Freitag ist Seetag. Eigentlich ja ganz gemütlich so ganz ohne Ausflüge und so. Schalter gibt es trotzdem noch, also ist einer der größten Nachteile des Freitags das Tragen der Bluse, denn wir alle laufen lieber kurzärmlig im Poloshirt rum. Freitag ist vor allem eins: i-Tix-Tag.
Unsere Passagiere können ihre Tickets nicht nur bei uns am Schalter während der Reise kaufen, sondern auch schon vor Reisebeginn übers Internet. Wenn die neuen Gäste an Bord kommen, wollen sie also ihre online vorgebuchten Tickets schon auf ihrer Kabine finden, also drucken wir Freitags die Internet-Tickets (i-Tix), drucken Briefe, falten Briefe, packen Briefe, schreiben separate Briefe für die Gäste, die in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, damit die einen speziellen Ausflugsflyer für barrierefreie Ausflüge bekommen, und so weiter und so fort. Den Großteil des Tages verbringen wir also freitags im Konferenzraum ohne Fenster, das dummerweise an der Längsachse des Schiffes ausgerichtet ist und somit ganz blöd wackelt bei viel Wind und Wellen, sodass jeder sich beim vielen runter-auf-die-Hände-Schauen irgendwie betrunken fühlt. Aber tolle Kollegin, die ich bin, ist das erste, was ich freitags in die Hosentasche packe, die Familienpackung Schlechtigkeits-Pillen…nur für den Fall.
Da wir für diverse Kollegen diverse nervige Aufgaben übernehmen, helfen uns einige davon freitags beim i-Tixen. Die Biker kommen öfters mal als Dankeschön fürs Räder-Schieben an den Ausflugstagen und helfen für eine halbe Stunde beim Briefe packen. Die Reiseberater (die stehen am Schalter und verkaufen nächste Kreuzfahrten und organisieren VIP-Treffen und sowas) sind uns so dankbar, dass wir ihre Briefe in unsere einsortieren, dass sie mal ein paar Dosen belgische Pralinen spendieren, und unser Ex-POM (Port Operations Manager) war immer ganz kreativ und hat in seine zu sortierenden Briefe immer irgendwo eine Tafel Rittersport versteckt, die man erst entdeckte, wenn man am Ende der Briefe angekommen war. Eine der positiven Seiten des Freitags ist also die Schoki. Es gibt immer was zu naschen, und da wir im großen Konferenzraum sitzen und keinen Gäste- oder Kollegen-Kontakt haben, bringt immer irgendjemand Musik vom Handy mit, damit ein bisschen gute Stimmung ist. Wenn die Musik nur laut genug ist, übertönt sie auch Scout Viktor, der beim i-Tixen immer den unwiderstehlichen Drang verspürt, uns mit ukrainischen Volksliedern zu beglücken.
Weil wir so schön in unserem fensterlosen Räumchen sitzen und niemand uns hören kann, ist freitags gleichzeitig auch Lästertag. Da sitzen wir alle zusammen und kotzen uns mal so richtig schön aus
über wen oder was auch immer. Das muss ab und an mal sein, wenn man kein Wochenende oder Urlaub hat und immer nur mit den gleichen Leuten zusammenklebt. Dann gibt es immer die schönsten und
blödesten Geschichten aus der letzten Woche und die Hinweise, auf wen man in der kommenden Woche besonders achten muss, damit man am nächsten Freitag wieder was neues zu lästern hat.
Weil wir nämlich so ein schickes neues innovatives Schiff sind, kommen öfters mal wichtige Leute an Bord. Kamera-Teams verschiedener Fernsehsender und Redakteure diverser Magazine kommen zum
Beispiel regelmäßig für ihre Dokus über die Prima. Das ist meistens gut für uns, aber kann manchmal auch richtig Schaden anrichten. Eine holländische Fernsehshow hat vor ein paar Wochen einen
Wettbewerb veranstaltet, wo Zweier-Teams versuchen sollten, irgendwie illegal an Bord zu kommen, das ist natürlich nicht so wirklich in unserem Sinne.
