Kia Orana liebe Freunde, es geht schnell auf Ostern zu und ich bekomme davon eigentlich gar nichts wirklich mit. Es gibt hier Schokoeier zu kaufen, aber ich frage mich, ob die überhaupt den Weg vom Kühlraum bis zur Kasse beim Supermarkt überleben würden. Am Mittwoch früh um 8 hatte es auf dem Markt 29 Grad im Schatten. Das ist schon kein warmes Wetter mehr, das ist einfach nur noch fast unerträgliche Hitze.
Die Insulaner merken das kaum. Ja, es sei schon arg warm, aber Tahei und Tere sind die Woche in der Mittagspause zusammen laufen gegangen in kurzärmligen T-Shirts und knielangen Hosen. Obwohl es ab 36 Grad draußen dann wohl auch ziemlich egal sein dürfte, wie viel man an hat. Wenn ich in der Mittagspause in den Bunker komme und ohne mich zu bewegen auf meinem Bett sitze, läuft mir die Soße schon die Stirn runter. Das ist echt nicht mehr normal. Und ich dachte, in Townsville war es zuletzt arg warm. Aber hier scheint es schlimmer zu sein. Es ist jetzt warm und schwül genug, dass die Passionsfruchtbäume wieder Früchte tragen, doch zu heiß um samstags weiterhin auf den Markt zu gehen. Neuer Markttag wird jetzt also wohl Dienstag, denn da übernehme ich die Spätschicht von der schwangeren Mos, fange also erst um 10 mit der Arbeit an – Zeit genug um zum Markt zu radeln, kalt zu duschen, 2 Minuten Haare in der Sonne trocknen und auf ins Büro. Oder so. Mal schauen.
In der Arbeit beschweren sie sich, dass ich so weiß bin, aber wollen nicht verstehen, dass ich ja unter der Woche im tageslichtbeleuchteten Büro sitze und am Wochenende nur morgens oder abends
rausgehe, wenn die Sonne nicht so hoch steht. Die Strand-und-Sonnenbrandzeit kommt dann wenn meine Eltern da sind.
Damit ich doch mal rauskomme und das Nachtleben Rarotongas miterleben kann (was ja mit meinem schrottigen Fahrrad etwas schwierig ist), hat Raro Tours-Chefin Jane mich eingeladen, zur Going
Troppo Tour mitzukommen, da fährt man mit einer Truppe Trinkwilliger in einem rostigen Bus mit hochgerollten Plastikplanen statt Fenstern über die Insel und wird bei sieben verschiedenen
Locations abgeladen, wo man dann jeweils eine Stunde Zeit hat zum Besaufen und Bescheuertwerden.
„Troppo“ ist übrigens ein Wortspiel. Es heißt entweder sowas wie bescheuert, wird aber auch als Abkürzung von „tropical“ bezeichnet – wenn man also „troppo“ wird, wird man so bescheuert wie die Polynesier. Oder so. Das Urban Dictionary (eine höchst zuverlässige Quelle, wenn es um sowas geht) sagt dazu: „Term used for Polynesian people. Troppo derives from the word 'Tropical' signifying Polynesians in their geographical location (or where they should be instead of living in your country, milking your social development system).” Außerdem: “Troppos cannot speak properly and pronounce 'B' as a P, and vice versa: Beater, barse me the paul (Peter, pass me the ball)”.
Am Freitagabend geht es also immer rund und diese Woche war ich auch dabei. Sandee, Tere und Maria (alles indirekte Kolleginnen von mir), Nathan (Sohn von Chef Robert) und Marias Bruder Tereki waren auch alle dabei. Weil ich ja direkt am Büro wohne, bin ich rüber zum Parkplatz und habe dort gewartet. Fahrer Patrick war gleich ganz nett und wusste ja, dass ich kommen würde. Er, ich und sein Kumpel Papa Tee quatschten dann auch ganz nett den ganzen Weg bis zu den andern Island Hoppern, die wir aufsammelten. Dann ging es weiter zu drei Hotels, wo der Rest der Mannschaft eingesammelt wurde, insgesamt waren wir dann 18 Troppo-Anwärter. Die 3 Einheimischen, 14 Neuseeländer mit polynesischen Wurzeln und alle miteinander verwandt, und ich.
