Ganz knapp bevor es wieder Richtung Heimat geht, fiel plötzlich allen Kollegen ein, dass ich noch nicht im Highland Paradise war und dass ich das ja dringend noch tun müsse. Also hat Chefin Mii mir eine geführte Tour gebucht, die ich dann auch zum halben Preis bekommen habe.
Das Highland Paradise ist ein Projekt hoch oben in den Bergen Rarotongas, das sich zur Aufgabe gemacht hat, ein altes Dorf, das hier etwa 600 Jahre lang stand, wieder aufzubauen. Ein Gebiet von über 80 Hektar Größe wurde also vor etwa 600 Jahren von einem Stamm besiedelt, der hier lebte bis ins 19. Jahrhundert, als die Missionare kamen. Der Stamm hieß Tinomana, benannt nach dem ersten höchsten Häuptling Tinomana. Erst in den späten 60ern wurde das Gebiet weiträumig erkundet und archäologisch untersucht. Einer der Ur-Ur-...enkel des Häuptlings hat das erste Marae (Maori-Tempelstätte) gefunden und es freigelegt. Traditionelle Hütten wurden nachgebaut und heute gibt es Führungen, die die Geschichte und Kultur der Maori in der Gegend beleuchten.
Auf den 80 Hektar soll es acht Marae geben, doch erst die Hälfte wurde bis jetzt entdeckt. Außer dem einen freigelegten sind alle irgendwo im Busch verborgen.
Als ich am Mittwoch im Auto eines Kollegen den Berg raufkraxelte, sollte ich eine geführte Tour mitmachen. Es stellte sich aber raus, dass ich die einzige Anmeldung für den Tag war und die Frau, die die Touren normalerweise macht, dachte wohl, dann kann sie es auch gleich lassen. Chefin Tutu (Tochter des Mannes, der das erste Marae freigelegt hat) hat dann also selbst mit mir die Tour gemacht. Als sie die eigentliche Führerin anrief und fragte, wo sie sei, meinte die nur „Bin rudern...“ Na super.
Mit Tutu über das weitläufige Gelände zu schlappen war aber glaube ich die beste Sache zu tun, denn sie war bei den Ausgrabungen dabei und kennt das ganze Gebiet wie ihre Westentasche. Sie ist auch Nachfahring von Tinomana und kennt die ganzen Legenden, die man sich erzählt. Es war sehr faszinierend, die ganzen großen Steinbrocken zu sehen, die im Marae rumliegen und sich zu überlegen, wie die Leute von damals die da hochgeschafft haben. Das weiß man bis heute nicht. Ziemlich coole Sachen gibt es da zu entdecken, zum Beispiel einen steinernen Sessel. Der wurde von Maori-Forschern sofort als Stuhl des Häuptlings identifiziert und ist oben so geformt, dass ein erwachsener Mann bequem drin sitzen kann.
Ein anderer etwas außerhalb des Marae zeigt ähnliche Formen, aber war wohl eher eine Art Liege. Der Häuptling betrat niemals den Boden, er wurde immer von seinen wichtigsten Kriegern getragen oder stand auf ihren Rücken wenn sie gebückt hinkrochen, wo er hinwollte. Man sieht neben jedem der Häuptlingssessel weitere Steine, auf denen die zwei Leibgarden standen oder saßen. In einigen sieht man sogar sehr eindeutig die Abdrücke von einem Fuß, der jahrelang an der selben Stelle stand. Der Häuptling konnte natürlich auch nicht mal eben aufstehen um aufs Klo zu gehen. Deswegen gibt es in dem Liegestuhl eine Rinne, die er einfach runterpinkeln kann. Das ist archeologisch bewiesen, denn es wurden Tests am Gestein gemacht. Ziemlich coole Stories gibt es da zu hören.
Dieses Dorf war übrigens das, was sich aus dem Distrikt Vaka Puaikura entwickelte. Und hier war es auch, wo sich der Fluss mit dem Blut des Feindes aus Takitumu rot färbte (hatte ich letztens mal erzählt). Weil das Gelände am Berg so unzugänglich war, griffen die Krieger aus Takitumu an um es einzunehmen, doch die Steilwände hochzukommen war mühsam und die Puaikurianer merkten schnell, was vorging und rollten riesige Felsbrocken ins Tal hinunter.
Die Maori waren ziemlich schlau – was die alles erfunden haben! Zum Beispiel wird ein traditioneller Umu (Erdofen) noch heute so gebaut, wie es vor hunderten von Jahren in Dörfern wie diesem vorgemacht wurde.
Besonders faszinierend ist ein Fels, der auf einer Art kleiner Terrasse etwas unterhalb der Dorfebene steht. Er sieht ein bisschen aus wie der Daumen, den ein Anhalter an der Straße raushält um mitgenommen zu werden. Der Daumenfelsen zeigt haargenau nach Neuseeland. Nach Neuseeland sind die großen Vaka (Auslegerkanus) aufgebrochen und von ihrem Aussichtspunkt oben am Berg konnten die Dorfbewohner die Abreise überwachen. Dass der Fels direkt nach Neuseeland zeigt ist wirklich erstaunlich und niemand kann sich wirklich erklären, wie sie den so genau ausrichten konnten. Alle Navigation ging zu dieser Zeit nach Sternen und natürlichen Vorkommnissen, aber dass das so genau geht, ist schon ziemlich cool.
