Nachts wenn der Muezzin brüllt

Weil mich mein Gastbruder erst abends abholen konnte, hatte ich am ersten Tag in Dubai noch gut Zeit, mit Farouk die Nachbarschaft zu erkunden und er zeigte mir neben Jumeirah Lakes Towers auch Dubai Marina, den Stadtteil gegenüber der Sheikh Zayed Road. Man kann eigentlich fast hinspucken, aber bis man dann wirklich dort hin gelaufen ist, braucht man doch wieder ein bisschen Zeit.

Dubai Marina
Dubai Marina

Dubai Marina ist ein weiterer Stadtteil Dubais, allerdings schon etwa 30km außerhalb des eigentlichen Stadtzentrums. Trotzdem sieht es von der Bauart her auch nicht anders aus: höher, größer, extravaganter ist wie immer die Devise. Hier steht u.a. auch das coole Haus, was in sich 90° verdreht ist. Es heißt „Cayan Tower“ und natürlich ist es mit 310m auch das höchste verdrehte Gebäude der Welt. Das Design ist ziemlich geil: viel Glas von außen (was laut der Dubai-Regierung jedes Quartal gereinigt wird und zwar jeweils innerhalb von drei Wochen) und jedes Stockwerk ist gleich weit vom vorigen verdreht, sodass es aussieht wie aus einem Guss.

In Dubai Marina wohnen angeblich knapp 200.000 Leute und das auf so einer kleinen Fläche, die dabei auch noch schön aussieht. Und vor den modernen Riesenbauten zuckeln ganz gemütlich die traditionellen Abras, schön geschnitzte Holzbötchen, die den Marina durchkreuzen als würden sie perfekt ins Bild passen.

Dubai Marina
Dubai Marina

Pünktlich um sechs ging es wieder zu Farouk nach Hause, denn ich sollte kurz drauf von meinem zukünftigen Gastbruder Mohammad abgeholt werden. Anderthalb Stunden später war er auch endlich da – siebenspuriger Rush Hour-Verkehr in Dubai ist extrem. Nochmal anderthalb Stunden und wir kamen in Sharjah an, dem nächsten Emirat direkt neben dem Dubai-Airport und meiner Heimat für die nächsten drei Wochen. 
Und hier sieht es sogar an manchen Stellen noch aus wie landestypisch arabisch: kleine Restaurants und Läden am Straßenrand, Schlaglöcher in der Straße, ein bisschen Müll hier und da, viele Vögel und keine blankgeschleckten Gehwege. Der richtig krasse Gegensatz zu Dubai ist Sharjah aber auch wieder nicht: auch hier die gigantischen Hochhaustürme soweit das Auge reicht.

typisches Spielzeug im Dubai Marina
typisches Spielzeug im Dubai Marina

Die Familie, bestehend aus Mama Leena, Sohn Mohammad (23) und Tochter Zeina (20), wohnt nicht annähernd so schick wie Farouk in einer Seitengasse, in die ich mich alleine nachts so nicht unbedingt reintrauen würde. Drinnen ist im vierten Stock eine nette Wohnung mit einem Master-Bedroom mit Riesenbett, das ich als Ehrengast kriege, während sich die anderen drei das Extra-Bett und zwei Sofas teilen. Als Gast ist man hier was ganz besonderes und man wird behandelt wie der König auf Erden. Außerdem mästen sie mich; alle drei sind auf Diät, aber Leena kocht tonnenweise Reis und sagt, ich müsse alles aufessen, weil sonst muss Mohammad den Rest essen und der ist auf Diät. Hmpf…

Hauptsache fancy: Hochhäuser in Sharjah
Hauptsache fancy: Hochhäuser in Sharjah

Bei der Ankunft hat Mama Leena gleich mal lospalawert auf Arabisch und war sehr offensichtlich sehr enttäuscht, dass ich rein gar nichts verstand. Der Stolz vom Vormittag in der Mall war wie weggepustet, als ich nicht mal „Wie geht’s?“ verstehen und schon gar nicht beantworten konnte. Absolute Katastrophe. Grund dafür: in der Uni hatte ich Ägyptisch gelernt, was uns als relativ reines Hocharabisch verkauft wurde – mit dem man uns in Dubai zwar versteht, aber wir dort keinen.

