So nördlich wie nie

Normalerweise hat es mich ja eher in den Süden und ins Warme gezogen, wenn ich für länger von zu Hause abgehauen bin. Dann bin ich meist irgendwann heim gekommen und musste mich erstmal an die Kälte gewöhnen. Nach der Karibik geht es jetzt ja mehr in den Norden, und zwar bis ganz nach oben, dass es fast nicht mehr nördlicher geht.

Nusfjord, Lofoten
Nusfjord, Lofoten

Island ist ja von uns aus schon relativ weit im Norden, wenn man es so mit Großbritannien vergleicht. Aber es geht natürlich noch weiter hoch. Norwegen ist so viel weiter nördlich, nur denkt man da irgendwie nie dran. Nur etwa ein Drittel von Norwegen ist südlicher als Island. Verrückt! Selbst unser südlichster norwegischer Hafen Bergen ist eigentlich schon recht weit im Norden, wenn man drüber nachdenkt. Aber so richtig nördlich fühlt man sich eigentlich erst auf den Lofoten, das ist die vorgelagerte Inselkette vor der Westküste. Da ist es richtig schön idyllisch. Die Strände sehen aus wie in der Karibik, nur ist es eben eeetwas kälter und man würde schreien, wenn man die Beine ins Wasser baumeln will. Es gibt viel mehr Schafe als Menschen auf den Lofoten und sogar Highland-Kühe, weil die das Klima so gut abkönnen und deshalb schon von den Wikingern mitgebracht wurden. Heute sind sie nur noch zur Belustigung der Touristen da, wie sie da so rumchillen auf den supergrünen Wiesen und nix sehen wegen der schicken Frisur.

Stockfisch soweit das Auge reicht
Stockfisch soweit das Auge reicht

Die Lofoten sind bekannt für Fisch. Und Fisch. Und noch mehr Fisch. Besonders getrockneter Fisch. Da werden Barsche und Kabeljau gefischt, von den Kuttern an Land gebracht und dort dann ausgenommen und geköpft und dann werden sie aufgehängt auf riesige Holzgestelle, die überall in der Landschaft rumstehen. Stinken tut das nicht sonderlich, weil wenn die Fische aufgehängt werden, ist es noch recht frisch draußen und aus irgendeinem Grund geht da auch niemand dran. Erst kommt da ein Netz drüber gegen die Möwen, das wird dann abgenommen, sobald die Fische einigermaßen durchgetrocknet sind und dann stehen die da halt so offen rum. Die Köpfe werden auch getrocknet, die werden vor allem nach Afrika exportiert und dort zu billigem Fischmehl verarbeitet. Die Fische bleiben in Norwegen (aber vor allem für die Touris) oder werden nach Spanien und Portugal geschickt. Die lieben den Stockfisch, aber nicht zum so knabbern, sondern der wird dann tagelang eingeweicht, bis er wieder ganz zart ist und dann gebraten. Wuääh.

Karibik. Fast.
Karibik. Fast.

Auf den Lofoten hängen also überall Fische rum, aber ganz eklig sind eigentlich die Köpfe, so durch die Augenhöhlen aufgezogen auf Schnüre, nicht so cool. Und wenn der Bus dann mal hält für einen close-up Fotostopp riecht es dann plötzlich doch ein bisschen. Landluft á la Norwegen eben.
Dafür sehen die Fischerdörfchen einfach alle aus wie von einer Postkarte ausgeschnitten und hingeklebt. So perfekt, dass man nicht glaubt, dass da wirklich noch Menschen leben, die ihre Häuser auf aufgetürmten Steinen und Holzpfosten bauen und keine Haustür haben, sondern eine Falltür, aus der man direkt unters Bootshaus in seinen Kutter fällt. Ich stelle mir vor, dass die da ein Gestell drauf haben, das die gelben Ölsachen schon offen hält, dass man nur mit den Beinen voran reinhüpfen muss und von selbst angezogen wird. Wie bei Wallace und Gromit in den animierten Filmen, wo sein Wecker ihn automatisch anzieht.

