseite hingen Schilder
an der Tür mit „Achtung starker Wind“ und steuerbords war schon „Achtung Sturm“. Unsere Gäste verstehen das dann manchmal falsch und rennen in ihren losen Birkenstocks und mit offener Jacke und
dünnem Schal um den Hals drapiert mal eben raus – die haben so schnell wieder kehrtgemacht, da knallten die Türen, das war lustig.
Wenn man bei uns steuerbord im Office saß, schreckte man zwischendurch mal hoch, weil es am Nachmittag dann die eine oder andere Welle gab, die das gesamte Außendeck überflutet hat. Aber Berichte
von über-Bord-Gegangenen gab es (noch) keine.
Letzte Reise hatten wir kaum Seegang auf unserer Tour. Nicht mal an den zwei aufeinander folgenden Seetagen vor Spitzbergen, wo wir es erwartet hätten, weil für 600km Richtung Westen und halb so
viel Richtung Osten keine Landmasse irgendwas von der Gewalt des Meeres auffängt. Die Schocknachricht kam dann am Seetag nach Spitzbergen. Dort waren wir, falls ihr euch erinnert, in strahlendem
Sonnenschein und fast wolkenlosem Himmel ausgelaufen und in ein extrem ruhiges Polarmeer gestochen. Auch am Abend keine Welle zu spüren und nicht mal die blöden Rollbewegungen, die einen so
zerknautscht im Hirn machen.
Und am nächsten Morgen schaltet der Käptn eine Durchsage auf alle Gästekabinen. Das macht er sonst nie – soll ja noch Leute geben, die nicht um Punkt acht die Rezi belagern, sondern im Urlaub
ausschlafen wollen. Aber an diesem Morgen wars dann eben doch was wichtigeres. Der Käptn lud ein zur Info-Stunde ins Theatrium.
Und er hat geredet und geredet, über eine halbe Stunde lang. Morgens um halb zwei hatte der wachhabende Offizier den Käptn rausgeklingelt: „Eis vorm Bug!“ Klingt harmlos (wir sind schließlich im Polarmeer), ist es aber nicht. Die luna hat keine Eisbrecherfunktion und so kann ein Stück Eis im Meer ganz schön böse für uns sein. Glücklicherweise ist es ja hell über Nacht und so konnte das Eis klar identifiziert werden. Spontane Kursänderung nach Backbord um das Eis steuerbords liegen zu lassen. Sobald die Schneeschmelze auf Spitzbergen einsetzt, passiert das schon mal, dass sich da was löst und abdriftet. Keine große Sache, dachten sich die Nautiker oben auf Deck 12. Das Eis blieb in Sicht, die Wachgänger wurden aufgestockt mit einem Matrosen extra. Trotz Beibehaltung des Kurses schien das Eis steuerbords näher zu kommen. Erst morgens um kurz vor sechs war die Satellitenverbindung wieder da und endlich funktionierte auch der Download der aktuellen Eiskarte, die Norwegen noch in der Nacht veröffentlicht hatte. Schock: es ist kein freies Eisfeld – es ist eine mit dem Landeis verbundene Eiszunge.
Heißt im Klartext: Kurs wenden, fast komplett zurück bis Spitzbergen und die Eiszunge weiträumig umfahren. Der Ausguck wurde abermals verstärkt und so standen die morgens vor sieben schon zu zehnt auf der Brücke rum mit Offizieren, Kapitän, Matrosen und einer Menge Kaffee, damit die Augen offen blieben. Einer hat Fotos gemacht, damit man auch beweisen kann, wieso man jetzt mitten in der Nacht den Kurs wechseln musste und am Vormittag eine halbe Stunde lang erzählen kann, was nachts so abging da oben. So eine Stille und dann so einen Applaus hab ich nie erlebt in einem mit 2.300 Gästen besetzten Theatrium, wie als der Kapitän sagte, dass kein Zeitplan und kein Ausflug der Welt so wichtig ist, dass er die Sicherheit seines Schiffes und seiner Besatzung aufs Spiel setzt.
Es muss also kein Eisberg sein, der plötzlich auftaucht in stürmischer See mit schlechter Sicht. Es kann auch einfach plötzlich weiß sein am Horizont und da braucht es nur einen inkompetenten Wachoffizier in der Nachtwache, der es nicht für nötig hält, den Kapitän zu informieren. In solchen Momenten fällt uns auf diesem komfortablen Schiff mit Schreibtischen, Fernsehern und weichen Matratzen plötzlich wieder ein, dass wir eigentlich nur ein Spielzeug der Naturgewalten sind und dann lernt man wieder neu schätzen, was die Kollegen auf der Brücke eigentlich leisten, um uns alle am Ende eines Einsatzes wieder heil an Land zu bringen.
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Sonja Widmaier (Freitag, 16 Juni 2017 06:59)
Hohe Wellen und Eisberge aus dem nichts.... Spannend wie ein Krimi!