Neben den Kamera- und Schreibblock-beladenen Reportern gibt es auch wirkliche Berühmtheiten, die uns besuchen und eine Reise mitmachen. Tim Mälzer zum Beispiel hat ja sein Kochstudio-Konzept der
Prima geschenkt, unsere Kochschule trägt seinen Namen und seine Rezepte werden gekocht. Aber es gibt nie so viel Ansturm wie in den Wochen, wo er wirklich hier an Bord ist. Letzte Woche war er
da, hat dann abends vor dem Kochkurs einen Auftritt auf der Bühne mit Entertainment Manager Phillip, wo er die Gäste unterhält und teilweise offen beleidigt (aber weil er berühmt ist, finden die
es ganz toll, wenn sie gesagt bekommen „Na, deine Frau kann sich ja freuen, dass sie schon verheiratet ist, sonst würde sie jetzt keinen mehr finden“).
Emma Schweiger ist die berühmteste Berühmtheit hier an Bord, sie war die Taufpatin, aber seither habe ich sie erst einmal hier an Bord gesehen, wo sie mit ihrer Entourage auf dem Weg ins
Gourmet-Restaurant war.
In einer Woche waren zwei berühmte Damen an Bord, von denen ich als Klatschpresse-ignorierender Mensch noch nie was gehört hatte: Verena Kerth (Ex von irgendwem wirklich berühmten) und Beatrice
Barden (eine Stil- und Farbberaterin). Wir dutzen natürlich alle Berühmten, die an Bord kommen, weil wir das hier einfach so machen – außer sie sind schon älter und haben wirklich was erreicht,
wofür sie wirklich verdient haben, berühmt zu sein; zum Beispiel ein wichtiger Ex-Politiker, dessen Name ich mir dafür aber natürlich nicht merken konnte.
Verena war vor allem hier, um den Fass-Anstich im Brauhaus am ersten Seetag zu moderieren und dann einen unserer Strand-Ausflüge in Frankreich zu begleiten – „Shopping mit Verena Kerth“…war ein
gigantischer Erfolg. Und Beatrice hat ihre Stil-Beratung auf der Bühne gemacht und Damen aus dem Publikum geholt, und alle sind schier ausgeflippt vor Freude, gesagt zu bekommen „Sie tragen
Schwarz heute, das ist gut, das kaschiert, dass sie keine Taille haben“ oder „Ja, diese Weste können Sie gut tragen, dann wirken die Oberschenkel nicht ganz so dick“. Und für sowas geben die
Leute dann super viel Geld aus.
Die einzige Berühmtheit, die an Bord war, und die ich wirklich gerne mochte, war Jörg Böhm. Jörg ist Autor und schreibt Kreuzfahrt-Krimis. Er war mit auf Ausflügen und hat uns bei unseren Abwicklungen geholfen, war sich nie zu schade, mit dem hochgehaltenen Schild durch die Gegend zu rennen, und irgendwie hat man gar nicht gemerkt, dass er keiner von der Crew ist. Er war sogar schon zweimal an Bord und hat sich jeden einzelnen Scout vorstellen lassen und uns immer geknuddelt, wenn er an uns vorbeigegangen ist. Wenn ihr also mal an ein Buch von ihm kommt – ich glaube, die sind gut (nicht, dass ich bisher Zeit gehabt hätte, mehr als die ersten drei Seiten seines Romans mit persönlicher Widmung zu lesen).
Aber zurück zum Freitag. Seetag, keine Ausflüge mehr zu verkaufen, der perfekte Tag für Team-Meetings. Es gibt mit TM Martina ein Scout-Meeting und im Anschluss mit SOM Flo ein Shore Ops-Meeting,
wo außer den Scouts auch die Reiseberater, die Biker und der POM dabei sind. Jeder erzählt, was ansteht, welche Berühmtheiten zu Besuch kommen, auf wen wir ganz besonders achten müssen, dass er
sich nicht beschwert (sich beschwerende Reporter sind so ziemlich das schlimmste, was uns am Schalter passieren kann), wie viele Gäste wir erwarten, …
Zuletzt waren ja Sommerferien und das Schiff war komplett ausgebucht. Wenn jede Kabine belegt ist, wir also 100% ausgelastet sind, sind etwa 3.300 Gäste an Bord. Wenn jedes einzelne Bett belegt
ist, dann steigt die Gästezahl auf knapp 4.200, also um die 130%. Davon sind in der Ferienzeit etwa 1.100 Kinder und Jugendliche bis 18 – uff.
