So viele Kollegen haben uns inzwischen verlassen, da brauchen wir ja auch mal Nachschub. Wir sind jetzt wieder zu siebt im Scouties-Team und wir alle sind in unserem ersten Vertrag. Es gibt also immer die lustigsten Sachen, weil keiner wirklich Ahnung hat, was er eigentlich machen muss. Außer Isabel und ich – wir sind jetzt die Dienstältesten im Team und fühlen uns dementsprechend cool.
Martina gibt ihr bestes, uns allen die Arbeit so leicht wie möglich zu machen, aber mit so vielen Neulingen, die eingearbeitet werden wollen, ist das manchmal für Isabel und mich nicht ganz einfach. Wir sind ja schließlich jetzt Buddys, also Paten für die Neuen und dafür zuständig, allen alles beizubringen. Erst kamen Victoria und Tina, die sind inzwischen schon fit genug um alleine am Schalter zu stehen. Dann sind jetzt ganz neu India und Sylta (übrigens weder aus Indien noch aus Sylt) dazugekommen und weil alle anderen selbst noch zu neu sind um Buddy zu sein, haben Isabel und ich eben nochmal je ein Patenkind dazu bekommen. Alle sind super lieb und mit so vielen gackernden Mädels und nur einem Viktor im Hahnenkorb ist es immer sehr kicherig am Abend in der Crewbar.
Weil die meiste Arbeit natürlich an Isabel und mir hängen bleibt (weil wir so cool sind), schaufelt uns Martina öfters mal ein paar Stündchen gemeinsam frei. Ob zum Shoppen und Crêpe-Essen in Le Havre oder Brunchen in Rotterdam, das finden wir immer ganz gut, wenn sowas passiert. Einfach mal ein Weilchen verschwinden, nicht angerufen werden mit „Tanjaaa? Wie geht denn nochmal…?“, nicht angesprochen werden mit „Sagen Sie, wie komme ich denn nach…?“, … Einfach mal Sonnenbrille auf, Privatklamotten an, und ab zum Strand. Das dachten wir jedenfalls und machten uns ganz fix auf den Weg zum Strand in Zeebrügge. 50 Minuten später war ein Drittel unserer freien Zeit um und wir haben endlich den ersten Sand gesehen, einen Kilometer weiter war dann auch das Wasser zu finden. Naja…Hauptsache ein bisschen relaxen und Postkartenstapel abarbeiten.
Eine Woche später schon wieder drei Stunden gemeinsam frei: dieses Mal war der Strand uns zu weit. Dafür wurden wir auf dem Rückweg im Hafenbus dann aber von den Gästen ausgelacht. „Oh, wo waren
Sie denn?“ – „Auf der anderen Seite der Straße.“ – „Was gibt es denn da?“ – „Ähm…eine Wiese.“
Schwierig für normale Menschen, die ihren Urlaub genießen, zu verstehen, dass das Größte für uns ist, irgendwo im Gras zu sitzen und Baguette mit Frischkäse zu picknicken.
Und weil wir immer so superpünktlich zurück an Bord sind, hat Martina uns sogar belohnt, indem wir beide abends nach Amsterdam zur Grachtenfahrt mit Käse und Wein durften. Und dann wurde sie
neidisch, dass wir beide hindurften und ist kurzerhand auch mitgekommen.
In Rotterdam kommen öfters die Mädels von der Agentur an Bord, weil zwischen den Abwicklungen ein paar Stunden Zeit ist. Mit denen machen wir dann Schiffsrundgänge oder sitzen gemütlich bei Limo und Keksen an Bord und zählen alle gemeinsam Ticket-Abschnitte. Entspannung pur! Und keiner kann behaupten, wir würden nicht arbeiten.
Weil Isabel und ich ja nicht mehr soo ewig lange an Bord sind, fängt Martina außerdem an, unsere Wünsche bezüglich Ausflügen zu erfüllen. So gabs für mich schon eine Bootsfahrt auf der Themse,
eine auf der Seine (beide sogar in sehr charmanter Begleitung einer Filmkamera und dem dazugehörigen Kamera-Dompteur), den Besuch des historischen Museums in Brügge (total toll: da folgt man
Jakob durch seinen Tag im Jahr 1783), …
Und ganz besonders schön ist es ja, wenn es mal möglich ist, Besuch an Bord zu bekommen. Papa und Mama kamen nach Rotterdam und Martina hat es irgendwie hingekriegt, den Dienstplan so zu
wurschteln, dass ich den ganzen Nachmittag Zeit für sie hatte und sie sogar auf einen Ausflug mitnehmen konnte.
Auch wenn es nur ein halber Tag ist, den man mal nicht über die Arbeit nachdenken muss und sich mal ein bisschen bei Schiffsfremden auskotzen kann, fühlt man sich danach wie nach einer Woche
Urlaub. Das fehlt einem halt doch, wenn man monatelang an Bord ist. Die Kollegen sind super, man hat immer irgendeinen Familien-Ersatz im Team, aber dass einem zu Hause fehlt, merkt man erst
richtig, wenn man es wieder sieht.
Allein der Moment, als am Wechseltag in Hamburg eine Dame auch mich zu lief mit dem Worten „Oh, Tanja! Ich hab Sie gefunden!“, mir ein Päckchen in die Hand drückte und sagte „Viele Grüße von
Ihrem Vater. Der hat mir was für Sie mitgegeben“! Nur weil sie im Postamt meines Heimatortes arbeitet und zufällig die Prima-Adresse auf Papas Päckchen gesehen hat – trotzdem ein Stück Heimat,
was einem plötzlich entgegen geworfen wird. Wunderbar!
Schiffsrundgang mit jemandem zu machen, der alles weiß, aber das Schiff noch nie gesehen hat, ist auch was tolles. Da sieht man alles nochmal aus einem ganz anderen Blickwinkel. Und in Rotterdam
von Bord zu gehen in einer Gruppe, in der keiner am Abend noch arbeiten muss, das ist schon was feines. Zwei Wochen drauf dann noch eine kleine Überraschung – Nicole und Chrissy gleichzeitig in
Rotterdam! Noch einmal Schiffsrundgang, noch einmal gemütlich rumsitzen und nixtun und ein Stückchen Heimat zum Anfassen.
Wenn der Besuch dann wieder weg ist, fühlt man sich gleich um Tonnen leichter. Endlich mal ein bisschen entspannter und es ist immer schön zu wissen, dass man zu Hause noch nicht vergessen wurde.
Und übrigens ist es immer noch sehr toll, wenn mir jeden Samstag hinterher gerufen wird: „Ey Scout! Du hast schon wieder Post!“ In gut vier Monaten, die ich jetzt hier bin, gab es erst eine Woche, in der ich keine Post bekommen hab, und das war die Woche wo Mama und Papa da waren. Alle beneiden mich und ich schwörs – sobald der Postkartenstapel wieder niedriger wird, wird er auch wieder aufgefüllt ;)
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