Kiss the Road in Rarotonga

Bevor ich hier wieder abhaue, muss ein Blog zum Thema Straßenverkehr in Raro sein. Denn das ist nun wirklich eine Sache, an die man sich hier gewöhnen muss und ob man das als Deutscher jemals wirklich hinbekommen würde, wage ich zu bezweifeln.

die haben hier halt andere Maßeinheiten
die haben hier halt andere Maßeinheiten

Für mich war es sehr schwierig, mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten. Wo man bei uns innerorts 50 und außerorts 100 fahren darf, darf man auf Rarotonga höchstens 50 fahren. „Innerorts“, also in der Hauptstadt Avarua und entlang der Muri Lagoon, ist 30er-Zone. Offenbar ist die 50er-Obergrenze auch so ziemlich das einzige, bei dem man hier bei Nichtbeachtung ein Bußgeld aufgedonnert kriegen kann. Das ist, wie in Neuseeland auch, richtig richtig teuer. Für 10km/h zu schnell ist man also gleich $150 los.

Die 50 sind aber eine gute Einrichtung, denn...

 

Wo es in Deutschland hübsche sehr glatt geteerte Autobahnen und Straßen gibt, hat es auf Rarotonga Straßen, die teilweise aussehen wie zusammengekleistert. Da die meisten Baumaterialien von Neuseeland für teuer Geld hergeschifft werden müssen, wird nur da repariert und ausgebessert, wo es wirklich wirklich nötig ist. Die Inlandsstraße verfällt so langsam von außen, aber das ist ok, denn eigentlich braucht man ja auch nur eine Spur – auch wenn man mit fünfzig Sachen um die Kurven brettert. Die Hauptstraße an der Küste entlang ist da schon schöner. Allerdings ist nur der Teil im Norden (da wo ich wohne und da wo Flughafen und City sind) recht gut geteert. Die Straße am Flughafen wurde erst Anfang des Jahres neu gemacht. In der Stadt wird jetzt gebaut. Seit etwa drei Monaten. Das ist richtig nervig.

Wo man in Deutschland eine halbe Woche Baustelle und dann eine neue Straße hat, stehen hier schon seit ich hier bin Baustellenschilder am Straßenrand wenn ich zum Markt fahre. Wirklich bauen tut niemand, es gibt meist einen in einer großen Maschine mit Rädern, einen, der ausmisst, einen, der redet, einen, der zuhört und einen,vder teeren könnte, es aber nicht tut. Es gibt nur eine Sorte Baustellenschilder, die sagen „Achtung, 10km Baustelle. Bitte langsam.“ Man beachte: 10km würde bedeuten, dass die Baustelle ein Drittel der Insel einschließt.

 

Wo man sich in Deutschland im Schilderwald fast verfährt und in der Stadt alle paar Meter mindestens ein Schild hat, stehen hier Palmen. Schilder mögen die hier allgemein nicht, hab ich so das Gefühl. In den 30er-Zonen gibt es an der Hauptstraße nicht alle paar Meter eine Erinnerung, sondern ein Schild am Anfang und eins in der Mitte der Zone. Die 50er-Schilder gibt es etwas öfter, aber insgesamt auch nur etwa ein Dutzend mal an der Hauptstraße. Es gibt ein einziges gelbes Schild fürs „Achtung, Reiter!“ und vereinzelt mal ein Stopschild. Die allerdings nicht an der Hauptstraße, sondern an den einmündenden Verbindungssträßchen von der Inlandsstraße. Ein Vorfahrt-gewähren-Schild habe ich seit Januar nicht gesehen.

größtes Einkaufszentrum am Ort
größtes Einkaufszentrum am Ort

Wo in Deutschland an jeder Kreuzung, die was auf sich hält, eine Ampel installiert ist, ist das hier alles viel einfacher. Es gibt einfach keine Kreuzungen, an denen eine Ampel hilfreich wäre. Obwohl die eine oder andere Fußgängerampel wirklich nicht schaden könnte, gibt es keine einzige Ampel in der Gesamtheit der Cookinseln.