alte Minenüberbleibsel in Spitzbergen
alte Minenüberbleibsel in Spitzbergen

Noch weiter in den Norden fährt unsere luna auch, bis ganz rauf nach Spitzbergen. Das ist so ein Fleckchen Land, was keiner so richtig auf seiner Karte im Kopf hat. Wenn man ein Bild unserer Position nach Hause schickt, gibt es daher immer noch einige, die überrascht sind, wenn ich sage, dass es kalt ist. Da hört man dann ein „Oh, bist du nicht mehr auf deiner Karibikroute?“ Nein, liebe Leute, Spitzbergen ist keine Insel in der Karibik. Spitzbergen ist eigentlich 400 Inseln im Nordmeer. Spitzbergen besteht praktisch nur aus Eis. Unter dem Eis ist Permafrostboden, der ist so kalt und hart, dass es verboten ist, auf Spitzbergen zu sterben. Ehrlich wahr – es können einfach keine Gräber gegraben werden und Leichname würden einfach konserviert, statt zu verwesen. Aber das ist okay. Es gibt auch keine alten Menschen auf Spitzbergen, denn es gibt kein Sozialsystem und somit keinerlei Unterstützung für jemanden, der nicht mehr arbeiten kann. Geboren werden darf man auch nicht auf Spitzbergen. Auch ehrlich wahr. Es ist verboten, Kinder auf die Welt zu bringen. Man muss spätestens drei Wochen vor dem Geburtstermin aufs Festland fliegen zum Entbinden, denn das Spitzbergener Krankenhaus kann bei Komplikationen nicht mehr helfen. Seit 1920 sind ganze 10 Menschen in Spitzbergen geboren worden. Alles Frühchen.

Svalbard-Rentiere
Svalbard-Rentiere

Bewohnt ist nur die Hauptinsel, die heißt auch Spitzbergen. Benannt nach den spitzen Bergen, die der erste Entdecker Willem Barents am Horizont sah, als er ankam. Für die Norweger ist Spitzbergen eine Art separate Region irgendwo da oben im Norden und heißt Svalbard: „Kühle Küste“. Es gibt nur zwei Jahreszeiten: die helle und die dunkle, beide jeweils etwa ein halbes Jahr lang. Wenn es bewölkt ist, gibt es im Winter Tage, wo es 24 Stunden lang knallschwarz draußen ist. Jetzt ist es Sommer und wir kamen pünktlich nach einem ordentlichen Schneesturm am wärmsten Tag seit sieben Monaten. 8 Grad und strahlender Sonnenschein erwarteten uns und Ausflüge in eine Landschaft, wie ich sie noch nie gesehen habe. Spitzbergen ist eigentlich eine Wüste. Da ist nichts. Nur Tundra. Und Berge. Und Schnee und Eis. Es gibt nicht mal wirklich Straßen. Neben dem Hauptort Longyearbyen gibt es vier andere Siedlungen – die haben 500 Einwohner, 200 Einwohner, 30 Einwohner und 3 Einwohner – und sie sind nicht mit Straßen verbunden. Im Sommer erreicht man einander mit dem Boot oder dem Heli. Im Winter im Schneemobil oder Hundeschlitten. Die kleinsten Siedlungen bestehen aus ein paar Gebäuden und sind eigentlich nur Forschungsstationen, denn Spitzbergen wird auch das größte Labor der Welt genannt. Hier herrschen die perfekten Bedingungen für Forschungen zu Polarlichtern, zum Klimawandel in Polargebieten und zu Eisbären.