Pubcrawl-Etappe 1: 1840Uhr. Die Busbesatzung teilt sich auf in Einheimische vorne und Touristen hinten. Mädels zerren an ihren Kleidchen, damit auch bloß nicht mehr zu sehen ist als soll. Jedes Grüppchen teilt unter sich Bier und Mix-Getränke auf. Betretenes Schweigen an der Locals-Tourists-Grenze. Die Vorstellung, heute noch Spaß zu haben, rückt in weite Ferne. Man nickt zur Musik, tappt mit dem Fuß, klammert sich an sein Bier.
Erster Stop der Tour: CocoPutt, der Minigolfplatz. Moment – der Minigolfplatz? Was hat der denn mit dem „Pub“crawl zu schaffen? Chefin Jane und Assistentin/Kollegin Vicki (Taheis Tochter) begrüßen uns mit überlangen neongrünen Blumenketten und tollen leuchtenden Plastikbechern, in denen wir unseren kostenlosen Willkommenscocktail serviert bekommen. Der Minigolfplatz hat für die Öffentlichkeit schon geschlossen, es sind nur wir dort. Sehr dubios. An zwei großen Picknicktischen quetschen sich die noch-nicht-sehr-Trinkfreudigen und warten gespannt darauf, was nun kommen mag. Jane und Vicki bauen zwei Stangen vor den Tischen auf. Fragende Gesichter wo man auch hinschaut. Bis Vicki eine dritte Stange holt und quer über zwei Nägel legt. Ja, in der Tat, ich werde zum Limbo gezwungen. Und hey – ich verlasse das Turnier als zweite der Mädelsgruppe (bestehend aus mir und zwei anderen) und ich komme immerhin bis zur dritten Stangenhöhe runter. Uuuh yeah!
Pubcrawl-Etappe 2: 1950Uhr. Die Locals-Tourists-Grenze lässt sich nicht mehr eindeutig erkennen. Ich sitze zwischen einer mächtig großen big polynesian mumma aus Nelson, Neuseeland, und einem schmächtigen Aucklander. Bier und Mixgetränke werden über die Grenze gereicht. Alle kennen mich, denn wer hätte schon von dem weißen Mädel erwartet, die Limboübung mit Bravour zu meistern? Sie kennen nicht meinen Namen. Sie kennen mich als „white girl“. Man fängt an, den Busfahrer zu drängen, die Musik lauter zu drehen, summt mit, tappt mit dem zweiten Fuß.
Zweiter Stop: The Roadhouse, eine einfache Kneipe, wie man sie von den Trucker-Stops an den australischen Highways kennt; nichts Besonderes, aber es gibt günstiges Bier und viele Klo-Kabinen, was nach der holprigen Fahrt im Bus fast allen der anwesenden Damen sehr entgegenkommet. Zweiter Erfolgsmoment des Abends: Nathan spricht mit mir! Seit ich Mitte Januar hier angekommen ist, hat er mit mir nur unfreiwillig drei Wörter gewechselt und das war am Telefon, als ich an Mumma Mousies Schreibtisch abgenommen habe („Mumma there?“ – „No“ – „Ok.“). Drei Worte. In zwei Monaten. Das muss man erstmal schaffen. Wieso, weiß ich nicht. Aber plötzlich tippt er mich an und fragt „so, dear, how come you have no island boyfriend yet?“ Das ist‘s dann aber auch schon wieder. Seltsamer Kerl irgendwie…
Pubcrawl-Etappe 3: 2100Uhr. Die Grenze ist offen! Jeder wurschtelt sich durch den engen Mittelgang des Busses und fällt dort auf die Bank, wo eben grade Platz ist. Die weibliche Hälfte der Besatzung vergisst, an den Kleidern zu zerren und der männliche Rest freut sich über jedes Höschen, das es zu sehen gibt. Man schreit sich an, denn die Musik wird lauter und lauter. Jedem vorbeifahrenden Roller und Bus wird hinterhergegröhlt. Die mächtig große polynesian mumma sitzt wieder neben mir und beschwert sich, dass ich so weiß bin.