Selbst wenn bei einer Baustelle eine Spur gesperrt werden muss, gibt es keine einspurige Regelung per Ampel, nein, dann stehen zwei sehr wenig begeisterte Helfer-Männlein jeweils an einem Ende der Baustelle und halten Stop- und Go-Schilder hoch. Wenn man mit dem Rad da ist, winken sie einem meist freundlicherweise schon von weitem zu und man darf auch beim Stop durchfahren, man ist ja schmal ;)

 

Wo in Deutschland lange geplant und überlegt und ausprobiert wird, werden hier die Linien offenbar einfach so auf die Straße gemalt. Unterschiedliche Strichbreiten gibt es nicht, wo die weiße Farbe aus war, nimmt man einfach die gelbe. Wenn die Farbe nach jahrelangem Befahren nicht mehr zu sehen ist, ist das auch nicht weiter schlimm – kennt ja eh jeder die Straßen wie seine Westentasche und weiß, wie er zu fahren hat.

der einzig richtige Weg der Inselfortbewegung
der einzig richtige Weg der Inselfortbewegung

Wo man in Deutschland aus dem Verkehr gezogen wird, wenn man kein verkehrstüchtiges Auto fährt, hört die Verkehrstüchtigkeit hier erst auf, wenn das Auto schlichtweg nicht mehr fahren kann. Blinken tut eh keiner, also kann der Blinker auch ruhig kaputt sein. Wenn eine Birne im Licht kaputt geht, wird sie mit der aus dem Bremslicht ausgetauscht. Die wird natürlich nie ersetzt – wer muss schon wissen, wenn jemand bremsen will? Bremsen und Blinken wird eh überbewertet. Hier brettert man einfach weiter um die Kurve und in die Einfahrt und irgendwie wird’s schon klappen.

 

Wo man in Deutschland im Stau steht, besteht die „Rush Hour“ (laut der Busfahrer) aus den Kirchgängern am Sonntag und den Marktgängern am Samstag. Während man sich in Deutschland ab einer viertel Stunde aufregt, beginnt der „Stau“ hier bei 50 Autos und fünf-minütigem Warten.

Wo in Deutschland gern Bus und Bahn benutzt werden, fährt hier so gut wie keiner der Einheimischen im Bus. Außer die Busfahrer. Dabei ist es im Bus eigentlich immer ganz lustig. Neuerdings kostet die Fahrt statt 4 plötzlich 5 Dollar, aber man bekommt als Tourist ordentlich was geboten – vorausgesetzt man erwischt den richtigen Fahrer. Es gibt mehrere, die Tourguide spielen und den Touris an Bord allerhand lustige und wichtige Einzelheiten des Insellebens verklickern, wenn sie an was interessantem vorbeifahren. Einen einzigen gibt es, der auch singt. Den hatte ich heute früh. Es war kurz vor 10, also kurz vor Kirche und der Fahrer sang den ganzen Weg von Nikao nach Avarua „She tied you to her kitchen chair, I don't know any of the following words, but I just keep on singing Hallelujah, Hallelujah, Halleluuuuuuuuuuuuuujaaaaaaah!“

Da vergisst man doch glatt, dass der nette Busfahrer 40 Minuten zu spät dran war...

Central Bus Station
Central Bus Station

Wo in Deutschland gerne mal das Rad benutzt wird, oder mal zu Fuß gegangen wird, benutzt man hier immer (IMMER) sein motorisiertes Gefährt. Wenn meine Kollegen in der Frühstückspause was zu essen brauchen, nehmen sie Jeris Roller und düsen zur Tanke und zurück. Einmal haben wir es ausprobiert und ich war wirklich schneller mit Laufen! Am Mittwoch ist Dinner am Flughafen mit den Kollegen. Shannon will mich mitnehmen und meinte letzt „Wir gehen zusammen.“ Ich fragte sie „Wann laufen wir denn los?“ und sie „Was? Wir LAUFEN doch nicht?!“

der super-einfache Busplan
der super-einfache Busplan

Laufen funktioniert allgemein ganz gut. Die Wege ziehen sich zwar teilweise, aber man kommt trotzdem schnell voran. In viereinhalb Stunden kann man wohl einmal um die Insel laufen (laut dem Busfahrer). Beim Marathon sind sie schneller. Wenn man läuft, wird man komisch angeschaut und wenn man den Finger rausstreckt auch meist mitgenommen, wo auch immer man hin will. Wenn man wo hin läuft, wo man auch hin fahren könnte, wird man angeschaut, als wär man völlig bescheuert.

hätte ich das früher gewusst, hätte ich mir ja für 2$ ein Huhn anschaffen können
hätte ich das früher gewusst, hätte ich mir ja für 2$ ein Huhn anschaffen können

