Zweiter Tag in Cooktown – endlich einigermaßen ausgeschlafen dank superbequemem Queensize-Bett bei Gery. Musste trotzdem früh raus, denn ich hatte mich ja angemeldet für die Guurrbi-Tour – „one of Australia’s great hidden experiences“ – nämlich eine vierstündige Wanderung durch das Land des Nugal-warra-Stammes.
Ziemlich coole Sache: ein Privatmensch namens Willie, der dem Aboriginal Stamm angehört und deren traditioneller „story-keeper“ ist, nimmt kleine Gruppen von Besuchern mit und zeigt ihnen den
Busch und die traditionellen Orte seines Stammes. Ich wurde morgens früh abgeholt in einem kleinen Bus, nur noch 2 andere an Bord: Elly und Gavin, Besitzer einer riesigen Misch-Farm in New South
Wales. Sehr sehr freundlich und gesprächig, also versprach es jetzt schon, ein guter Vormittag zu werden.
Es ging im Bus über Dirt Tracks bis zu einem Parkplatz, wo wir eine andere größere Truppe trafen, die sich für die erste Hälfte der Tour uns anschlossen. Das waren so etwa anderthalb Dutzend
Leute, alle recht alt und ich bekam ganz besondere Aufmerksamkeit, weil ich die Jüngste und dazu auch noch die einzige Nicht-Australierin war.
Willie führte uns über die schwarzen Steine, die überall im Busch rumfliegen, und durch meterhohe Grasbüschel mit den Worten „Ihr dürft alles anfassen und fotografieren, aber wer denkt, er müsse
mit den Spinnen spielen, ist selbst schuld wenn er tot umfällt.“ Klare Ansage – und ehrlich gesagt hatte ich auch gar keine großartige Lust, mit den Spinnen zu spielen. Für tolle Fotos haben sie
und ihre gigantischen Netze sich allerdings gut geeignet.
Bevor wir zum ersten Point of Interest kamen, erzählte uns Willie schon alles mögliche über diverse Pflanzen, an denen wir vorbeikamen. So gibt es zum Beispiel einen Blood Tree, aus dem ein rotes
Sekret tropft; wenn man das mit etwas Wasser zwischen den Händen zerreibt, wird’s erst zu einem schwarzen Klumpen, der wie Seife schäumt und von den Aborigines auch genauso verwendet wird. Wenn
man mehr Wasser dazu gibt und weiterreibt, macht das Zeug einem schließlich sowas wie eine zweite Haut. Die Ureinwohner nehmen das also vor allem bei Schnitten und kleinen Wunden als
Allheilmittel – erst säubern, dann verschließen.
Vorbei an zahlreichen Grasbäumen und Spinnennetzen gelangten wir schließlich zu einem großen dunklen Felsen mit einer offenen Art Höhle. Die Wände waren alle voll bemalt mit den typischen rotbraunen Männchen und Tieren, die alle eine bestimmte Bedeutung haben und uralte Geschichten erzählen. Große ovale Kreise, die wie Kartoffeln mit Punkten aussehen, stellen beispielsweise Echidnas (Schnabeligel) dar und zeigen, dass die hier gefunden und gegessen wurden und Frauen mit großen Brüsten und allen Vieren von sich gestreckt symbolisieren Schwangerschaften oder Geburten, die an einem Ort stattgefunden haben.
Nächster wichtiger Punkt war die Regenbogenschlange („Rainbow Serpent“), einer der wichtigsten Charaktere der Ureinwohner. Der Legende nach erschien sie denjenigen, die kurz vor dem Verzweifeln waren, und zeigte ihnen so „Alles wird gut“ – teilweise gibt es da riesige Parallelen zwischen Aborigine-Kultur und Bibel-Geschichten. An der Wand neben der Schlange sind zwei kleine dunkle Männchen gemalt (Du und Ich, sprich: die Menschen), daneben etwas wie eine Nacktschecke (die Tiere und Pflanzen) und dahinter eine große Gestalt mit einem Schein um den Kopf (der Geist), das alles sind die vier Kräfte, die alles Leben beinhalten.
Auf dem weiteren Weg blieb Willie öfters mal stehen, deutete mit seinem Stock auf den Boden und erklärte zu dem langen Strich und den drei kleinen daneben „hier ist vor Kurzem ein Goanna (Riesenechse) vorbeigekommen“, oder bei drei kleinen Vertiefungen „das war wohl ein trächtiger Dingo“. Total faszinierend sowas. Er hat uns auch ganz viel erzählt über das Konzept „Walkabout“ – wer den Film „Australia“ gesehen hat, weiß vielleicht, worum es sich handelt –, bei dem ganze Stämme oder Familiengruppen der Aborigines in die Wildnis losziehen und tage-, wochen- oder monatelang nicht mehr zurückkehren. Willie erklärte uns, dass die Stämme aus der Region hier nie bis in die Wüste (also das „richtige“ Outback) laufen. Sie pendeln regelmäßig zwischen Regenwald (üppig grün und feucht), Scrubland (einigermaßen grün und außerhalb der Regenzeit ziemlich trocken) und Savanne (die trockene Ebene, die ich schon Outback nannte). Und zwar läuft das folgendermaßen ab: Aborigines nutzen nie irgendwelche Karten oder Kompasse; sie richten sich nach der Sonne und meistens nach den Zeichen der Natur. Also sie folgen beispielsweise Tierspuren oder wissen, wenn ein bestimmter Baum Blüten treibt, ziehen irgendwelche Vögel Richtung Meer. Oder so. So wissen sie auch genau anhand irgendwelcher Blüten, wann alle eierlegenden Tiere gerade Eier legen, sodass sie sie nicht töten können. Ziemlich aufregend alles.