Dritter Stop: Golf Club. Den kenne ich ja nun schon gut. Leider ist der gesamte Biergarten voll mit Leuten, denn es findet ein Familientreffen statt, wie das hier so üblich ist. Die etwa 200 Leute, die da rumsitzen, sind alle miteinander und mit der Band verwandt. Die Band bestand aus einem Keyboarder und einem höchst weiblichen Mann, der aus voller Brust ABBA trällert. Das ist eher meine Musik als das ewige Dubstep-Dance-Techno-Gedonner, aber leider wollen alle anderen wieder gehen. Doof, wenn man die Nase voll hat von der Musik, die alle hören. Die Familientreffenden tanzen im Inselstyle durch die Tische, wir trauten uns nicht, zu doll zuzuschauen, sonst zwingen sie uns vielleicht zum Mitmachen. Kurz bevor Patricks Trillerpfeife uns die Weiterfahrt verkündet lerne ich eine nette Neuseeländerin kennen. Sie ist blond und hellhäutig. Ihren Namen kenne ich nicht.
Pubcrawl-Etappe 4: 2200Uhr. Niemand weiß, wo die Neuseeländerin eigentlich hergekommen ist. Irgendwo auf dem Weg müssen wir sie wohl aufgegabelt haben. Sie hat immer noch keinen Namen. Sie kommt aus Wellington, also heißt sie „Wellington“. Ich heiße „white girl“. Patrick stellt uns Kollegen der Besatzung vor und verwechselt Buchstaben und Silben und ganze Wörter. Tere heißt jetzt Nere, Nathan heißt John, und Sandee heißt auch Nere.
Vierter Stop: Hideaway Bar. Ziemlich cooler Schuppen mitten in Avarua mit orangenen Wänden um einen offenen Hinterhof mit überdachter Tanzfläche, hier geht man hin an einem Freitagabend, wenn man sich zu den coolen Cooks zählt. Die Touristen verheddern sich beim Tanzen in ihren überlangen Blumenketten. Wir gehören alle zusammen, sind wie eine große Familie. Die Familie der neongrünen Blumenketten. Und wir sind überall. Wellington findet mich und wir fangen an zu quatschen. Wir müssen uns anschreien weil es so laut ist, aber wenigsten spielt der DJ von „Hidie’s“, wie es die Einheimischen nennen, einen perfekten Mix aus aktueller Tanzmusik und einheimischen Songs. Wir treffen Kollegin Jeri, aber nach fünf Minuten ist sie im Getümmel auf der Tanzfläche untergegangen, wo die mächtig große polynesian mumma sich unter die Einheimischen gemischt hat und ordentlich den Hintern schwingt.
Pubcrawl-Etappe 5: 2300Uhr. Nathan vergisst seine übliche Persönlichkeit und singt mit. Als er es merkt, steigt er beim nächsten Stop in der Stadt aus und fährt im Taxi nach Hause.
Seltsamer Kerl irgendwie. Die Musik im Bus ist mittlerweile so laut, dass ich den Kopf aus dem nicht vorhandenen Fenster hänge und in den knallschwarzen Himmel schaue. Die Sternen sind in der
Schwärze gut auszumachen und nicht zum ersten Mal fühle ich mich high, nur weil ich so viele Sterne sehen kann. Und diese Schwärze! Die mächtig große polynesian mumma lässt sich neben mich auf
die Bank fallen, sagt, dass sie zu viel getrunken hat und beschwert sich, dass ich so weiß bin.
Patrick gibt mir seine Nummer, damit ich anrufen kann wenn ich verloren gehe, er wurde schließlich beauftragt, auf mich aufzupassen. Ich will „Patrick“ in mein Handy tippen, da sagt er „alle
nennen mich Bati, B-A-T-I.“ Ich tippe und er sagt „nein, das andre B“ und ich tippe Pati. Er nickt. Er ist also wirklich troppo.