In Longyearbyen dürfen Besucher und Touristen zu Fuß vom Schiff in die Stadt laufen. Der Ort besteht aus geschätzt drei Straßen. Es gibt einen Supermarkt und vier Sportausrüster und etwa 27 Schneemobilvermietungen. Die Hauptstraße ist eine Schotterpiste und führt bis zur letzten aktiven Kohlemine raus. Zu Fuß kommt man da aber nicht hin. Bzw. man darf nicht. Sobald die Häuser aufhören steht am Straßenrand ein Schild mit einem Eisbären und der Info „Gjelder hele Svalbard“ („In ganz Svalbard“) und wenn man an dem Schild vorbei geht, bricht man eigentlich schon das Gesetz. Außer man hat ein Gewehr dabei oder einen Menschen mit Gewehr. Denn sobald man die Ortschaften verlässt, ist man in Eisbärengebiet. Es gibt Siedlungen, da friert der Hafen im Winter zu. Dann ist auch in der Stadt Eisbärengebiet und man nimmt sein Gewehr auch mit zum Briefkasten und zum Bäcker. Unsere Reiseleiter sind alle bewaffnet und wir haben pro Ausflug zwei, eine Vorhut und ein Schlusslicht. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, einen Eisbären zu sehen, verschwindend klein ist. Es ist Sommer in Spitzbergen und das Packeis hat sich zurückgezogen und somit sind auch die Bären in den Norden gewandert. Aber man weiß ja nie.

Hauptstraße zur Mine 7
Hauptstraße zur Mine 7

Wir sehen stattdessen Rentiere überall. Die haben immer noch ihr dickes Winterfell und wenn dann so eine Hitze ist wie jetzt, sind die noch träger als sonst. Die bewegen sich am Tag manchmal nur 100 Meter, weil ihnen zu mehr die Energie nicht reicht. Im Winter wird der Energiebedarf so runtergeschraubt, dass sie einfach liegen bleiben und alle Wärme im Körper halten, die Beine werden sozusagen abgeschaltet und das Blut zirkuliert nur noch zwischen Herz, Hirn und Organen und die Beine haben nur noch vier bis fünf Grad. Sachen gibt’s! Das können die Einheimischen noch nicht, dafür gibt’s ja die Sportausrüster. Aber bei acht Grad hüpfen die hier in leichten Sommerpullis rum und schwärmen von der Hitze. Einheimische sind das übrigens nicht wirklich. Hier lebt jeder, aber kein Spitzbergener. Nachdem die Inseln entdeckt wurden, waren sie staatenloses Gebiet. Jeder kam, um sein Glück zu versuchen im Walfang oder in der Robbenjagd und dann irgendwann als Minenarbeiter. Spitzbergen hat eins der hochwertigsten Kohlevorkommen der Welt. Irgendwann gab es natürlich doch Streit, wie das nun mal so ist, wenn viele junge Männer aufeinander hocken und nichts zu tun haben. Und so wurde 1920 ein Vertrag verfasst, in dem sich darauf geeinigt wurde, dass Spitzbergen unter norwegischer Souveränität sein sollte und Bewohner aller Unterzeichnerstaaten von dann an in Spitzbergen wohnen und arbeiten und sich selbstständig machen dürfen. Ohne Visum und so. Deswegen besteht die gut 2.000-köpfige Bevölkerung aus 40 verschiedenen Nationalitäten. Die Kriminalitätsrate liegt bei Null, obwohl alle bewaffnet rumlaufen, und die Arbeitslosigkeit auch, denn man wird ja nicht versorgt, wenn man es nicht selbst tut.

 

Es ist wirklich ein kleines Fleckchen Erde hier oben und irgendwie auch wirklich nicht spannend, weil es nicht wirklich irgendwas zu sehen gibt. Aber die Geschichten, die man hört, die Regeln, die total bescheuert sind, aber jeder befolgt, … Spitzbergen beeindruckt mich zutiefst.

 

 

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Flo (Samstag, 17 Juni 2017 09:19)

    Tolle Bilder, wenn man im Warmen sitzt. und danke für die Erklärung mit dem Stockfisch - Jetzt weiß ich, warum ich den beim Portugiesen in Brühe anstatt am Stock serviert bekommen habe �