Fahrradfahren ist anstrengender. Weil die Straßen so kaputt sind, ist es eher Fahrradhoppeln als Fahrradfahren. Und egal, wie sehr man auch die Straßenrandsbotanik knutscht, jeder zweite Roller fährt so nah an einem vorbei, dass man jedes Mal das Gefühl hat, unfreiwillig mitgenommen zu werden. Dank fehlender Gehwege und Zebrastreifen hat man fast überall das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Man watschelt halt vor sich hin, muss dauernd aufpassen, wo man hintritt, um nicht aus Versehen ein Hühnchen kaputtzumachen. In Avarua gibt es Geh- und Fahrradwege. Die sind schön breit und schön glatt. Leider sind sie bis zu 25cm hoch. Seitdem ich hier immer mit dem Rad in die Stadt schnaufe am Samstag, vermisse ich wirklich diese tolle Erfindung des abgesenkten Bordsteins.

Wo man in Deutschland brav angeschnallt hinter dem Steuer und im Auto sitzt, wird man hier ausgelacht, wenn man als Beifahrer seinen Gurt anlegen will. Man fährt ja nicht schnell, also braucht man auch keinen. Oder so. Es ist allerdings wirklich angenehmer, bei der Hitze nicht so eng am Sitz zu kleben. Wenn man nicht angeschnallt ist, bekommt man nur eine Geldstrafe, wenn man schneller als 60 gefahren ist. Weil man dann aber eh ein Knöllchen kriegt fürs zu schnelle Fahren, ist's dann auch egal.

gar nicht mal so unbequem
gar nicht mal so unbequem

Wo es in Deutschland für jedes Auto die Regelung gibt „nur so viele Mitfahrer wie Sitzgurte vorhanden“, ist die Zahl der Mitfahrer auf den Cook'schen Straßen an die Größe des Autos gebunden. Solange das Auto noch fährt und nicht auseinanderfällt, kann man also jeden reinstopfen, der reingeht. Am Sonntag sieht man dementsprechend öfters mal einen Kombi einer Kirchgänger-Familie vollgestopft bis obenhin: Fahrer, Beifahrer mit Kind auf dem Schoß und Baby im Arm, vier auf der Rückbank und zwei bis drei im Kofferraum – je nach Größe der Kinder.

Wo in Deutschland Kleinkinder im Kindersitz sitzen, fahren sie hier meist stehend. Klingt seltsam, ist aber wirklich so. Solange sie nicht schlafen, werden die Kleinen vom Beifahrer stehend auf dem Schoß festgehalten. Wenn es keinen Beifahrer gibt, dann übernimmt's eben der Fahrer. Kinder, die aus dem üblichen Kindersitz-Alter heraus sind, können im Prinzip fahren, wie sie wollen. Meist sieht man die in Autos ohne Ladefläche stehend im offenen Beifahrerfenster hängen. Weiße finden sie offenbar immer wieder faszinierend, denn immer wenn ein Auto mit Kind an mir vorbeikommt, starren die mich riiiiesengroß an.

 

Wenn das Auto kein normaler PKW sondern ein Pick-Up mit Ladefläche ist, fahren Kinder und alle, die nicht mehr vorne reinpassen, meist dort. So eine gewöhnliche Ladefläche kann laut Inseleinschätzung locker ein Dutzend Kinder oder ein halbes Dutzend Erwachsene halten. Am Wochenende fahren junge Trommler und Ukulelespieler gern gemeinsam um die Insel, während sie hinten draußen sitzen und vor sich hin musizieren und Party machen, zur Freude aller Touristen.

Sitzen muss man da natürlich auch nicht. Die Gestänge über dem Fahrer am Autodach eignen sich hervorragend um so zu fahren, wie Emmett in den Twilight-Filmen – stehend mit beiden Armen an die Stange gestemmt und mit dem Ausdruck „Ich bin der König der Welt“ auf dem Gesicht.

Manche coole Eltern montieren ein Holzbrett quer über die Oberkante des Laderaums, sodass die Kids sich während der Fahrt hinterm Fahrer draußen querlegen können. Wer doch sitzen will, kann das entweder auf dem Boden tun oder auf der Seitenwand mit Beinen innen, mit Beinen außen, mit einem innen und einem außen, mit Beinen hinten raus, oder er kann auf Kühlboxen und Kisten im Laderaum sitzen oder ganz bequem auf einem Sessel, Sofa, Klappstuhl oder Liegestuhl. Ehrlich, alles schon gesehen!

und ich dachte immer, meine Weihnachtssterne daheim wären groß...
und ich dachte immer, meine Weihnachtssterne daheim wären groß...