Fünfter Stop: Trader Jack’s Bar & Grill. DIE Bar in Avarua, direkt an der Hafenmauer mit DEM besten Fischsandwich der Insel. Aber ich darf nicht hin, weil ich mich allein mit den Touristen nicht traue und die Einheimischen tanzen wollen. Na gut, ich bin ja geübt drin, nicht zu tanzen. Stattdessen geht es für Sandee, Maria, Tereki und mich direkt zum
Sechsten Stop: Whatever! Bar & Grill (alles in fußläufiger Entfernung). Eine einfache Open Air-Bar oben auf dem Dach einer alten Lagerhalle, total gechillt, mir gefällt’s gut. Jemand merkt,
dass Tere nicht da ist und wir gehen sie suchen. Wir verlieren uns und schließlich sitzen Maria und ich beim
Siebten Stop: Rehab. Der einzige richtige Nachtclub der Insel und direkt schräg unter der Whatever! Bar. Wir müssen unsere überlangen Blumenketten tragen, damit die Türsteher uns kostenlos reinlassen und drinnen leuchtet es überall neongrün unter den Schwarzlichtlampen. Ich weigere mich erfolgreich, mit auf die Tanzfläche zu kommen und nach einem viel zu starken Midori-Sprite überrede ich Maria, tanzen zu gehen. Schließlich kommt auch Sandee wieder, ich drücke ihr Marias Sachen in die Hand und verdrücke mich nach draußen in die Schwärze unter dem krassen Sternenhimmel.
Ich finde den perfekten Sitzstein am kleinen Bächlein und schaue in die Nacht. Ich war nie ein Club-Mensch und ich freue mich, dass ich hier einfach sitzen kann bis der Bus um Punkt halb 2 wieder Richtung Nikao abfährt. Pati, der immer ein Auge auf den Bus haben muss, sieht mich da sitzen und setzt sich dazu. Er ist ein lieber Kerl und wir quatschen eine Weile. Als wir fast bereit zum Abfahren wieder im Bus sitzen, kommt eine Truppe Neuseeländer und will mitgenommen werden. Ziemlich lukrativ für Pati, der wird eh für acht Stunden Nachtschicht bezahlt und kann dann nachts Taxi spielen und bringt die Neuseeländer für 10 Dollar pro Nase nach Hause.
Finale Etappe: 130Uhr. Von der ursprünglichen Besatzung bin nur noch ich übrig. Tereki hat mich angebettelt wie ein kleines Kind, ob er noch bis 2 Uhr bleiben kann, dann war es ihm auch egal, wenn der Bus schon weg ist. Sandee hat einen Bekannten getroffen und alle sind versorgt. Wie die Touristen nach Hause kommen, ist ihre Sache, aber sie wohnen alle nicht allzu weit außerhalb Avaruas. Wellington sitzt noch mit im Bus.
Einer der Neuseeländer heißt auch Wellington und macht sich an unsere Wellington ran. Es wird verwirrend, wir hätten doch richtige Namen austauschen sollen. Am Ende der Fahrt verabschieden sich die Neuzugänge mit Küsschen hier und Küsschen dort und sagen, es war ja soo schön, mich kennenzulernen. Wir „kannten“ uns ganze 14 Minuten. Einer der Neuseeländer bleibt sitzen, starrt mich mit leerem Blick an und sagt „nein, das ist nicht mein Hotel“. Seine Mitreisenden kommen zurück an Bord, packen ihn unter den Armen und versichern ihm, es sei doch sein Hotel.
Um kurz nach 3 falle ich kaputt und mit extrem schweren Augenlidern ins Bett und nehme von dem Abend besonders vier Dinge mit. Erstens: Für die Busfahrt für $35 und Getränke im Wert von etwa $40 habe ich insgesamt $11 ausgegeben, das hat sich gelohnt. Zweitens: Betrunkene Pazifikmenschen sind verwirrend und amüsant und anstrengend und ein bisschen rassistisch und das alles gleichzeitig. Drittens: Es ist ein wirklich seltsames Gefühl, „white girl“ genannt zu werden und die einzige Weiße in einem Bus voller Troppos zu sein. Und viertens: So eine schwarze Nacht mit so vielen Sternen hab‘ ich WIRKLICH noch nie vorher gesehen.
Mittlerweile bin ich übrigens wieder nüchtern – so ein Blog bewirkt doch immer wieder Wunder… ;)
Kommentar schreiben