 

Dass Mama Leena um Zehn abends gleich noch zwei Stunden Arabisch machen wollte, fand ich dann doch etwas zu viel und um halb Mitternacht ging dann gar nichts mehr und ich wusste nicht mal mehr wie man die einfachsten Buchstaben ausspricht.

 

Altaqwa Mosque
Altaqwa Mosque

Die Nacht war ziemlich fürchterlich: Um halb eins ins Bett, dann ging kurz drauf ein übler Sturm los, der die Palmen draußen zerwuschelt hat und meine Fenster fast aus den Angeln hob. Die Fenster kann man von links und von rechts aufmachen und sie treffen sich in der Mitte. Aber da wo sie sich normalerweise treffen und bei Fenster-zu dicht verschlossen sein sollten, ist ein 1cm-breiter Spalt. Da hat’s natürlich reingezogen wie blöd, die Scheiben haben geklirrt, die Klimaanlage ist fast von ihren Halterungen gefallen, draußen ratterte ein Bauzahn über die Straße. Irgendwann um drei rum kehrte endlich ein bisschen Ruhe ein, dann um 4:38 Uhr: „Allaaaaaahu Akbaaaaaar!“ Ohrenbetäubend der Schrei des Muezzins der gegenüberliegenden Moschee zum Morgengebet. Kurz vor dem Schlafengehen hat Zeina mir noch erzählt, dass die Moscheen aus Rücksicht auf die nicht-muslimische Gemeinschaft die Lautsprecher für die Gebetsrufe leiser gestellt haben…

Khaled Lagoon mit Al Noor Mosque
Khaled Lagoon mit Al Noor Mosque

Und das ist wirklich nicht sehr zeremoniell und andächtig, wenn da mitten in der Nacht losgebrüllt wird. Bei uns in der Nachbarschaft daheim ist innerhalb von 10 Minuten die Polizei da bei sowas…
Ganz früher stand da wirklich noch ein Muezzin auf dem Minarett, der konnte ja gar nicht so laut brüllen. Seit ein paar Jahrzehnten wird es jetzt per Lautsprecher ausgerufen, wobei das zunächst noch ein Mitglied der Gemeinde war. Inzwischen werden aber immer öfter Ausländer dafür eingesetzt. Von denen haben sie hier ja genug, die freuen sich über einen Job, und viel bezahlen muss man ihnen auch nicht. Zeina meint, dass viele Leute dadurch ganz aufgehört haben, auf den Gebetsruf zu warten, weil der in so gebrochenem Arabisch vorgetragen wird, dass die Andacht völlig am Boden ist. Und eigentlich soll das Gebet am Morgen so in sich gekehrt und mit sich im Reinen durchgeführt werden, dass man niemanden dadurch aufweckt. Ja, dumm geloffe…

Khaled Lagoon
Khaled Lagoon

Am Morgen war ich dementsprechend gerädert, aber wenigstens stand nicht gleich wieder eine Arabisch-Lektion an, denn Mama Leena ist Lehrerin und arbeitet von 9 bis 15 Uhr. Dann kommt sie heim, kocht was, sodass es auf 16:30 Uhr Mittagessen gibt. Ja, Mittagessen. Denn morgens passiert hier nicht viel, draußen ist alles tot, also isst man in Syrien (Leenas Heimat) den ganzen Vormittag an tonnenweise fettigem Essen rum. Und dann ist man auch satt bis spätnachmittags.           
Arabischlernen tu ich dann also von etwa 19 bis 23 Uhr, denn nach dem Essen braucht Leena eine Zigarette und ein Stündchen Chillen, in der ich ein Stündchen vorschlafen kann.

Das trifft sich perfekt, denn pünktlich um 18 Uhr brüllt der Muezzin zum Abendgebet…

 


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