Lang, lang ist’s her, dass ich in Hamburg im Hafen lag. Und plötzlich ist man wieder da und alles fühlt sich seltsam vertraut an nach weniger als einem halben Jahr woanders. Auch wenn es ein kleinerer Kussmund ist, der am Steinwerderer Kreuzfahrtterminal anlegt, läuft doch alles irgendwie so wie man es kennt und gewöhnt ist. Nur das Schiff muss man den neuen Gästen nicht mehr erklären, denn „die Alten“ kennen ja fast alle unserer Gäste besser als ich.
Plötzlich sind die Eltern wieder weg und alles geht wieder seinen normalen Weg an Bord – die Seetage und das entspannte Leben der Transreise lassen wir hinter uns und müssen jetzt so richtig ranklotzen. Wir haben drei Kurzreisen, zwei Wochenreisen und dann unsere lange Sommerroute, die alle vorbereitet werden müssen. Also Aufsteller designen, Büro archivieren und neu ordnen, Schilder drucken, Flyer texten, … und plötzlich sind auch ganz viele neue im Team und die liebgewonnen hauen schon wieder alle ab, wie das auf dem Schiff eben so üblich ist.
Und wenn man schon in Hamburg ist wie letztes Jahr, dann kann man auch so weitermachen wie letztes Jahr, oder? Also nix wie los nach England und Holland. Aber weil ich Rotterdam und Southampton
schon kenne, ging es dieses Mal nach Ijmuiden und Dover und weil ich einen richtig coolen Chef hab, wurde sogar mein Wunsch erfüllt, nicht nach London zu müssen. Stattdessen ging es in mein
geliebtes Südengland, weit ab der Großstädte, nach Sandwich und meine Güte, freue ich mich jedes Mal, wenn ich in England bin. Sandwich ist richtig toll, so richtig gemütlich und voll britischem
Humor.
Bei uns im Ort wurde an der Wand der beliebtesten Eisdiele der Stadt ein Straßenschild aufgehängt mit dem Namen des beliebtesten Eisdielers der Stadt. So aus Spaß. In England gibt’s Spaß einfach
nicht so. Die haben eine superkurze Straße in Sandwich, also nennt man diese Straße eben Short Street. Da wo es besonders zugig ist, heißt der Platz eben Breezy Corner. Und der Oberknaller: die
Straße, für die irgendwie keiner eine Idee für den perfekten Namen hatte. Heute: No Name Street.
Weiter ins Walmer Castle, eine alte rosenförmige Festung .Rosenförmig! Wer kommt drauf, eine Festung für Krieg und so nach der Form der romantischsten Blüte überhaupt anzulegen? Aber schön ist es da, richtig tolle Gartenanlage natürlich, wie man das erwartet in England. Das Wetter auch typisch englisch undefinierbar. Wie wunderbar! Und vor allem so viel wunderbarer wie Amsterdam am nächsten Tag. Großstadt, voll, laut, hektisch. Schrecklich. Da freu ich mich doch umso mehr, dass es danach in neue Gefilde geht. Denn Norwegen ist schon so lang her, dass ich mich nicht wirklich an irgendwas erinnere außer an die Huskyfarm mit den kleinen knubbeligen Huskywelpen.
Der erste Tag in Norwegen hat schon nicht enttäuscht. Keine zehn Minuten zu Fuß vom Schiff entfernt liegt die Altstadt Bryggen mit den süßen bunten Holzhäusern wie an einer Perlenkette aufgereiht. Das sind alte Speicherhäuser, in denen die Waren vor dem Verschiffen gelagert wurden. Richtig schön, wenn man da mal ein Stündchen frei hat und einfach losspazieren kann. Ganz anders als in den Prima-Häfen letztes Jahr ist hier auch wirklich öfters mal irgendwas fußläufig und ganz ohne Shuttlebus und viel Zeitaufwand zu erreichen. Von Bergen aus ging es mit dem Boot gleich mal ein bisschen Fjordluft schnuppern. Bergen ist Ballungszentrum und entsprechend teuer ist es, hier zu leben. Wem die Mieten in der Stadt zu teuer sind, der zieht nach außerhalb, teilweise machen 10 Minuten weg bis ins Zentrum schon einen großen Unterschied und so haben sich diese kleinen Orte direkt vor der Stadt entwickelt. Hier weiß man nicht mehr, was nur Sommerhäuschen und was permanenter Wohnsitz ist. Alle Häuser sehen gleich aus – klein, aus Holz, rot oder weiß gestrichen und mit hübschem Garten. Und weil man vom Wasser aus die Straßen teilweise nicht mal erahnen kann, wirkt das wie die pure Idylle da draußen. Aber ich glaube eine Alternative zu meinem Plan, eines Tages am Meer zu leben, ist das nicht wirklich. Viel zu stilles Wasser (dafür aber die Fotomotive entsprechend toller als mit Wellen…)
Nach der Hitze der Karibik wurden wir ja schon recht sanft in die Realität der Frühjahrstemperaturen zurückgeholt in Coruña, Porto und
Madeira. Aber so ein bisschen Bammel hatte ich ja doch vor dem „hohen Norden“ verglichen mit dem vorigen Fahrtgebiet. Ich war ja auch so gar nicht vorbereitet auf einen Arbeitseinsatz im Kalten,
denn vielleicht ist es dem ein oder anderem schon aufgefallen: ich bin noch nicht wieder zu Hause, obwohl ich eigentlich mit meinen Eltern Ende April heim fahren sollte. So ist das eben auf See –
hier und da mal eine Planänderung und auf einmal sind alle Vorhaben wieder über den Haufen geworfen und bleibt mal eben noch zwei Monate.