Zu den Vaka gibt es übrigens auch eine coole Story. Die wurden über Jahrhunderte so gebaut – ein großer stabiler Rumpf, der mit einem Auslegerrumpf durch dünne flexible Holzstangen verbunden war. Der Ausleger machte die Kanus sehr einfach zu navigieren und gab ihnen eine sehr stabile Lage auch bei Wellengang. Das ist eigentlich so wie ein heutiger Katamaran, nur eben komplett von Hand geschnitzt und es hat oftmals mehrere Jahre gedauert ein Vaka fertigzustellen. Das längste Vaka, von dem berichtet wird, konnte locker 180 Ruderer halten! Diese Vaka sind extrem schnell. Aus Captain James Cooks Logbüchern geht hervor, dass er, als er an einer der Inseln war (ich glaube es war Tonga) und für die Nacht draußen vor der Bucht ankern wollte, die Einheimischen mit ihren Vaka Kreise um sein Schiff ruderten, weil sie so schnell und er so langsam war.
Captain Cook fand das so faszinierend, dass er sich so ein Vaka mal genauer angeschaut und genau vermessen hat und sehr präzise Zeichnungen angefertigt hat. Diese Zeichnungen und Berechnungen lieferte er in England ab, sie wurden in den königlichen Archiven abgelegt und nie wieder gesehen. Erst vor ein paar Jahren wurden die Aufzeichnungen umdeklariert und sind nun öffentliche Dokumente. In Rarotonga hat eine Truppe Schnitzer und Bootsbauer sich die Aufzeichnungen geschnappt und baut nun seit einigen Jahren traditionelle Vaka auf die ganze traditionelle Weise, komplett aus Holz und ohne Maschinen. Ein Vaka ist fertig, damit fahren sie jetzt zwischen den Inseln hin und her, es ging von Rarotonga aus erst auf die äußeren Inseln und dann nach Neuseeland. Es ist die Tage zurück gekommen. Ziemlich tolle Sache.
Aber zurück zum Highland Paradise. Tutu und ich saßen noch kurz zusammen nachdem wir alles angeschaut hatten und kamen drauf, dass ich ja Tourismusstudentin bin, also hat sie mich spontan eingeladen, an dem Abend vorbeizukommen und kostenlos die traditionelle Island Night mitzumachen. Die kostet normal um die $80, also war das echt cool. Bezahlen sollte ich sie mit einem ausführlichen Feedback zu dem Event.
Abends kurz vor der Dämmerung ging es also mit Raro Tours-Fahrer Willie wieder hoch auf den Berg mit knapp 100 anderen Leuten. Die Tour durchs Dorf war ein bisschen wie ein Cattle Drive – 100 Leute in fünf Gruppe und man muss dauernd nach seiner Gruppe und seinem Guide schauen, das war aber auch nicht das Highlight des Abends. Es gab nach der Tour ein Buffet, nicht annähernd so gut wie das bei Te Vara Nui, wo ich mit meinen Eltern war, aber ausreichend und sehr lecker. Dann begann die eigentliche Show mit Tanz und Trommeln und einem supernetten Moderator mit einem unglaublich langen unaussprechlichen Namen („you can call me Danny!“ also alles kein Problem).
Der Moderator erzählte immer kurze Stücke aus der Geschichte des Tinomana-Stammes und der Tanz und Gesang danach zeigte genau dasselbe nochmal anders. Ziemlich cool, denn die Tänze waren nicht immer dieselben. Zu Beginn der Besiedlung war noch nicht so viel Hüft- und Kniegewackel im Tanz, dafür mehr mit den Händen und mehr direkte Assoziationen mit dem gesungenen Text. Da aus den eher spirituellen Tänzen mit der Zeit eher Freudentänze wurden, begann nach und nach das Gewackel dazuzukommen. Als die Missionare kamen, sahen die das natürlich gar nicht gern: Männer mit nichts an außer Grasröcken, die immer wegwehten; Frauen obenrum nur mit Blumenketten und Palmblättern bedeckt und freiem Bauchnabel. Also wurde dem ganz schnell ein Ende gesetzt: die Röcke wanderten hoch bis zum untersten Rippenbogen, die Frauen mussten sich obenrum mit irgendeiner Art Stoff bedecken und die Männer mussten lange schwarze Stoffhosen unter ihre Röcke ziehen. Als die Tänzer auf der Bühne das auch so machten, war das schon ein höchst seltsamer aber lustiger Anblick.
Erst als die Cookinseln unabhängiger wurden, begann sich die Tracht wieder zu ändern und alle waren glücklich, als endlich der Bauchnabel wieder an die frische Luft durfte. Oben-ohne waren die Frauen danach nicht mehr, dafür gibt es ja Pareos als Bikinioberteil gebunden und die berühmten Kokos-Bikinis um die Kokosnüsse festzuhalten ;)
Insgesamt ziemlich cooler Abend, ich hab auch eine CD von der Band, die (und die Tänzer) übrigens allesamt Nachfahren des Häuptlings Tinomana sind. Wer sich das mal anhören will, kann ja mal fragen, wenn ich wieder daheim bin.
Sodele, jetzt muss ich fertig packen. Aere Mai und schönen Abend euch allen!
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