Wo man in Deutschland mit Helm auf einem Motorroller fährt, muss man hier den Helm laut Gesetz nur tragen, wenn man mit mehr als 40 unterwegs ist. Das ist natürlich trotzdem jeder und niemand hat den Helm auf. Wieso es da keine Strafen gibt, ist mir ein Rätsel. Die meisten Unfälle hier passieren übrigens – kein Wunder – mit mindestens einem Rollerfahrer. Auf dem Roller ist es gesetzlich nicht erlaubt, jemand zweiten hinten drauf mitzunehmen. Tut aber jeder. Ich selbst bin drei Mal bei Jeri und zwei Mal bei Maria hinten drauf mitgefahren. Ich bin so schlau und halte mich wenigstens fest. Das tut sonst eigentlich niemand.

 

Da man eh so schwitzt, bleibt jeder Mitfahrer so weit wie möglich vom Fahrer weg und hält sich, indem er sich die Arme in die Oberschenkel stemmt um das Gleichgewicht zu halten. Das sind allerdings nur diejenigen, die sich so halten können. Kinder werden hintendrauf mitgenommen und halten sich halt fest, wo auch immer sie rankommen. Manchmal an der Handtasche der Mutter oder den Haaren der Schwester oder der Wasserflasche, die Papa unterm Arm hält.

Oder sie stehen mit einem Bein unten auf dem Tritt, um Halt zu haben – der Hintern sitzt dann natürlich quer am Sitz und das zweite Bein kommt nicht mal halb bis runter zum anderen Tritt. Wenn dann auch noch wild gestikulierend diskutiert wird, dreht sich mir der Magen um und ich seh das Kind schon in Einzelteilen auf der Straße verteilt.

 

Bei Kleinkindern und Babys verhält es sich wieder anders. Die können ja nicht genug auf sich selbst aufpassen, die bekommen dann ein Pareo um Rücken und Hintern gebunden, der dann vorne vor dem Bauch des Fahrers verknotet wird. Die Kinder sitzen also dann wie in einem Baby-Tragetuch auf dem Rücksitz.

Auf solchen Rollern sieht man allerhand Gestalten mit lustigen Dingen. Ein Batterie-Radio zwischen den Beinen im Fußraum ist da noch das normalste. Riesige Holzlatten oder Surfboards unter einem oder beiden Armen ist auch nicht selten. Wenn groß eingekauft wurde, hat der Mitfahren beide Arme um riesige zusammengeschnürte Pakete aus den Einkäufen gelegt. Besonders lustig ist es, wenn ein Roller zum Wassertransporter umfunktioniert wird. Da das normale Wasserhahn-Wasser meist nicht gefiltert ist, gibt es am Straßenrand öfters mal eine Auffüllstation, wo man seine großen Wasserkanister wieder füllen kann. Viele der Einheimischen haben daheim so einen Automaten, wie man ihn aus Kaufhäusern oder Arztpraxen kennt, mit einem großen Kanister Wasser oben und einer Art Zapfhahn unten wo man seinen Becher drunterhalten kann. Diese Kanister werden also, wenn leer, zu diesen Stationen gebracht um aufgefüllt zu werden. Das sind teilweise 30-Liter-Kanister und wie die es schaffen, bis zu vier dieser Dinge auf einem so winzigen Gefährt unterzubringen, kann ich mir echt nicht erklären.

Naja...übrigens zur Erklärung des Titels: http://youtu.be/ytsE-o6wnNk das ist ein Lied mit dem Titel „Kiss the Road in Rarotonga“. Das Lied ist nicht sonderlich schön (und geht erst bei 1:10 los), aaaaber das Video zeigt eine Fahrt von der Meteorologenstation bis zum Hafen. Natürlich der schönste Teil der gesamten Küstenstraße, also nicht denken, ich erzähl euch hier (nur) Blödsinn. Auf dem Video ist praktisch links hinter den Grundstücken direkt der Strand. Bei 0:36 ist rechts meine geliebte 24-Stunden-Tankstelle, dann kommt bei 0:47 rechts ein blau-weißes und ein großes Schild mit Holzrahmen – das sind die Island-Hopper-Schilder. Direkt dahinter die große weiße Halle mit grünem Dach ist das Raro-Tours-Depot. Man beachte bei 1:05 den suuuperschönen Flammenbaum auf der Rechten ;) bevor bei 1:43 rechts nach dem Zaun die Einfahrt zum Flughafen und die einzige stets getrimmte Hecke ist. 2:34 öffentlicher Friedhof und rechts höchster Berg der Insel, 3:31 Avarua Hafen. Cool, wa?


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