Jede Woche neue Gäste, jede Woche neuer Job. Weil unsere Route nur 7 Tage lang ist, ändern sich die Gegebenheiten an Bord somit auch wöchentlich. Wenn neue Passagiere aufsteigen, ist jeden Samstag alles erstmal für ein paar Stunden wieder auf Anfang, denn plötzlich kennt sich wieder keiner aus. Im Laufe der Woche werden die Fragen nach der Richtung weniger, aber die Fragen nach spezifischen Schiffsdaten mehr, und samstags geht’s wieder von vorne los.
Wochentage kennen wir im Scout-Team nicht mehr. Auf die Frage, welcher Tag es ist, denkt man als erstes „Heute ist Belgien“, aber wir haben ja immer unseren Kalender an den Schaltern, also können wir schnell reagieren, wenn so eine unerwartete Frage von den Passagieren kommt. So langsam bin ich soweit im Job angekommen, dass ich auf die meisten Fragen eine Antwort parat habe, oder wenigstens weiß, wo ich es rausfinden kann. Aber die Chefs sind auch immer über Funk an Bord erreichbar und die Scout-Kollegen nicht weit, also ist das alles ganz locker.
Ich habe eine Woche lang Buch geführt und kann euch so jetzt erzählen, was ich üblicherweise an meinen Tagen an Bord mache. Eine typische Woche gibt es nicht wirklich, weil aufgrund der
verschiedenen Ausflüge und der sehr variablen Anzahl an Gästebriefen, die abends noch verteilt werden müssen, immer alles recht kurzfristig ist.
Abends bekommen wir von TM Linda den Einsatzplan für den nächsten Tag, also die Infos über Schalter-Duty, Briefe-Verteilen (soweit vorhersehbar) und Ausflüge, die wir abwickeln und/oder
begleiten. Also keine Chance, vorauszuplanen. Ich finds super: jeder Tag ist eine riesige Überraschung, und Enttäuschungen gibt es nicht wirklich. Denn wenn man weiß, dass man dieselbe Route noch
über 5 Monate lang fahren wird, dann geht man auch davon aus, sowieso jeden Ausflug mindestens zwei Mal mitmachen zu können.
Wenn ich von einem Ausflug komme, und noch nicht mein Pensum von höchstens 11 Stunden Arbeit am Tag voll habe (bei Überschreitung der vorgegebenen Zeiten gibt’s Ärger), dann schaue ich abends
erstmal im Büro nach, ob noch Briefe zu verteilen sind oder sonst noch was zu tun ist. In der Abteilung funktioniert alles nur in Teamwork, deswegen packt auch jeder mit an und wenn mal 300
Briefe zu verteilen sind, dauert das eine halbe Stunde, wenn jeder mithilft, und alles ist geschafft.
Und jetzt mal in Zahlen:
Meine Woche hat 7 Tage, davon verbringe ich zwei komplett auf See (sogenannte Seetage), einen im Heimathafen Hamburg und vier in den verschiedenen Häfen (sogenannte Hafentage). Über Nacht sind
wir nur in Rotterdam festgemacht, alle sechs anderen Nächte der Woche sind wir auf See (aber ich sags euch: man schläft wie ein Baby, wenn man so sanft in den Schlaf geschaukelt wird).
An den Hafentagen gehe ich pro Tag im Schnitt 17.704 Schritte, an den Seetagen im Schnitt nur 7.716 Schritte. An Seetagen geht etwa ein Drittel der Schritte drauf fürs Briefe-Verteilen, denn da
laufe ich zwischen den neun Passagierkabinen-Decks hin und her und das Schiff rauf und runter. An Hafentagen verbrauche ich etwa ein Fünftel meiner Schritte für die Abwicklungen vor Ausflügen.
Für jeden Ausflug gibt es eine feste Zeit, wo alle Teilnehmer am festen Treffpunkt sein sollen. Je nach Anzahl der Teilnehmer stehen die Scouts entweder alleine oder mit Unterstützung am Treffpunkt und sortieren alle. Die Anwesenden werden auf einer Liste abgestrichen und jemand steht auf der Bühne und organisiert alles von oben über die drei Decks des Theatriums. Auf der Bühne zu stehen ist lustig, da muss man so viel wie möglich labern, denn so lange man labert, bleiben die Leute sitzen. Sobald man aufhört zu labern, werden alle unruhig, die Gruppen können nicht mehr beisammengehalten werden und Chaos bricht aus. Also steht man auf der Bühne, erklärt in Dauerschleife, dass in England die Pässe kontrolliert werden müssen und was sonst noch alles wichtig ist. Das kann man praktisch endlos wiederholen, denn es kommen ja dauernd neue Leute dazu. TM Linda hat vorige Woche grandios mit Stories aus ihren früheren Verträgen das gesamte Theatrium beisammen gehalten, als die Installation der Gangway zu lange gedauert hatte und alle Ausflüge Verspätung hatten. So gut bin ich noch nicht, aber eine kleine Bühnen-Session hatte ich auch schon.