Von der Firma wurden wir ganz fix ausgestattet mit Schal und Handschuhen und Mütze. Außerdem einer Sweatjacke, einer Fleecejacke, einer Softshelljacke, einer Windjacke, einer Regenjacke und einer
richtig dicken Winterjacke. Wie gut, dass der Bordbesuch auch so lieb war, ein paar der Sommersachen mit nach Hause zu nehmen, sonst wäre es jetzt doch arg eng geworden im Schrank.
Allerdings habe ich jetzt ein bisschen mehr Schrankplatz, denn ich bin im April noch umgezogen. Scout-Kollegin Melli hatte nach Barbados plötzlich ein Bett frei in ihrer perfekten Kabine – perfekt gelegen auf Deck 3 (welch Luxus!), perfekter Weg ins Büro von 2 Minuten, perfekter Weg zum Essen in 4 Minuten, perfekte Stille wegen fehlender Wassertanks unter der Kabine, perfekte Nachbarschaft und natürlich eine perfekte Mitbewohnerin, denn Melli ist ne super nette, mit der halte ich es auch noch ne Weile aus, bis sie von Bord geht. Die neue Kabine geht doch tatsächlich um die Ecke! Das Bad ist sozusagen in der Ecke und der Raum liegt außenrum, das heißt man kann tatsächlich zu zweit nebeneinander stehen und sich nicht dabei berühren! Es haben sogar ein Stuhl UND ein Hocker bei uns Platz, ich habe doppelt so viel Ablage- und Schrankplatz wie gewöhnlich, nur das Bad hat die gleiche Größe. Und das beste: wenn wir vom Ausflug kommen, müssen wir uns nicht erst mit unseren dicken Rucksäcken durch das Gedränge ins Büro schieben, sondern können direkt hinter der Security abbiegen und erstmal alles auf Kabinski ablegen. Ein Traum!
Nur wenn getendert wird ist es bei uns in der London-Nachbarschaft schwierig. Unsere Tür geht direkt auf Deck 3 raus, wo die Gäste langmüssen, um zu den Tenderluken zu kommen und manchmal ist das Treppenhaus und der Gang so doll verstopft, dass absolut kein Durchkommen ist und wir doch den Umweg über den Crewbereich nehmen müssen. So auch in Ulvik, dem zweiten Hafen der Wochentour durch Norwegen. In Ulvik ist nichts. Ehrlich. Das ist einfach ein kleines Örtchen mit einer Kirche und einem Hotel, aber touristisch gesehen ist da ansonsten reich gar nichts. Es gibt nicht mal einen Hafen oder eine gescheite Pier. Es gibt einen Holzsteg, den wir selbst mit Bluelines (diese Ausziehbänder vom Flughafen) absperren müssen, wenn wir nicht wollen, dass unvorsichtige Gäste beim Fotografieren über die Kante fallen. Wenn man vom Steg kommt, muss man durch die Eingangshalle des Hotels (vorbei an der Rezeption und halb durch den Frühstücksraum), um zum Busparkplatz zu kommen. Und dann gehen die Ausflüge los. In Ulvik darf nämlich keiner von Bord, der keinen Ausflug hat. Ich durfte auch nur, weil Cheffes wollten, dass wir den „Hafen“ kennenlernen. Also ein Drittel der Gäste rausgekippt, dann wird alles wieder abgebaut und zusammen mit den Scouties ins letzte Tenderboot gestopft und sobald wir wieder an Bord sind, macht die luna los und fährt den Fjord wieder ein Stück zurück, in den nächsten Fjordarm rein und bumms, ist da dann der richtige Hafen. Eidfjord. Minimal größer als Ulvik mit einer Pier, die immerhin ein bisschen länger ist als unser Schiff.