Beim Shore Ops-Meeting gibt es ab und an auch ganz coole neue Informationen, mit denen keiner gerechnet hätte. Zum Beispiel hat unser General Manager (GM) Harald beschlossen, die Rezi und die Shore Ops müssen wissen, wie die Gäste-Kabinen aussehen, um besser beraten zu können. Also gesagt, getan: die Scouties sind umgezogen für zwei Nächte. Und das war was feines, ich sags euch! Auf Deck 16 auf dem höchsten Kabinen-Deck, was noch oberhalb der Brücke liegt, auf dem Balkon zu sitzen und Mädels-Abend mit Maniküre und Drinks zu machen, da könnte man sich dran gewöhnen. Meine Kabine war auf Deck 8, eine sogenannte Lanai-Kabine. Riesig groß, mit Balkon und Wintergarten. Das sind die teuersten Kabinen des Schiffes, aber die auf Deck 16 fand ich cooler, weil das Deck vor meinem Balkon immer überfüllt ist mit Strandkörben voll grummelnder Erwachsener und Infinity Pools voll kreischender Kinder. Aber ein Fenster zu haben, um die Kabine durchzulüften, war schon Luxus pur. Wenn mir eins hier fehlt, ist es das. Aber man gewöhnt sich erstaunlich schnell dran, immer im Dunkeln aufzuwachen.
Weil unser General Manager so drauf bedacht ist, dass es der Crew gut geht, lädt er uns nicht nur auf Passagierskabinen ein, sondern auch zur Kochschule. Da war dann einen Abend lang
Küchenschlacht mit Kollegen aller Abteilungen – toll, um mal ein bisschen neue Leute kennenzulernen und dazu gab es auch noch Weingläser, die es schafften, nie länger als zwei Sekunden leer zu
sein…
Sooo begeistert war ich vom Essen allerdings nicht. Ich bin halt doch eine faule Socke: drei Stunden in der Küche zu stehen, um dann so hungrig zu sein, dass ich schon keinen Hunger mehr spüre,
und erst um 10 abends Essen zu kriegen, ist wirklich nicht so meins. Aber die Gesellschaft war nett und wir hatten einen tollen gemeinsamen Abend.
Der GM sieht das als Cross-Training, bei dem man die Arbeitsbereiche der Kollegen besser kennenlernt. In dem Rahmen dürfen wir auch andere Bereiche des Schiffes kennenlernen und ausprobieren. An Isabels Geburtstag sind wir ins französische Restaurant an Bord gegangen mit Christina und Martina, einfach mal ein entspannter Abend, bei dem man ausnahmsweise nicht mal ein Namensschild tragen muss. Dann sind die Gäste verwirrt, und selbst wenn sie denken, dich zu erkennen, trauen sie sich nicht, dich anzusprechen, weil du so privat aussiehst.
Christina ist inzwischen abgestiegen und Kevin auch, sodass wir jetzt wirklich nur noch Leute im ersten Vertrag sind. Auch Dennis hat uns verlassen, aber dafür kamen zwei tolle neue Mädels, Victoria und Tina, die sind super nett und stellen sich sehr gut an, dafür dass sie noch nie Seefahrer waren. Isabel und ich sind guter Dinge, dass die sich gut einfinden werden, also ist die Stimmung im Team grade ganz gut und alle Mädels verstehen sich gut. Und kein Zickenterror ist immer gut…
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Julian (Samstag, 29 Oktober 2016 09:31)
Wie du hast kein Fenster??