Der coolste Hafen dieser Route war für mich seit Beginn meines Vertrages Southampton. Der früher so verhasste Montag ist inzwischen der schönste Tag der Woche, an dem ich wöchentlich mit einem Lächeln im Gesicht aufwache und der erste Gedanke am Morgen ist „Yeay, it’s England-Day!“
Ich liebe alles am England-Tag. Bisher durfte ich jede Woche in England raus, denn Martina weiß, dass ich den Rest der Woche nicht gut funktioniere, wenn ich nicht meine Dosis Englisch am
Wochenanfang bekomme. Die Securitys der Hafenbehörde sind alle uralt und super freundlich mit krassem britischen Humor: wer hätte gedacht, dass die Sicherheitskontrolle so spaßig sein kann?
Die Reiseleiter mag ich auch besonders gern in England. In London nicht ganz so sehr, die sind mir zu großstädtisch, aber mit Marc und Steve war ich jetzt schon öfters in Beaulieu und Winchester
und die lernen beide Deutsch und helfen wo sie können mit Wörtern, die man als normaler Mensch einfach nicht übersetzen kann („Totenkapelle“ und diverses anderes klerisches Vokabular zum
Beispiel). Und auf der Isle of Wight war ich mit Andy, dem ich meine gesamte Lebensgeschichte auf der Fähre erzählt habe, und der mein Visitenkärtchen gleich freudestrahlend entgegen genommen hat
und sich schon jetzt im Freundeskreis nach einem zukünftigen Job für mich umhört.
In London sind die Reiseleiter nicht so entspannt wie auf dem Land. Nicht, dass Southampton wirklich „Land“ wäre, ist immerhin auch einer der wichtigsten Fracht- und Passagierhäfen Englands. Aber es ist halt nicht London. Die Fahrten in die Hauptstadt finde ich super anstrengend. Zweieinhalb Stunden brauchen unsere Busse, wenn sie gut durchkommen. Üblicherweise also mindestens zweieinhalb Stunden um bis in die näheren Vororte zu kommen. Wo in Richmond-upon-Thames noch alles peachy ist, geht spätestens in Knightsbridge das Chaos los. Der aktuelle Bürgermeister hatte so große Pläne für London: er baut das Fahrradwegenetz einfach so großzügig aus, dass alle Londoner nur noch mit dem Fahrrad unterwegs sind. Also hat er Straßen gesperrt und verengt, ganze Spuren durch Inseln abgetrennt, blau angemalt und ein Fahrrad draufgepinselt. Doof nur, dass die Londoner offensichtlich gar nicht Fahrrad fahren wollen. Die superbreiten Fahrradwege sind also menschenleer und dafür stapelt sich der Verkehr auf den verengten Spuren bis ins Gehtnichtmehr.
Spätestens in Westminster sind die Straßen so verstopft mit Sightseeing-Bussen, Tourbussen, öffentlichen Bussen, Taxis, Privatverkehr, verrückten zukünftigen Taxifahrern, die auf dem Motorrad die
Stadt kennenlernen um ihre Lizenz zu bekommen, und sooo vielen Touristen, dass man sich schon freut, wenn man es überhaupt in Richtung Embankment und City of London schafft. Die Fahrt zum Tower
ist der absolute Höllentrip mit einem Bus voll Kreuzfahrtgäste und während der Sommerferien mit ihren Kindern und Enkeln, die permanent Hunger haben oder pinkeln müssen. Muss man denn dann
unbedingt solche Monster-Touren buchen, wenn die Kiddies nicht so lange sitzen wollen?
In meinen 12 Wochen hier war ich fünf Mal in London und nur einmal sind wir pünktlich abends zurück in Southampton gewesen. Schon öfters musste das Schiff länger am Liegeplatz bleiben, weil noch
Busse aus London gefehlt haben, und dadurch hat sich dann auch das Anlegen in Le Havre verzögert und einen riesigen Rattenschwanz hinter sich gezogen.
Isle of Wight war da wirklich so arg viel entspannter. Ein wunderschönes Fleckchen Erde, eine überglückliche Tanja als Übersetzerin und ein relaxter Reiseleiter mit viel Humor, der dann auch noch
der erste in 12 Wochen war, der sein Trinkgeld nicht nur mit dem Busfahrer geteilt, sondern auch mit ein Scheinchen abgegeben hab. Solche Tage machen den Job erträglich, denn manchmal ist es
schon echt hart hier an Bord und bei den Ausflügen. Wenn man ein paar Monate hier war, freut man sich auch über Tage, die man nicht an Land muss, sondern die Büro- und Schalterarbeit an Bord
übernehmen darf.
So ging es mir, denn ich war krank. So richtig krank. Was genau alles in mir vor sich ging, weiß ich nicht. Angeblich war es eine Mandelentzündung, die sich aber nach anderthalb Tagen in eine
Nasennebenhöhlenentzündung verwandelte und bäm – war auch noch eine kleine Bindehautentzündung dabei und ich lag vier Tage im Bett. Dazwischen musste ich Sonntagabend drei Stunden an den
Schalter, während eine Show hinter mir im Theatrium lief, denn sonst wäre ich vier Tage am Stück krankgeschrieben gewesen, und dann wird man heimgeschickt. Danach war dann auch die Stimme hinüber
und seitdem röchele ich vor mich hin.
An Bord krank zu werden sollte man sich wirklich zweimal überlegen. So übel ging es mir seit langem nicht. In meinem Job muss ich reden, auch wenn ich weiß, dass ich es lassen sollte. Es ist überall so laut und wir haben an den meisten unserer Ausflugstreffpunkte keine Mikrofone, oder zwar ein Mikrofon, aber ein Show-Ensemble, was parallel probt und nicht gestört werden darf. Und dann steht man da als armes kleines Dauerle und versucht 300 Leuten im Theatrium irgendwie mitzuteilen, dass sie noch ein paar Minuten warten müssen, bevor es losgeht. Grandios…da kann ja keiner gesund werden. Inzwischen ist es anderthalb Wochen später und ich höre mich an wie ein 14-jähriger im Stimmbruch. Naja…die Gäste kennen mich nicht anders. Wenn ich Glück habe, ist die Stimme bis Samstag wieder in Ordnung, dann lernt mich die nächste Charge Gäste wieder mit lieblichem Zwitschern kennen.
So richtig helfen tut es halt auch nicht, einmal die Woche in England zu sein, wo man mit den uralten Securitys rumalbern muss…
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Julian (Samstag, 29 Oktober 2016 09:21)
Verblüffend. Ich hab von London die selben Fotos gemacht :D.
Ich hab übrigens auch kaum Radfahrer aber viele Baustellen gesehen...
Was macht man den auf der Isle of Wright?