Da dürfen dann auch alle von Bord und ich somit auch zum Ausflug. Mit den schlimmsten Befürchtungen, dass ich in meinen leichten durchlöcherten Sportschuhen auf die Hochebene muss, ging es im Bus erst ins nahegelegene Wasserkraftwerk, um über die enormen Kräfte dieser norwegischen Wasserfälle zu lernen, und dann weiter immer höher entlang der Schluchten. Allein die Straßen sind schon ein Abenteuer. Wer zuerst um die Kurve ist, hat Vorfahrt. Dumm nur, wenn das Gegenüber ein ausländischer LKW-Fahrer ist, dann wird’s lustig – so direkt am Abgrund und so. Inzwischen gibt es ja wenigstens Tunnel und Brücken. Teilweise sieht man noch die alten Straßen, die um den Berg rumgingen und die sehen richtig übel aus. Heute sind das nur noch Wander- und Radwege, weil so ein Reisebus gar nicht mehr drauf passen würde. Die sind in keinster Weise gesichert und wenn am Rand mal was abbröckelt, dann ist das halt so. Dann doch lieber die schönen Straßen Richtung oben.
Oben, das ist die Hardangervidda, eine gigantische Hochebene, wo eine der letzten wildlebenden Rentierherden Norwegens mit mehreren tausend Tieren lebt. Gesehen haben wir leider keine, die sind
dann doch etwas weiter im Inland und nicht so nah an der Skihütten der Bergenser oder Eidfjordianer.
Aber diese Skihütten! Die Woche vor unserem Anlauf hat es oben auf der Vidda noch richtig viel geschneit, es war so kalt, dass der Schnee teilweise gefroren ist und die bizzarsten Formationen zu
sehen waren. Riesige Weiten einfach nur weiß und dabei warm genug, dass man im einfachen Pulli oben stehen und genießen konnte. Der Sysendam staut da oben einen Schmelzwassersee, der den
Wasserfall speist, der wiederum das Kraftwerk im Tal betreibt. Ganz Norwegen setzt auf erneuerbare Energien und das trotzdem hohen Erdölvorkommen. Das wird aber komplett verkauft und nicht für
die eigene Energieversorgung genutzt. Wenn man auch so viel Wasserkraft hat, ist es ja eigentlich schlau. Strom kostet also praktisch nichts, weil Wasser nichts kostet. Wenn man sich das mal
vorstellt: wenn der Sysenstausee mit Schmelzwasser voll ist (jetzt ist er grade noch ziemlich leer, weil die Schneeschmelze noch nicht eingesetzt hat), ist so viel Wasser drin, dass man jedem
Menschen auf der Welt gleichzeitig je 100 Liter Wasser schenken könnte!
Ziemlich beeindruckendes Land irgendwie, Norwegen. Überall wo man lang fährt, hat man riesige Felswände, die teilweise unter Wasser nochmal so weit weiter gehen. Die Fjorde sind teilweise an der
tiefsten Stelle 600 Meter tief und draußen gehen die Felswände genauso weit in den Himmel. All das wurde geformt von den riesigen Gletschern, die in der Eiszeit drauflagen. Überall gibt es
Endmoränen, wo riesige Felsblöcke einfach in der Gegend rumliegen, wo die Gletscherzunge sie hingeworfen hat und an jeder Ecke tiefe Furchen im Fels mit einem oder mehreren Wasserfällen.
Jedenfalls wenn die Schneeschmelze endlich einsetzt. Im Moment ist alles noch recht karg und trocken, aber umso mehr freut sich jeder, wenn irgendwo ein bisschen Wasser aus dem Fels kommt.
Entsprechend beeindruckend ist das Ein- und Auslaufen in unsere Häfen. Kilometerweit und stundenlang entlang der Fjorde und dauernd so kleine Örtchen mit drei Häusern entlang des Ufers.
Vielleicht halte ich es hier doch ein bisschen länger aus, auch wenns bald noch weiter in den Norden und in die richtig kalten Gegenden geht.
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