Auf der Hälfte des Weges, so nach etwa zwei Stunden, verließ uns die große Gruppe wieder und Willie, Elly, Gavin und ich machten uns allein auf den Weg zum Birthing Place. Hier wurde auch Willies Großvater geboren, unter einem riesigen überhängen Felsbrocken, bemalt mit Geistern, die das Böse von Mutter und Neugeborenem abwenden. Ein Bild ist besonders toll und kann auch in heutiger Zeit noch genauso interpretiert werden: eine weibliche Figur (=Mama), die mit einem Strich (=Nabelschnur) mit einer kleinen Figur(=Baby) verbunden ist und nebendran eine männliche Figur (=Papa), die auf dem Kopf steht. Heißt, Mama kriegt Baby, Papa weiß nicht, was er tun soll :D Immerhin hat er aber einen breien Strich mit Kreis (=Steinaxt) in der Hand, weil Papa ja für die Sicherheit von Mama und Baby zuständig ist.
Ich bin jetzt übrigens offiziell nicht nur Gecko-Fan, sondern grundsätzlicher Echsen-Liebhaber! Willie hat mir ein gebogenes Blatt in die Hand gedrückt, Wasser drauftröpfeln lassen und zeigte an den Wegrand auf eine etwa 8cm-lange Echse. Dann sagt er „Geh mal ganz langsam drauf zu, schau sie an und wenn sie dir entgegen kommt, geh in die Knie“. Ich denke mir noch, die kommt mir doch nie im Leben entgegen, aber tatsächlich: ganz langsam dreht sie den Kopf zu mir, schaut mich schief an und huscht auf mich zu. Ich geh in die Knie, sie krabbelt hoch, läuft mir über den ganzen Körper, bis sie das Wasser riecht. Dann kitzelt sie auf meiner Hand entlang bis zum Blatt und schleckt das Wasser auf. Total niedlich! Das war so ein tolles Erlebnis, ich sags euch! Totale Nähe zur Natur, genauso müssen sich die Aborigine-Kinder fühlen, wenn sie das erste Mal mit in den Busch genommen werden. Der kleine Fratz blieb dann auch noch nachdem das Wasser leer war auf mir sitzen und hat soo lieb geschaut :)
Willie patschte sich irgendwann an den Arm, nahm die tote Fliege und spießte sie auf einen langen schmalen Grashalm, dann summte er und wedelte vor dem Gesicht der Echse rum, die fixierte die Fliege und fing sie im Sprung! Total toller Anblick – habs auf Video, gibt es dann daheim anzuschauen :) Bis wir zurück am Bus waren, haben übrigens noch vier seiner Freunde Wasser aus meiner Hand bekommen und alle haben sie sich gefreut.
Zurück zum Auto wurde der Weg echt anstrengend, auf dem gegenüberliegenden Berg wütete ein Feuer und der Wind stand so blöd, dass wir allen Rauch und Ascheregen abbekamen. Das Atmen wurde also immer schwerer, die Luft immer drückender und die schwarzen Steine reflektierten jeden Sonnenstrahl, sodass die Konzentration gegen Null sank und ich dauernd über meine eigenen Füße stolperte. Ein paar coole Sachen sahen wir noch, dann ging es wieder nach Cooktown: da gibt es zum Beispiel einen Baum, der sich selbst fortpflanzen kann, denn er hat weibliche und männliche Blüten. Eine Eukalyptusart wirft ihre Blätter ab und die enthalten sehr viel Öl, sodass auf dem dunklen Stein teilweise weiße blattförmige Flecken sind, wo das Öl die dünne Pilzschicht auf dem Stein kaputtgemacht hat.
Die Fahrt zurück verschlief ich fast völlig und abends fiel ich auch ganz früh ins Bett. Dienstag früh ging es nämlich auch schon wieder früh los: Gery nahm mich mit, den Dirt Track entlang
mitten in die Pampa, da läuft man dann nen Kilometer oder so über Stock und Stein durch wunderschöne wilde gutriechende Landschaft. Irgendwann hört man es rauschen und wenn man auf einer kleinen
Anhöhe ankommt, steht man oberhalb gegenüber eines beeindruckenden Wasserfalls. Superschön da und natürlich sind wir auch schwimmen gegangen. Weil es so früh morgens war und die Sonne kaum über
die Kante des Wasserfalles geschaut hat, war das Wasser ziemlich kalt, dafür aber sehr klar und lecker ;)
Einmal hin und wieder her geschwommen und unzählige Fotos später ging es wieder zurück zum Auto und wieder die Schotterpiste zurück.
Nächste Abfahrt wieder runter, weitere Dirt Road den Berg rauf und am Archer Point Leuchtturm einen unglaublichen Ausblick genossen. Weil es etwas diesig war, ging der Pazifik nahtlos in den
Himmel über, man konnte den Horizont an manchen Stellen nicht mal erahnen. Ein paar Delfine hab ich auch gesehen, aber die waren recht träge und zu weit weg, sodass ich es nur dreimal in der
Sonne schimmern gesehen habe, dann waren sie wieder weg.
Pünktlich zur Mittagszeit waren wir wieder in Cooktown und ich machte mich gleich auf den weiten Weg zurück Richtung Süden. Doch schon nach dreißig Kilometern – peng!
…to be continued...
(oder auch: coming up next on Letters from Paradise: Worst-Case im
Outback)
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