Sobald man seine Ausflugs-Truppe beisammen hat, muss man die möglichst auf einmal von Bord bringen, also einer von uns vorneweg mit dem Ausflugsschild in die Höhe gestreckt und dann Treppen
runter, Gänge entlang, auschecken, Gangway runter, über die Pier, durchs Terminal und zu den Bussen. Auf dem Weg drei Leute verloren, also nochmal zurück und nochmal hin. Und das ganze dann bis
zu 5 Mal am Tag. Wenn man selbst auf Ausflug geht, wickelt man nicht nur seinen eigenen Ausflug ab, sondern hilft üblicherweise vorher und/oder nachher noch bei den Kollegen mit.
Mit Ausflugs-Abwicklungen verbringe ich an Hafentagen durchschnittlich knapp zwei Stunden pro Tag, mit Ausflügen pro Tag im Schnitt etwa sechseinhalb Stunden.
Ich habe schon den längsten und auch den kürzesten unserer Ausflüge mitgemacht: 10,5 Stunden für Paris (davon 6+ Stunden für Hin- und Rückfahrt) und 3 Stunden für eine kleine Bootsfahrt auf der
Seine in Honfleur. Da alle Hauptstädte mehr oder weniger weit weg sind von unseren Häfen, sind die Chancen hoch, mindestens einmal in der Woche einen Ganztages-Ausflug mitzumachen.
Bei einem Großteil unserer Ausflüge ist eine Freizeit von einer halben bis zu 4 Stunden für die Teilnehmer eingeplant, und das ist dann natürlich auch für den Scout Freizeit. Mit unseren coolen
Walkie Talkies funken wir uns zusammen, wenn mehrere von uns zur selben Zeit Freizeit an einem Ort haben und dann treffen wir uns auf ein Käffchen. In meiner Forschungs-Woche habe ich im Schnitt
pro Ausflugstag 58 Minuten Freizeit. Dazu kommt auch noch ein bisschen Freizeit an Bord, wo ich dann auch mal an Land gehe. In Rotterdam ist das Cruise Terminal riesig und mit superschnellem
W-Lan ausgestattet, in Le Havre ists auch okay, also sind es pro Hafentag im Schnitt nochmal 36 Minuten Freizeit an Land.
Ich geh natürlich nicht immer von Bord wenn ich mal ein bisschen frei hab. Pro Tag stückelt sich meine Freizeit zusammen zu durchschnittlich 3 Stunden. Die meiste Freizeit geht eigentlich eh fürs
Essen drauf. Ich versuche, mir immer wenigstens eine halbe Stunde zu nehmen, denn es gibt ja nix schlimmeres als vollgefressen die Treppen rauf und runter zu hechten. Ganz schlimm ist es, gleich
morgens die erste Ausflugs-Abwicklung zu haben, die ist manchmal schon um 7:45 Uhr und dann muss man aber immer eine halbe Stunde früher schon im Office sein, um noch alle Abstreich-Listen
vorzubereiten.
Mit Ausschlafen ist also nix, und selbst wenn wir könnten, tun wir es nicht, denn Frühstück gibt’s nur bis halb 9.
Wer zu lang ohne Duty ist, wird auch mal an andere Abteilungen „ausgeliehen“. So zum Beispiel am Wechseltag für die Security oder zur Koffer-Duty, aber auch an Bord, so war ich jetzt schon
zweimal als Beisitzer bei der Kunstauktion, wo ich Buch führe über die Gebote, die abgegeben werden, und die Rechnungen ausstelle und dann nach der Auktion unseren Galeristen helfe beim Abbauen.
Das ist keine allzu anstrengende Arbeit, aber hilft doch immer dabei, auch aus anderen Abteilungen jemanden kennenzulernen. Und die Wahrscheinlichkeit steigt dadurch gewaltig, in der Crew-Messe
ein bekanntes Gesicht zu treffen und nicht allein essen zu müssen.
Und lustig ist es bei so Auktionen. Je mehr Kinder an Bord sind (die letzten beiden Wochen je knapp ein Viertel der 4.000 Gäste), desto weniger wird zwar ersteigert, aber es ist spannend, die
Leute zu beobachten, die mitbieten. Vorgestern hat ein junges Paar bei einer Blind-Auktion mitgesteigert (also ein Bild, was erst enthüllt wird, wenn das letzte Gebot abgeschlagen wurde) und dann
wurde das Tuch gelüftet und es war ein Rizzi-Gemälde (wie sie irgendwie oft in Arztpraxen anzutreffen sind und die aussehen, wie Kinder-Wimmelbilder, ganz bunt und cool) und dann haben sie fast
geheult vor Überraschung und Freude.
Langweilig wird es hier also nie und ich bin gespannt, wie gut das unser Neuzugang meistern wird. Ich mag das Team total wie es ist, aber TM Linda geht am Samstag, SOM Jutta geht die Woche drauf und Scout Lenni haut auch ab. Dann geht der Stress erst richtig los, wenn alles schon wieder neu ist und plötzlich noch weniger Leute im Team sind.
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